Lernziele

Nach Absolvieren dieser Fortbildungseinheit …

  • erkennen Sie die Bedeutung der Lungenembolie(LE)-bedingten Rechtsherzbelastung für die klinische Symptomatik, die Prognose und das risikoadaptierte Management der akuten LE.

  • verstehen Sie die Notwendigkeit diagnostischer Algorithmen, bestehend aus klinischen, laborchemischen und bildgebenden Untersuchungen.

  • kennen Sie die aktuell verfügbaren Möglichkeiten für die Akutbehandlung potenziell lebensgefährlicher LE mit hohem und intermediär-hohem Risiko.

  • können Sie das Rezidivrisiko nach Beendigung der Antikoagulation gegen das Blutungsrisiko unter Fortführung der Antikoagulation nach einer akuten LE abwägen und Ihre Patientinnen/Patienten personalisiert beraten.

  • sind Sie in der Lage, einen strukturierten Nachsorgeplan für Ihre Patientinnen und Patienten mit stattgehabter LE zu entwickeln und auf diese Weise Spätfolgen der LE rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Epidemiologie der Lungenembolie – jährliche Inzidenz und Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung

Die akute LE ist die folgenschwerste klinische Manifestation des Erkrankungsbildes „venöse Thromboembolie“ (VTE) und stellt die dritthäufigste kardiovaskuläre Todesursache dar [1, 2]. Beobachtungsstudien aus Europa, Amerika und Asien deuten auf eine jährliche VTE-Inzidenz von 150 bis 200 Fällen pro 100.000 Einwohner hin, wovon ein Drittel auf die Diagnose „LE“ entfällt [3]. Von noch größerer epidemiologischer Relevanz ist allerdings die Erkenntnis, dass die Inzidenz von VTE und insbesondere von LE seit mindestens 15 bis 20 Jahren weltweit kontinuierlich zunimmt [4]. So ergab eine Analyse der Daten des Statistischen Bundesamtes in Deutschland einen Anstieg der jährlich diagnostizierten LE von 85 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2005 auf 109 pro 100.000 im Jahr 2015 [5]. Ein ähnlicher Trend wurde auch in anderen Ländern festgestellt [6, 7]. Insbesondere bei älteren Menschen steigt sowohl das Risiko für das Auftreten einer LE als auch das Todesrisiko in der Akutphase der Erkrankung an [5, 8]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit effektiverer Präventions- und Behandlungsmaßnahmen, um den Aufwärtstrend der jährlich neu diagnostizierten Fälle umzukehren und die Sterblichkeitsrate (aktuell ca. 14 % bei hospitalisierten Patienten in Deutschland [5]) weiter drastisch zu senken.

Diagnostische Verfahren und Strategien

Pathophysiologie der Lungenembolie: Bedeutung der akuten Druckbelastung des rechten Ventrikels für das klinische Erscheinungsbild

Die partielle oder vollständige Verlegung einer oder mehrerer Lungenarterien und ihrer Äste durch eingeschwemmte Thromben kann zu einem abrupten Anstieg des pulmonalarteriellen Drucks und der rechtsventrikulären (RV-) Nachlast führen. Die entstehende „Abwärtsspirale“ aus erhöhtem myokardialen Sauerstoffbedarf, Myokardischämie und Reduktion der linksventrikulären Vorlast bedingt eine Reduktion des Herzzeitvolumens sowie schließlich einen systemischen Blutdruckabfall und einen kardiogenen (obstruktiven) Schock infolge des Rechtsherzversagens (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Abwärtsspirale der hämodynamischen Dekompensation bei akuter Lungenembolie (HZV Herzzeitvolumen, RV rechtsventrikulär, LV linker Ventrikel)

Symptome einer akuten LE können durch eine RV-Dysfunktion und zunehmende akute Herzinsuffizienz, durch die Hypoperfusion und Gasaustauschstörung in der Lunge oder durch Komplikationen der LE wie beispielsweise eine Infarktpneumonie oder Pleuritis bedingt sein. Das Auftreten einer Tachykardie ist ein zwar unspezifisches, aber prognostisch relevantes klinisches Zeichen. Darüber hinaus kann ein passagerer Abfall des Herzzeitvolumens als kurzzeitiger reversibler Bewusstseinsverlust (Synkope) imponieren. In einer Metaanalyse, basierend auf 29 Studien und 21.956 Patienten mit LE hatten etwa 17 % der Patienten eine Synkope, welche mit einem erhöhten Risiko assoziiert war, innerhalb der ersten 30 Tage zu versterben [9].

Dyspnoe stellt das häufigste Symptom einer LE dar. Sie wird von klinischen Zeichen und Befunden wie Orthopnoe, Tachypnoe (>20 Atemzüge/min) und verminderte arterielle Sauerstoffsättigung begleitet. Weitere mögliche Symptome sind pektanginöser oder pleuritischer thorakaler Schmerz, Hämoptysen und klinische Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose (unilaterale Schwellung, Schmerzen und Rötung eines Beins).

Ermittlung der „Prätest“-Wahrscheinlichkeit

Die klinische Symptomatik von Patienten mit akuter LE ist für ihre fehlende Spezifität bekannt und muss daher mit großer Sorgfalt betrachtet werden. Sie ist durch ein sehr breites klinisches Spektrum gekennzeichnet, vom asymptomatischen Verlauf und von einer Zufallsdiagnose bis hin zum obstruktiven Schock und Kreislaufkollaps mit Reanimationspflichtigkeit (Tab. 1). Da kein einzelnes klinisches Symptom oder Zeichen „LE-typisch“ ist und kein laborchemischer oder bildgebender Test von allein eine LE mit Sicherheit bestätigen oder ausschließen kann, wurden in den vergangenen Jahren immer „benutzerfreundlichere“ diagnostische Algorithmen entwickelt und validiert. Diese sind auch in internationalen Leitlinien etabliert [1] und werden in der klinischen Praxis zunehmend befolgt.

Tab. 1 Klinische Manifestationen der hämodynamischen Instabilität infolge einer akuten Lungenembolie

Während bei hämodynamisch instabilen Patienten (Tab. 1) mit Verdacht auf LE aufgrund der vitalen Gefährdung die sofortige Einleitung der lebensrettenden Therapie im Vordergrund steht, liegt die Priorität bei den initial normotensiven, „stabil“ erscheinenden Patienten auf der Diagnostik. Ziel ist dabei eine maximale Sicherheit für den Ausschluss oder die Bestätigung der Verdachtsdiagnose unter Vermeidung unnötiger Strahlenbelastung durch radiologische oder nuklearmedizinische Bildgebung. Daher wird als erster diagnostischer Schritt die Abschätzung der klinischen oder „Prätest“-Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer akuten LE durch die Anwendung etablierter klinischer Scores (z. B. revidierter Genfer Score; Tab. 2) empfohlen.

Tab. 2 Κlinische Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie, basierend auf dem revidierten Genfer Score

Bei niedriger Wahrscheinlichkeit oder „unwahrscheinlicher“ LE erfolgt eine D‑Dimer-Bestimmung unter Verwendung altersadjustierter Grenzwerte (500 µg/l für Patienten ≤ 50 Jahre, 10 µg/l × Alter für Patienten > 50 Jahre). Alternativ ist die Verwendung der sog. YEARS-Kriterien in Kombination mit dem Ergebnis des D‑Dimer-Tests möglich [10]. Hierbei werden 3 Parameter erhoben:

  1. a)

    Zeichen einer tiefen Venenthrombose,

  2. b)

    Hämoptysen,

  3. c)

    „LE erscheint wahrscheinlicher als eine alternative Diagnose“.

Nach den YEARS-Kriterien kann bei Patienten, auf die keiner dieser 3 Parameter zutrifft, eine LE bei einem höheren D‑Dimer-Wert von weniger als 1000 µg/l als „ausgeschlossen“ eingestuft und auf eine weitere Diagnostik verzichtet werden. Dagegen gilt bei Patienten mit mindestens einem der oben genannten Kriterien weiterhin der Standardgrenzwert von 500 µg/l.

Bildgebende Diagnostik

Die computertomographische Pulmonalisangiographie (CTPA) ist aktuell das mit Abstand am häufigsten eingesetzte bildgebende Verfahren in der LE-Diagnostik in Deutschland und international. In Tab. 3 werden die Stärken und Einschränkungen („Schwächen“) der CTPA in Gegenüberstellung zur Ventilations-Perfusions-Lungenszintigraphie (V/Q-Scan) und zur invasiven Pulmonalisangiographie zusammengefasst. Die hohe diagnostische Sensitivität und Spezifität der CTPA sind längst erwiesen, diese führen allerdings in vielen Institutionen zu einem unangemessen häufigen Einsatz der CTPA mit daraus resultierenden (kontrastmittel- und strahlungsbedingten) Gefahren für die Patienten sowie Verbrauch (und Missbrauch) der Krankenhausressourcen, nicht zuletzt in Pandemiezeiten. Aus diesen wichtigen Gründen besteht der Stellenwert validierter, von den Leitlinien empfohlener diagnostischer Algorithmen – einschließlich der standardisierten Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit und des D‑Dimer-Tests – darin, die Anwendung der CTPA nur auf Patienten mit konkretem, dokumentiertem klinischen Verdacht auf eine LE zu beschränken.

Tab. 3 Bildgebungsverfahren zur Diagnose der Lungenembolie

Auch der V/Q-Scan bleibt weiterhin ein valides diagnostisches Verfahren, allerdings ist er nicht in allen Krankenhäusern rund um die Uhr verfügbar. Darüber hinaus ist er nicht für klinisch instabile Patienten geeignet. Die invasive Pulmonalisangiographie spielt im klinischen Alltag der LE-Diagnostik praktisch kaum noch eine Rolle. Allerdings kann dieses Verfahren in den kommenden Jahren im Zuge des zunehmenden Interesses an neuen kathetergestützten Behandlungsoptionen für Patienten mit LE der hohen oder intermediär-hohen Risikokategorie wieder an Bedeutung gewinnen.

Diagnostisches Vorgehen in der Schwangerschaft

Die Diagnose bzw. der Ausschluss einer LE in der Schwangerschaft stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Tatsache, dass in Deutschland bis zu 14 % aller Todesfälle unter schwangeren Frauen LE-assoziiert sind [11], betont die Notwendigkeit einer schnellen, zuverlässigen Diagnose und Behandlung von LE in diesem klinischen Zusammenhang. Gleichzeitig soll eine unbegründete (ohne Bestätigung einer VTE) Antikoagulationsbehandlung in der Schwangerschaft unbedingt vermieden werden. Allerdings sind bei schwangeren Frauen die Symptome, die auf eine mögliche akute LE hindeuten, noch unspezifischer als in der Allgemeinbevölkerung, und die D‑Dimer-Werte steigen im Laufe der Schwangerschaft kontinuierlich an mit entsprechender Abnahme ihrer (ohnehin niedrigen) diagnostischen Spezifität. Hinzu kommt, dass viele Medizinerinnen und Mediziner eine hohe innere Schwelle bei der Anordnung diagnostischer Verfahren unter Anwendung ionisierender Strahlen (CTPA oder V/Q-Scan) bei schwangeren Patientinnen empfinden. Diese Faktoren bedingen – in Kombination mit der erhöhten Rate falsch-positiver Befunde der Bildgebung in der Schwangerschaft – ein beträchtliches Risiko von verfehlten LE-Diagnosen oder von Fehldiagnosen mit entsprechenden Gefahren für die Mutter und das Kind. Kürzlich publizierte interventionelle einarmige Studien („Managementstudien“) konnten allerdings zeigen, dass strukturierte diagnostische Algorithmen eine LE auch in der Schwangerschaft zuverlässig diagnostizieren und insbesondere ausschließen können [12, 13]. Hierbei kommt der Interpretation der D‑Dimer-Werte unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik nach den bereits erwähnten YEARS-Kriterien und dem vermehrten Einsatz der Kompressionsultrasonographie der Beinvenen sowie (falls verfügbar und schnell durchführbar) der Perfusionslungenszintigraphie in Kombination mit einer Röntgenthoraxaufnahme ein besonderer Stellenwert zu. Der in diesem Sinne in der europäischen LE-Leitlinie [1] empfohlene diagnostische Algorithmus ist in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Lungenembolie (LE) in der Schwangerschaft (CTPA computertomographische Pulmonalisangiographie, NMH niedermolekulares Heparin, Q‑Scan Perfusionslungenszintigraphie, TTE transthorakale Echokardiographie, TVT tiefe Venenthrombose, VTE venöse Thromboembolie, 1 falls sofort verfügbar und durchführbar)

Bei hämodynamisch instabilen schwangeren Patientinnen gilt der gleiche Notfallalgorithmus wie bei nichtschwangeren Patientinnen. In diesem Zusammenhang ist auf den raschen Nachweis oder Ausschluss eines akuten RV-Versagens hinzuweisen. Bei eindeutigem echokardiographischen Befund kann die instabile, lebensgefährdete Patientin umgehend im multidisziplinären LE-Team (siehe unten, „Therapie“) besprochen und die am besten geeignete Form der Reperfusionsbehandlung entschieden werden.

Lungenembolieverdacht und -diagnostik in der COVID-19-Ära

Die meisten stationär aufgenommenen Patienten mit Verdacht auf eine COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-bedingte Pneumonie erhalten eine Nativcomputertomographie (ohne Kontrastmittel) zur Beurteilung des Lungenparenchyms, und es ist weder in der klinischen Routine machbar noch medizinisch sinnvoll, diese Untersuchung routinemäßig durch eine CTPA zum „LE-Screening“ zu ergänzen. Der konkrete und explizite klinische Verdacht auf eine COVID-19-assoziierte LE soll auch in solchen Situationen der Auslöser einer weiterführenden Diagnostik bleiben. Dieser kann beispielsweise auf klinischen Zeichen oder dem duplexsonographischen Nachweis einer Beinvenenthrombose basieren. Alternativ kann der Verdacht angesichts einer neu aufgetretenen Tachykardie oder einer respiratorischen und/oder hämodynamischen Verschlechterung der Patientin/des Patienten entstehen, sofern diese nicht durch eine Progredienz der Pneumonie, Hypovolämie oder Sepsis zu erklären sind. Ferner können elektrokardiographische und insbesondere echokardiographische Zeichen, die auf eine akute Rechtsherzbelastung und RV-Dysfunktion hinweisen, differenzialdiagnostisch hilfreich sein [14].

Risikostratifizierung

Während hämodynamisch instabile Patienten im kardiogenen (obstruktiven) Schock (Tab. 1) sofort der Kategorie des hohen Risikos zuzuordnen sind, konnten in den vergangenen Jahren auch innerhalb der viel größeren Gruppe der bei Aufnahme normotensiven Patienten zahlreiche Parameter und ihre Kombinationen als Prädiktoren für einen ungünstigen bzw. tödlichen Verlauf in der Akutphase identifiziert werden. Validierte klinische Scores zur Risikoeinschätzung wie der vereinfachte („simplified“) Pulmonary Embolism Severity Index (sPESI) und die Hestia-Kriterien (Tab. 4) integrieren klinische Parameter zum einen des Schweregrads des akuten LE-Ereignisses und zum anderen der Grunderkrankung und/oder der Komorbidität der Patientin/des Patienten [15, 16]. Diese Scores ermöglichen eine zuverlässige Prognoseabschätzung und haben ihren Stellenwert insbesondere bei der Identifizierung von Patienten mit niedrigem Risiko, welche für eine Frühentlassung und ambulante Therapie in Frage kommen [17].

Tab. 4 Klinische Scores zur Risikoeinschätzung und Eignung zur Frühentlassung bei akuter Lungenembolie

Die Kriterien für die Klassifizierung der Patienten mit akuter LE in Risikogruppen werden in Abb. 3 zusammengefasst. Neben der Bestimmung klinischer Parameter ist gemäß den Empfehlungen der aktuellen Leitlinien die Evaluation der RV-Funktion eine wichtige Säule der Risikostratifizierung von Patienten mit akuter LE [1]. Bildgebende Verfahren, insbesondere die transthorakale Echokardiographie (TTE), ermöglichen schnell und unkompliziert am Patientenbett die Beurteilung der kardialen Morphologie und Hämodynamik und liefern so beispielsweise bei einer Dilatation des RV (bestimmt durch das Verhältnis des diastolischen RV- und linksventrikulären Durchmessers) wertvolle Hinweise auf ein erhöhtes, intermediäres Risiko. Der systolische RV-Druck kann über die Geschwindigkeit des Trikuspidalregurgitationsjets relativ zuverlässig abgeschätzt werden. Darüber hinaus ermöglicht die TTE eine Abschätzung der Druckbelastung und (Dys‑)Funktion des RV (verminderte systolische Exkursionsbewegung des Trikuspidalklappenrings [„tricuspid annular plane systolic excursion“, TAPSE], Hypokinesie der freien RV-Wand, abgeflachtes interventrikuläres Septum [D‑Zeichen] oder paradoxe Septumbewegung). Dilatation und verminderte Atemreagibilität der unteren Hohlvene deuten auf einen erhöhten rechtsatrialen Druck und somit auf eine RV-Dekompensation hin.

Abb. 3
figure 3

Risikostratifizierung der akuten Lungenembolie (LE; RV rechtsventrikulär, PESI Pulmonary Embolism Severity Index, sPESI vereinfachter [„simplified“] PESI)

Es ist besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass auch Patienten mit niedrigem klinischen Score, beispielsweise mit einem sPESI von 0, Zeichen einer RV-Dysfunktion bei der echokardiographischen Bildgebung (oder bei der für die LE-Bestätigung ohnehin durchzuführenden CTPA) und somit ein erhöhtes Risiko für LE-bedingte Komplikationen haben könnten. In einer Metaanalyse, basierend auf 22 Studien an insgesamt 3295 Patienten mit „niedrigem“ klinischen Risiko hatten jene mit RV-Dysfunktion in der Bildgebung (Echokardiographie oder CTPA) ein 4,2-fach erhöhtes Risiko, innerhalb der ersten 30 Tage zu versterben [18]. Diese Ergebnisse wurden kürzlich von einer weiteren Metaanalyse individueller Patientendaten aus den oben genannten Studien bestätigt [19] und unterstützen nachdrücklich die Leitlinienempfehlung zur Evaluation der Herzmorphologie und -funktion unabhängig von den klinischen Symptomen und Zeichen bei Aufnahme. Dies dürfte in der Ära der bettseitigen „point-of-care“-fokussierten Ultraschalluntersuchung [20] in Notaufnahme- und Intensivstationen keine logistische Herausforderung mehr darstellen.

Therapie der Lungenembolie in der Akutphase und in den ersten 3 bis 6 Monaten

Akute Lungenembolie mit hämodynamischer Instabilität: Kreislaufunterstützung, Reperfusionsbehandlung

Das Vorliegen einer LE-bedingten Kreislaufinstabilität (Tab. 1) bei Aufnahme ist mit einer hohen frühen Sterberate assoziiert (Abb. 3). Für diese Patienten sind in Tab. 5 die notwendigen kreislaufunterstützenden Maßnahmen zusammengestellt. Diese sollen als Überbrückung und Ergänzung einer Reperfusionsbehandlung und dadurch der sofortigen Entlastung des versagenden RV dienen. Daher wird auch in dieser Notfallsituation der Stellenwert der TTE am Patientenbett hervorgehoben, da diese einen raschen Nachweis oder Ausschluss eines akuten RV-Versagens durch die (vermutete) LE ermöglicht. Bei eindeutigem echokardiographischen Befund und insbesondere, wenn eine CTPA nicht sofort verfügbar oder (angesichts der Instabilität) durchführbar ist, kann die Patientin/der Patient umgehend im multidisziplinären LE-Team (siehe weiter unten) besprochen und die am besten geeignete Form der Reperfusionsbehandlung entschieden werden.

Tab. 5 Kreislaufunterstützung bei akuter Lungenembolie mit hohem Risiko

Die systemische Thrombolyse bleibt „offiziell“ die Therapie der ersten Wahl bei akuter LE mit hämodynamischer Instabilität, ist allerdings auch mit einem hohen Risiko für schwere Blutungen verbunden [21]. Es bestehen oft relative oder absolute Kontraindikationen zur Thrombolyse, ausgerechnet in dieser Gruppe von kritisch kranken Patienten. Als Alternative können bei Verfügbarkeit mechanische kathetergestützte Verfahren (Thrombusfragmentation, rheolytische Thrombektomie, Aspirationsthrombektomie oder Rotationsthrombektomie) eingesetzt werden. Darüber hinaus stehen kombinierte pharmakomechanische Verfahren mit lokaler, niedrig dosierter Thrombolyse mit und ohne Ultraschallunterstützung zur Verfügung [22]. Eine große randomisierte, kontrollierte Studie zur klinischen Validierung einer kathetergestützten ultraschallassistierten lokalen Lyse wird aktuell in Europa und den USA durchgeführt (Clinicaltrials.gov-Identifier: NCT04790370). Schließlich stellt auch die chirurgische Embolektomie eine Alternative zur systemischen Thrombolyse oder Katheterintervention dar, auch wenn sie in der klinischen Praxis nur noch sehr selten eingesetzt wird [5].

Zur Optimierung der Akuttherapie von hämodynamisch beeinträchtigten LE-Patienten werden in Europa und Nordamerika zunehmend multidiszipinäre LE-Teams („pulmonary embolism response teams“, PERT) eingerichtet. Lokale Behandlungsprotokolle mit Diskussion und Abwägung aller therapeutischen Optionen unter Berücksichtigung der im jeweiligen Krankenhaus verfügbaren Kapazitäten und Ressourcen ermöglichen – im Konsens der Expertinnen und Experten aus den beteiligten Disziplinen – die Auswahl der am besten geeigneten Therapie (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Multidisziplinäre Behandlung der akuten Lungenembolie (LE) mit hohem oder intermediär-hohem Risiko (RV rechtsventrikulär, TTE transthorakale Echokardiographie, 1 intermediär-hohes oder hohes Risiko [siehe Tab. 4], 2 in diesen Fällen mit parenteraler Therapie beginnen: niedermolekulares Heparin subkutan oder unfraktioniertes Heparin als intravenöse Infusion, 3 unter Berücksichtigung der im jeweiligen Krankenhaus verfügbaren Kapazitäten und Ressourcen)

Akute Lungenembolie bei stabilen Kreislaufverhältnissen: Fokus auf die Antikoagulation

Alle Patienten mit Lungenembolie benötigen eine therapeutische Antikoagulation. Diese soll bereits bei Verdacht (entsprechend einer mittleren oder hohen klinischen LE-Wahrscheinlichkeit; siehe Tab. 2) eingeleitet werden, ohne das Ergebnis der bildgebenden Diagnostik abzuwarten. Zugelassen für die Initialphase der Antikoagulation sind niedermolekulare Heparine (NMH) und Fondaparinux, alternativ können die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) Apixaban und Rivaroxaban eingesetzt werden (Tab. 6). In diesem Zusammenhang ist unbedingt zu beachten, dass mit den DOAK Edoxaban oder Dabigatran erst nach einer mindestens 5‑tägigen parenteralen Heparinbehandlung begonnen werden darf. Apixaban und Rivaroxaban sind dagegen von Beginn an zugelassen, müssen aber in den ersten 7 Tagen (Apixaban) oder 3 Wochen (Rivaroxaban) in erhöhter Dosis eingenommen werden (Tab. 7).

Tab. 6 Parenterale und orale Antikoagulanzien für die Behandlung akuter Venenthrombosen und Lungenembolien
Tab. 7 Klassifizierung des langfristigen VTE(venöse Thromboembolie)-Rezidiv-Risikos nach stattgehabter Lungenembolie in Abhängigkeit von der Pathogenese des Erst- bzw. Indexereignissesa

Der Initialtherapie über die ersten 5 bis 10 Tage folgt die chronische Phase der Antikoagulation mit einer Dauer von mindestens 3 Monaten. Grundsätzlich wird während dieser Phase der Einsatz eines DOAK gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) sowohl in den Empfehlungen der Leitlinien als auch in der klinischen Praxis bevorzugt. Auch bei Patienten mit akuter VTE auf dem Boden einer aktiven Krebserkrankung sind inzwischen die DOAK Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban validiert [23] und zugelassen und können, unter Beachtung des Blutungsrisikos der Patientin/des Patienten, anstelle von NMH in den ersten 3 bis 6 Monaten eingesetzt werden [24].

Die (wenigen) Warnhinweise oder Kontraindikationen zu den DOAK beziehen sich aktuell auf Patienten mit hochgradig eingeschränkter Nierenfunktion sowie auf solche unter Behandlung mit starken P‑Glykoprotein-Inhibitoren [25]. Träger von mechanischen Klappenprothesen sind ebenfalls keine Kandidaten für eine DOAK-Therapie.

Auch bei schwangeren Patientinnen und in der Stillzeit sind DOAK kontraindiziert. Während der Schwangerschaft wird eine auf das Körpergewicht abgestimmte Dosierung eines NMH zur Behandlung einer tiefen Venenthrombose oder LE empfohlen. Zu Fondaparinux existieren in diesem Zusammenhang noch keine zuverlässigen Daten.

Bei Patienten mit LE und Nachweis von Antiphospholipidantikörpern besteht grundsätzlich (nur dann) eine Kontraindikation gegen DOAK, wenn eine Tripelpositivität und/oder ein arterielles thrombotisches Ergebnis vorliegen. Eine Testung auf Antiphospholipidantikörper wird allerdings nicht routinemäßig vor Beginn der Antikoagulation, sondern nur bei konkretem klinischen Verdacht empfohlen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Empfehlungen des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH) an der Universitätsmedizin Mainz1 zur Testung auf Antiphospholipidantikörper und Optionen der antithrombotischen Therapie bei Patienten mit Antiphospholipidantikörpersyndrom (APS; ACA-AK Anticardiolipinantikörper, β2-GPI-AK Beta-2-Glykoprotein-I-Antikörper, DOAK direkte orale Antikoagulanzien, LA Lupusantikoagulans, LE Lungenembolie, VKA Vitamin-K-Antagonist, TVT tiefe Venenthrombose, 1 in Übereinstimmung mit den interdisziplinären Empfehlungen der deutschen Fachgesellschaften [26])

Ambulante Behandlung von Lungenembolien mit niedrigem Risiko

Patienten mit einer LE mit niedrigem Risiko (Abb. 3) sind mögliche Kandidaten für eine Frühentlassung und ambulante Fortführung der therapeutischen Antikoagulation. Voraussetzungen sind eine adäquate Compliance, die Unterstützung durch die Familie oder die soziale Umgebung und der schnelle Zugang zur medizinischen Versorgung, falls diese nach Entlassung notwendig werden sollte. In diesem Zusammenhang ist an den bereits erwähnten echokardiographischen Ausschluss einer RV-Dysfunktion – auch bei Patienten mit einem sPESI von 0 – zu erinnern.

Die Möglichkeit der ambulanten Behandlung wird durch die Ergebnisse der HoT-PE(Home Treatment of Pulmonary Embolism)-Studie unterstützt. Darin waren eine frühzeitige Entlassung (nach spätestens 48 h) und eine ambulante Weiterbehandlung von Patienten, die alle Kriterien eines niedrigen Risikos erfüllten, mit einer sehr niedrigen LE-Rezidiv-Rate (0,6 %) assoziiert [27]. Diese Strategie kann die Patientenzufriedenheit verbessern, nosokomiale Infektionen verhindern und nicht zuletzt die Inanspruchnahme von Krankenhausressourcen optimieren.

Lungenembolienachsorge, Langzeitbeobachtung

Entscheidung über die Dauer der Antikoagulation: Abwägung des Rezidiv- und des Blutungsrisikos

Patienten, die eine akute LE überlebt haben, sind insgesamt durch ein beträchtliches Risiko für VTE-Rezidive und die damit assoziierte Morbidität und Mortalität gefährdet. In einer Metaanalyse von 18 Studien mit 7515 eingeschlossenen Patienten nach proximaler Beinvenenthrombose oder LE – ohne festgestellten Thrombosefaktor – betrug die Inzidenzrate von VTE-Rezidiven 10,3 % im ersten Jahr nach Absetzen der Antikoagulation, 6,3 % im zweiten Jahr, 3,8 % jährlich in den Jahren 3 bis 5 und 3,1 % jährlich in den Jahren 5 bis 10. Die kumulative Inzidenz betrug 36 % (95 %-Konfidenzintervall [KI]: 28–45 %) nach 10 Jahren [28]. Falls jedoch ein Thromboserisikofaktor in Zusammenhang mit dem Erst- bzw. „Index“-Ereignis identifiziert werden konnte, variiert das jährliche Rezidivrisiko stark in Abhängigkeit davon, ob der auslösende oder beitragende Risikofaktor stark oder schwach, temporär oder persistierend war. Eine Klassifizierung des VTE-Rezidiv-Risikos entsprechend der Pathogenese des Erstereignisses wurde in der 2019 aktualisierten europäischen Leitlinie publiziert [1] und wird in Tab. 7 dargestellt.

Nach dem Erstereignis einer akuten LE sollen zunächst alle Patienten über mindestens 3 Monate mit Antikoagulanzien behandelt werden. Anschließend kann auf der Basis der in Tab. 7 zusammengefassten Klassifizierung des VTE-Rezidiv-Risikos die Antikoagulation beendet werden, wenn die LE durch einen starken temporären, reversiblen Thromboserisikofaktor ausgelöst wurde. Im Gegensatz dazu wird bei Patienten mit anamnestisch bekannten VTE-Rezidiven, bekanntem Antiphospholipidsyndrom oder aktiver Krebserkrankung eine Fortführung der Antikoagulation auf unbestimmte Zeit empfohlen. In allen anderen klinischen Situationen sollte der Entscheidung zur Fortführung versus Beendigung der Antikoagulation eine personalisierte Abwägung zwischen dem Rezidivrisiko ohne Therapie und dem Blutungsrisiko unter Therapie vorausgehen. Dabei ist das verbesserte Sicherheitsprofil (niedrigeres Risiko für schwere Blutungen) der DOAK im Vergleich zu den in der Vergangenheit eingesetzten VKA zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang können darüber hinaus vorhandene Rezidiv- und Blutungs-Scores hilfreich sein. Diese erlauben (wenn auch bedingt) eine „standardisierte“ Semiquantifizierung des jeweiligen Risikos und können insbesondere dazu beitragen, potenziell reversible und behandelbare Blutungsrisikofaktoren zu erkennen. Tab. 8 stellt exemplarisch 2 der aktuell bekanntesten Scores dar. Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass diese Scores noch nicht ausreichend validiert sind und daher nur „unterstützend“ und nicht als absolute Entscheidungsgrundlage zu verwenden sind.

Tab. 8 Beispiele von Scores zur Semiquantifizierung des Rezidiv- und Blutungsrisikos von Patienten nach einer akuten Lungenembolie oder tiefen Beinvenenthrombose

Die ärztliche Empfehlung zugunsten oder gegen eine verlängerte Antikoagulation soll explizit der Patientin/dem Patienten erklärt, mit ihr/ihm diskutiert und die finale gemeinsame Entscheidung in der Patientenakte dokumentiert werden. Im Falle einer verlängerten Antikoagulation mit Apixaban oder Rivaroxaban sollte 6 Monate nach der LE grundsätzlich eine Halbierung der Dosis (auf 2,5 mg Apixaban 2‑mal täglich oder 10 mg Rivaroxaban 1‑mal täglich) erfolgen [31, 32]. Bei allen Patienten sind weiterhin regelmäßige (mindestens 1‑mal jährlich) Verlaufskontrollen indiziert.

Von der akuten zur chronischen thromboembolischen Erkrankung: Früherkennung und Behandlung von Spätfolgen

Nach einer akuten LE sind die pulmonalarteriellen Gefäße bei den meisten Patienten innerhalb von wenigen Wochen wieder durchgängig. Auch wenn es bei etwa 30 % der Patienten an manchen Stellen zu computerangiographisch oder szintigraphisch nachweisbarer Persistenz von Perfusionsdefekten kommen kann, hat dies in der Regel keine klinischen Konsequenzen. In seltenen Fällen jedoch, bei etwa 3 % der Überlebenden eines Akutereignisses, kann es zu einer potenziell lebensbedrohlichen Spätfolge, der sog. chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertension (CTEPH) kommen. Die Seltenheit dieser Komplikation steht im Gegensatz zu der von den Patienten häufig (≤ 50 %) berichteten Dyspnoe oder Funktionseinschränkung über mehrere Monate nach einer akuten LE. Letztere ist in den meisten Fällen die Folge einer „Dekonditionierung“ des Patienten nach monatelanger Reduktion der Mobilität in Zusammenhang mit der erlittenen LE. Daher hat die Patientennachsorge nach akuter LE folgende Ziele:

  1. a)

    Rehabilitation, Behandlung von Komorbiditäten, Modifizierung von kardiovaskulären Risikofaktoren, ggf. Verhaltenstherapie für die Patienten mit persistierenden Beschwerden;

  2. b)

    Frühdetektion der Zeichen einer möglichen CTEPH und rechtzeitige Überweisung an ein CTEPH-Expertenzentrum.

Die vom Centrum für Thrombose und Hämostase der Universitätsmedizin Mainz im Einklang mit nationalen und internationalen Leitlinien empfohlene LE-Nachsorge ist in Abb. 6 in Form eines Algorithmus dargestellt.

Abb. 6
figure 6

Verlaufsbeobachtung und Nachsorge der Lungenembolie (CTEPH chronisch-thromboembolische pulmonale Hypertension, BNP „brain natriuretic peptide“, NT-proBNP „N-terminal pro-brain natriuretic peptide“, TTE transthorakale Echokardiographie, V/Q-Scan Ventilations-Perfusions-Lungenszintigraphie, RV rechtsventrikulär)

Fazit für die Praxis

  • Die akute Nachlasterhöhung und Druckbelastung des rechten Ventrikels bestimmen die klinische Symptomatik der Lungenembolie (LE) und das Sterberisiko in der Akutphase.

  • Die fehlende Spezifität der Symptome und der klinischen Zeichen macht den Einsatz strukturierter diagnostischer Algorithmen im klinischen Alltag notwendig. Ziel ist die Vermeidung unnötiger Strahlenbelastung.

  • Inzwischen konnten diagnostische Algorithmen auch bei Verdacht auf LE während der Schwangerschaft erfolgreich validiert werden.

  • Bei hämodynamisch instabilen Patienten liegt der Schwerpunkt im raschen (echokardiographischen) Nachweis des Rechtsherzversagens, um eine Reperfusionsbehandlung (Thrombolyse, Katheterintervention, operative Embolektomie) umgehend einzuleiten.

  • Für die Sekundärprophylaxe werden in den meisten Fällen die direkten oralen Antikoagulanzien bevorzugt. Kontraindikationen wie Schwangerschaft/Stillzeit und stark reduzierte Nierenfunktion sind zu beachten. Die Verlängerung oder Beendigung der Antikoagulation nach den ersten 3 Monaten basiert auf der individualisierten Abwägung zwischen Rezidiv- und Blutungsrisiko.

  • Ein strukturierter Nachsorgeplan für Patientinnen/Patienten mit erlittener LE dient der regelmäßigen Überwachung der Antikoagulation und ermöglicht die rechtzeitige Erkennung und Behandlung von Spätfolgen wie der chronisch-thromboembolischen pulmonalen Hypertonie.