Zusammenfassung
Der Weg, den Frauen in der Psychoanalyse seit ihrem Bestehen gegangen sind, war oft steinig und beschwerlich. Die erste Generation der Psychoanalytikerinnen hatte hohe Bildungsbarrieren zu überwinden, die ihr das Abitur und erst recht ein Studium verwehrten. Dennoch gelang es zahlreichen Pionierinnen, sich in dem neuen Beruf Geltung zu verschaffen. Viele von ihnen zählten zur intellektuellen Avantgarde, und sie waren politisch oft links orientiert. Die schrittweise Öffnung der psychoanalytischen Ausbildung für „Laien“ ermöglichte einen rasch wachsenden Anteil der Frauen in dem neuen Beruf. Im Deutschen Institut für Psychologische Forschung und Psychotherapie (DI) fanden viele Frauen während der Zeit des Nationalsozialismus dort ihren Platz.
Während 1950 das Verhältnis von Männern zu Frauen in der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) 63 % zu 37 % betrug, hat es sich bis 2018 zu einem Verhältnis von 40 % zu 60 % umgekehrt. Diese Schieflage in der Verteilung wird rasch zunehmen: Unter den Ausbildungskandidaten der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) befinden sich 68,8 % Frauen und 31,2 % Männer. Die Frage wird sein, wie die psychoanalytischen Fachgesellschaften und Ausbildungsinstitute darauf reagieren werden, dass die psychoanalytische Profession der Zukunft immer „weiblicher“ und – nach der Novelle des Psychotherapeutengesetzes – immer jünger sein wird.
Abstract
The path that women have taken in psychoanalysis since its inception has often been rocky and arduous. The first generation of female psychoanalysts had to overcome high educational barriers, which prevented them from passing their school leaving examinations and even more so from studying. Nevertheless, numerous pioneers succeeded in gaining recognition in the new profession. Many of them belonged to the intellectual avant-garde and they were often politically left-wing oriented. The gradual opening of psychoanalytical training to “laymen” enabled a rapidly growing proportion of women to take up the new profession. At the German Institute for Psychological Research and Psychotherapy (DI), during the Nazi era, many women found their place there.
While in 1950 the ratio of men to women in the German Society for Psychoanalysis, Psychotherapy, Psychosomatics and Depth Psychology (DGPT) was 63% to 37%, by 2018 it had reversed to a ratio of 40% to 60%. This imbalance in distribution will increase rapidly: among the training candidates of the German Psychoanalytical Society (DPG) there are 68.8% women and 31.2% men. The question will be how the psychoanalytical professional societies and training institutes will react to the fact that the psychoanalytical profession of the future will be more and more “female” and, after the amendment of the Psychotherapists Act, younger and younger.
Notes
„In Deutschland liegt die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern bei 20 Prozent. Selbst bei gleicher formaler Qualifikation und ansonsten gleichen Merkmalen beträgt der Entgeltunterschied immer noch sechs Prozent. Ein klarer Hinweis auf versteckte Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt“ (BMFSFJ 2020).
„Besonders dramatisch ist diese Entwicklung in der Psychotherapie. Während immer mehr Männer Hilfe suchen, sinkt gleichzeitig die Zahl der männlichen Psychotherapeuten dramatisch. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind heute bereits 71 Prozent der Mitglieder Frauen. Bei den Mitgliedern unter 35 sind es bereits 91 Prozent“ (Redaktion RehaNews24 2018).
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Ludwig-Körner, C. Psychoanalytikerin als Beruf – eine wechselvolle Geschichte. Forum Psychoanal 37, 165–181 (2021). https://doi.org/10.1007/s00451-020-00412-7
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