Die Adipositas, definiert durch ein Übermaß an Körperfett (Body-Mass-Index [BMI] ≥30 kg/m2; Deutsche Adipositas Gesellschaft 2014), hat sich über die letzten 4 Dekaden weltweit verdreifacht (NCD Risk Factor Collaboration 2017). Nicht nur Erwachsene, zunehmend auch Kinder und Jugendliche sind betroffen. Die Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor für nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 und koronare Herzkrankheit und wurde von medizinischen Fachgesellschaften wie der Deutschen Adipositas Gesellschaft (2014) als komplexe, chronische Erkrankung anerkannt.

Gesellschaften und Gesundheitssysteme stellt die Adipositas vor besondere Herausforderungen, was nicht zuletzt an substanziell erhöhten Gesundheitskosten liegt. Zudem ist die Adipositas durch Standardtherapien zur Gewichtsreduktion wie die mit behavioralen Interventionen auf eine Veränderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens abzielende Adipositasverhaltenstherapie zumeist nicht nachhaltig behandelbar (LeBlanc et al. 2018). Daher bedarf es für eine Wirksamkeitssteigerung weiterer evidenzgeleiteter Interventionsentwicklung. Dies beinhaltet zum einen, bestehende Interventionsansätze zu verändern (z. B. durch den Einbezug neuer ernährungstherapeutischer Maßnahmen), für Teilgruppen im Sinne einer differenziellen Indikation zu spezifizieren (z. B. für psychische Komorbidität zu adaptieren) oder neue Interventionen zu entwickeln, die auf einem veränderten Störungsverständnis fußen (z. B. abgeleitet von aktueller neurowissenschaftlich Forschung). Zu berücksichtigen ist jedoch auch unser gesellschaftlicher Umgang mit dieser prävalenten Gesundheitsstörung: Denn die Adipositas ist mit einem starken sozialen Stigma belegt, was zu Benachteiligungen in vielen Lebensbereichen, auch im Gesundheitssystem, führt (Rubino et al. 2020). Zusätzlich wird Prävention zumeist nur punktuell und wenig systematisch betrieben. Das vorliegende Sonderheft mit dem Leitthema Adipositas – Aktuelle Forschung zu Grundlagen und Therapie der Zeitschrift Psychotherapeut illustriert dieses Spannungsfeld und präsentiert Übersichten und Originaldaten mit Relevanz für die psychotherapeutische Versorgung betroffener Patienten.

Neurowissenschaftliche Forschung hat darauf hingewiesen, dass die Adipositas mit Beeinträchtigungen der Selbstregulation einhergeht, beispielsweise in Inhibition, Arbeitsgedächtnis oder Entscheidungsfindung (Yang et al. 2018). In einem Minireview über eine Serie bevölkerungsbasierter Bildgebungsstudien zeigt Veronica Witte, dass die Adipositas mit strukturellen Hirnveränderungen im Belohnungssystem einhergeht, was mit ungünstigem, suchtartigem Essverhalten assoziiert war. Auch zeigten sich Beeinträchtigungen der Gehirngesundheit, vermutlich vermittelt über Läsionen durch vom viszeralen Körperfett ausgehende Entzündungsfaktoren, was sowohl kognitive Funktionen als auch den Therapieerfolg bei Adipositas beeinträchtigen könnte. Diese grundlegenden Erkenntnisse sprechen dafür, am Belohnungssystem beteiligte exekutive Funktionen gezielt zu trainieren. Kognitive Trainings haben sich z. T. als vielversprechend für das Gewichtsmanagement angedeutet (Yang et al. 2019).

Zwei Beiträge beschäftigen sich mit der psychischen Komorbidität bei behandlungsaufsuchenden Patienten mit Adipositas bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen, einem in der Behandlung der Adipositas häufig vernachlässigten Symptombereich.

Anja Hilbert diskutiert am Beispiel der mit der Adipositas einhergehenden Binge-Eating-Störung den aktuellen Forschungsstand zur Behandlung von Essanfällen und Adipositas. Die Kognitive Verhaltenstherapie als die am besten belegte Therapieform für die Binge-Eating-Störung war Ansätzen der konservativen Gewichtsreduktion bei der Reduktion der Essstörungssymptomatik überlegen und bei der Gewichtsreduktion nur tendenziell kurzfristig unterlegen (Hilbert et al. 2019). Daher könnten sich graduelle Erweiterungen der Kognitiven Verhaltenstherapie um einzelne Gewichtsreduktionsinterventionen, z. B. geringfügige kalorische Einschränkung, als vielversprechend für die Optimierung des Behandlungserfolgs bei Adipositas und Binge-Eating-Störung erweisen. Bislang haben sich Kombinationen vollständiger Komplexbehandlungen nicht als erfolgreich gezeigt.

Michael Gmeiner und Petra Warschburger untersuchen in ihrer Originalarbeit das Auftreten von emotionalen und Verhaltensproblemen bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas, die sich in einer stationären Therapie zur Gewichtsreduktion befinden (Warschburger et al. 2018). Nahezu die Hälfte der Kinder und Jugendlichen wies eine psychische Auffälligkeit auf; in erster Linie wurden emotionale Probleme sowie Probleme mit Gleichaltrigen berichtet. Darüber hinaus konnten sie zeigen, dass eine hohe psychische Komorbidität den langfristigen Therapieverlauf negativ beeinflusst. Die AutorInnen fordern, dass zu Therapiebeginn regelhaft ein Screening psychischer Auffälligkeiten erfolgen sollte. Weiterhin sollte innerhalb der multimodalen Behandlungskonzepte für Adipositas die Bearbeitung psychischer Probleme einen größeren Stellenwert einnehmen.

Innerhalb der konservativen Adipositasbehandlung kommt der Ernährungstherapie eine wichtige Rolle zu (Deutsche Adipositas Gesellschaft 2014). Mandy Stadion und Annette Schürmann diskutieren in ihrem Beitrag das populäre intermittierende Fasten (Intervallfasten) als eine leicht umzusetzende Diätform, um eine negative Energiebilanz und Gewichtsreduktion zu erreichen. Dabei verdeutlichen sie anhand von Tier- und Humanstudien die positiven Effekte auf den Metabolismus und die Gewichtsreduktion, die mit einer herkömmlichen kontinuierlichen Kalorienrestriktion durchaus vergleichbar sind. Zudem erwies sich das intermittierende Fasten für Personen unterschiedlichen Gewichts sowie mit Vorerkrankungen als geeignet. Vielversprechende Effekte wurden auch bei Personen mit psychischen Störungen beobachtet, bedürfen aber weiterer Beobachtung.

Claudia Luck-Sikorski und Marie Bernard zeigen in einer Übersicht in Kombination mit neuen bevölkerungsrepräsentativen Daten, dass gewichtsbezogene Stigmatisierung im Gesundheitssystem häufig gegeben ist und auch Psychotherapeuten umfasst. Gerade weil die erfahrene Stigmatisierung und insbesondere die Selbststigmatisierung psychopathologisch relevant sind (Emmer et al. 2020), sollte dies in der Psychotherapie mit Patienten mit Adipositas berücksichtigt werden und sich beispielsweise in einer dafür sensibilisierten Beziehungsgestaltung sowie in Interventionen zum Umgang mit stigmatisierenden Situationen und Selbststigmatisierung äußern.

Der abschließende Beitrag in diesem Sonderheft widmet sich der Adipositasprävention. Dieses Thema rückt angesichts der hohen Prävalenzen, aber auch der unzureichenden langfristigen Therapieerfolge bereits im Kindesalter (Ells et al. 2020) immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Peter von Philipsborn und Karin Geffert geben einen Überblick zu aktuellen Erkenntnissen bezüglich verhaltens- und auch verhältnispräventiver Maßnahmen im Bereich der Adipositas. Dabei arbeiten sie detailliert die Zusammenhänge zwischen Adipositas und psychischen Störungen heraus und zeigen auf, wie eine Adipositaspräventionsmaßnahme gleichzeitig zur Förderung der psychischen Gesundheit beitragen kann. Gerade Gesundheitsfachkräfte können (und sollten) nach Ansicht der AutorInnen PoltikerInnen, die Bevölkerung und auch potenziell Betroffene für das Potenzial von Präventionsmaßnahmen sensibilisieren.