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  • “Als Mischprodukt verrufen.” Der literarische Essay der Moderne by Zsuzsa Bognár
  • István Gombocz
Zsuzsa Bognár, Hrsg., “Als Mischprodukt verrufen.” Der literarische Essay der Moderne. Österreich-Studien Szeged 13. Wien: Praesens 2017. 244 S.

Die traditionsreiche ungarische Germanistik zeichnet sich nach wie vor durch vorbildliche Produktivität in Lehre und Forschung aus. Dies gilt auch für das Germanistische Institut der Universität Szeged, das Zsuzsa Bognárs Untersuchung zum modernen Essay in seine Schriftenreife Österreich-Studien beim Wiener Verlag Praesens aufgenommen hat. Gefördert durch [End Page 125] Druckzuschüsse der Kulturabteilung der Stadt Wien und der Katholischen Péter Pázmány-Universität zu Piliscsaba, wo Zsuzsa Bognár unterrichtet, ist der Band Der literarische Essay der Moderne als wertvoller Beitrag zur Essayforschung zu begrüßen und zu beglückwünschen.

Bognár arbeitet vorwiegend mit der mikroperiodischen Definition der “Moderne”, d.h. sie versteht dies als Sammelbegriff für die neuartigen künstlerischen Bewegungen des ausgehenden neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Hin und wieder bedient sie sich aber auch der makroperiodischen Auslegung dieser Kategorie, wonach die Anfänge der kultur-und philosophiegeschichtlichen Moderne in der Zeit unmittelbar nach der Renaissance zu suchen sind und berücksichtigt dabei die essayistischen Werke von Klassikern wie Francis Bacon und Montaigne.

Die Verfasserin macht kein Hehl aus den Schwierigkeiten, die sich bei der Definition des Essays einstellen. Im Gegensatz zu etablierten Gattungen wie dem Drama, der Poesie und der Prosa, so ihre Argumente, gebe es keine festen Vorschriften, die das essayistische Schaffen regulierten. In einer, von Theodor W. Adorno geprägten und auch in Bognárs Titel zitierten Formulierung sei der Essay daher “als Mischgattung verrufen”. Übergangsformen und Kombinationen zwischen den klassischen Genres sind freilich auch alles Andere als unerhört, man denke doch an Ausdruckformen wie die Ballade, das philosophische und religiöse Lehrgedicht, den modernen essayistischen Roman, oder eben an Alexander Popes aufklärerischen Klassiker “An Essay on Man” (1734). Bognárs Beschreibung des Essayismus der Moderne als “positive Einstellung” sowie als “suchendes Denken” (21) ist insgesamt nachvollziehbar, wobei jedoch ungeklärt bleibt, ob und inwieweit sich der Essay von anderen Kategorien wie der Abhandlung, der Studie, dem Traktat oder dem Aufsatz unterscheidet, die ebenfalls Anspruch auf Objektivität erheben, zugleich aber genügend Spielraum zur Kreativität einräumen.

Zum Auftakt bietet die Verfasserin einen gründlichen und ausführlichen Forschungsbericht zu ihrem Gegenstand und berücksichtigt dabei sämtliche maßgebliche diesbezügliche Ergebnisse der vergangenen fünfzig Jahre. Zu ihren Quellen gehören die einschlägigen Arbeiten von Erst Behler, Christoph Ernst, Nina Hahne, Niklas Lehmann, Wolfgang Müller-Funk, Jean-François Lyotard, Birgit Nübel, Ludwig Rohner, Christian Schärf, Wolfgang Welsch und Peter Žima. Angeregt in erster Linie durch Ernst und Welsch setzt sich Bognár zur Aufgabe, den Essay als eigenständige literarische Gattung und als “literarischen Text par excellence” (10) auszuweisen, die Kontinuität zwischen [End Page 126] den Perioden der Moderne und Postmoderne zu bestätigen und den Einfluss der romantischen Ironie auf das essayistische Schaffen des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts nachzuweisen.

Diese Versprechen erfüllt die Autorin auf eine sorgfältige und überzeugende Weise. Die entwicklungsgeschichtliche Rekonstruktion des modernen Essays erfolgt in einer traditionellen chronologischen Reihenfolge mit Nietzsches vielschichtigem Schaffen als Ausgangspunkt, und die Wahl fällt auf Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Mit Recht verweist Bognár auf die Tatsache, dass die dort aufgeworfenen kunsttheoretischen Fragen “ein grundlegendes ästhetisches Programm der Moderne” (43) liefern und zugleich die Denkformen der Ironie zur vollen Entfaltung bringen. Die ausführliche und linear vorgehende Interpretation einzelner Kapitel der Tragödienschrift, die kritische und subtile Untersuchung der sehr umfangreichen Fachliteratur und nicht zuletzt die höchst informative Bearbeitung von Nietzsches einschlägigen Tagebucheinträgen und brieflichen Äußerungen bringen neues Licht in die Wechselwirkung zwischen der Apollinischen und Dionysischen Lebenshaltung und bezeugen den hohen Stellenwert poetischen Schaffens in Nietzsches Weltbild.

Der Übergang zum zwanzigsten Jahrhundert wird durch die Untersuchung von Hofmannsthals essayistischem Schaffen durchgeführt, und Bognárs Augenmerk richtet sich auch in diesem Kapitel konsequent auf das Wechselspiel zwischen künstlerischem Schöpfertum und intellektueller Denkarbeit. Die...

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