Im neuen Psychotherapiestudium an den psychologischen Instituten der Universitäten wird der praxisorientierte und kompetenzbasierte Unterricht in den anerkannten Methoden und Verfahren eine zentrale Rolle spielen. Hier wird der frühen, longitudinalen und spiralförmigen Integration handlungsorientierter Lehrformen große Bedeutung zukommen. Allerdings stehen bislang keine Konzeptionen entsprechender Curricula zur Verfügung. Das im Folgenden vorgestellte DYNAMIK-Curriculum soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Einleitung

Säulen der Psychotherapieausbildung und notwendige Kompetenzorientierung

Grundlegende Säulen der derzeitigen Ausbildung psychologischer PsychotherapeutenFootnote 1 sind in der Wissensvermittlung theoretischer Inhalte, der praktischen Tätigkeit in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken (praktische Tätigkeit PT1 und PT2), der Selbsterfahrung, der praktischen Ausbildung im Sinne der selbstständigen Durchführung ambulanter Psychotherapien sowie deren Supervision durch erfahrene Psychotherapeuten und in der „freien Spitze“ zu sehen (nach Interessenneigung gewählte Ausbildungseinheiten; Strauß et al. 2009). Dabei wird die selbstständige, unter begleitender Supervision durchgeführte Behandlung ambulanter Patienten vonseiten der in Ausbildung befindlichen Therapeuten für die Entwicklung eigener therapeutischer Kompetenzen als besonders hilfreich erlebt (Strauß et al. 2009). Die erfahrungsbasierte, praxisorientierte Vermittlung der in der Therapie angewandten Interventionen in Form von speziell konzipierten Trainings oder Übungseinheiten spielt formell in der aktuellen Ausbildung werdender Psychotherapeuten hingegen lediglich eine marginale Rolle.

Durch die Einführung des neuen „Psychotherapiestudiums“ zum Herbst 2020 einerseits sowie die formulierten Wünsche und Erwartungen bisheriger Ausbildungsteilnehmer andererseits (Nikendei et al. 2018), ist es notwendig, erfahrungsbasierte und kompetenzorientierte Lehrinhalte und Prüfungsformate in die derzeitige Ausbildung und das zukünftige „Psychotherapiestudium“ mit nachfolgender Weiterbildung zu integrieren. In der neuen Approbationsordnung ist der Einsatz von standardisierten Patienten ([Laien-]Schauspielern, die Patienten in einem simulierten Setting portraitieren; Barrows 1968) sowohl im Rahmen des Studiums in Form praktischer Übungen und Seminare (§ 9) als auch im Rahmen der Approbationsprüfung in Form von „anwendungsorientierten Parcoursprüfungen“ (Unterabschnitt 3, §§ 48, 49) vorgesehen. Entsprechend bestehen ein dringender Bedarf an konzeptuellen Entwicklungen zur Vermittlung und zur Prüfung praktischer psychotherapeutischer Kompetenzen sowie die Notwendigkeit, diese wissenschaftlich zu evaluieren.

Interventionskompetenzen in der psychodynamischen Psychotherapie

Die nachhaltige Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie ist in zahlreichen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen belegt (Steinert et al. 2017). Eine tragfähige Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten trägt als zentraler Faktor entscheidend zum Erfolg der psychotherapeutischen Behandlung bei (Horvath et al. 2011), sodass allgemeinen therapeutischen Kompetenzen zum Aufbau, zur Aufrechterhaltung bzw. ggf. zur „Reparatur“ (Safran et al. 2011) einer tragfähigen therapeutischen Beziehung eine besondere Bedeutung zukommt. Innerhalb dieser therapeutischen Arbeitsbeziehung können durch spezifische Interventionen Prozesse zur Förderung der Mentalisierungsfähigkeit (Fischer-Kern et al. 2015), der Einsicht von Patienten (Jennissen et al. 2018) und deren interpersonellen Fähigkeiten (Crits-Christoph et al. 2010) in Gang gesetzt werden. Dies könnte – trotz bisher fehlender Evidenz – bedeuten, dass die sichere und kompetente Anwendung psychodynamischer Interventionen zur Verbesserung der therapeutischen Beziehung und damit auch zum Erfolg der Therapie beiträgt.

Internationale Untersuchungen von Novizen, die am Beginn ihrer Tätigkeit als Behandler stehen, haben ergeben, dass diese sich sowohl um ihre technischen Fertigkeiten sorgen als auch darum, inwieweit sie sich ihrer eigenen inneren Reaktionen bewusst sind, um mit diesen im therapeutischen Prozess adäquat umzugehen (Hill et al. 2007). Dies spiegelt sich u. a. in der Beobachtung wider, dass sich Therapeuten in Ausbildung zu Beginn ihrer selbstständigen Behandlung ambulanter Patienten als stark herausgefordert und unter Stress erleben (Taubner et al. 2010). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sowohl internationale Befragungen als auch Studien aus dem deutschsprachigen Raum (Nikendei et al. 2018) zeigen, dass Praxiselemente und praktische Übungen als besonders wertvoll wahrgenommen werden sowie deren praxis- und handlungsorientierte Vermittlung gefordert wird.

Vermittlung psychotherapeutischer Kompetenzen in der Ausbildung psychodynamischer Psychotherapie

Psychodynamische Interventionen stehen im Spannungsfeld zwischen Beziehungsaufbau und Vermittlung therapeutischer Veränderungsprozesse. Trotz dieser bedeutsamen Stellung beschäftigen sich lediglich wenige Studien, die therapeutische Interventionskompetenzen im Rahmen spezifischer Trainingsprogramme fokussieren, mit deren Wirksamkeit z. B. in einer signifikanten Zunahme der Häufigkeit spezifischer psychodynamischer Techniken in der Patientenbehandlung. Hierzu zählen z. B. die Identifizierung wiederkehrender Erlebens- und Verhaltensmuster sowie die Fokussierung auf Träume und Fantasien (Hill und Lent 2006). Im Rahmen dieser Programme, wie z. B. dem „Helping Skills Training“ (Hill und Lent 2006), werden für alle Therapieschulen relevante Interventionen („common factors“), wie die Technik des Spiegelns oder das Stellen offener Fragen, in Peer-Rollenspielen geübt. Der Einsatz von standardisierten Patienten, der in der Ausbildung von angehenden Ärzten nicht mehr wegzudenken ist, stellte in der psychotherapeutischen Ausbildung bislang noch eine Seltenheit dar. Nach der neuen Approbationsordnung vom März 2020 ist dieser für das Masterstudium und die Approbationsprüfung zwar explizit vorgesehen, allerdings sind den Autoren keine Konzeptionen entsprechender longitudinaler Curricula bekannt. Das DYNAMIK-Curriculum soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Studien zur Arbeit mit Peer-Rollenspielen und standardisierten Patienten

Im deutschsprachigen Raum existieren nur wenige Untersuchungen zur Vermittlung psychodynamischer Kompetenzen mithilfe von Peer-Rollenspielen und standardisierten Patienten. Beim Peer-Rollenspiel, also dem Rollenspiel innerhalb einer Gruppe von Ausbildungsteilnehmern, nehmen einzelne Gruppenmitglieder klassischerweise die Rolle des Patienten, Behandlers oder des Beobachters ein. Dieses Setting ermöglicht es den Therapeuten in Ausbildung, im Rahmen der Peer-Rollenspiele auch die Innensicht des Patienten zu erleben (Bosse et al. 2012). Ehrenthal (2019) untersuchte den subjektiven Kompetenzzuwachs von Masterstudenten der Psychologie in einem erfahrungsbasierten, praxisorientierten Seminar zur psychodynamischen Kurzzeittherapie unter dem Einbezug von Peer-Rollenspielen. Es zeigten sich ein signifikanter subjektiver Kompetenzgewinn sowie eine hohe Akzeptanz erfahrungsbasierter Lehrformate.

Rollenspiele in Kombination mit deren Aufzeichnung per Video und anschließender (wertschätzender) Evaluation in der Gruppe sind ebenfalls zentrales Element des allianzfokussierten Trainings (Eubanks-Carter et al. 2015), das aktuell in Pilotprojekten auch in Deutschland implementiert wird (Gumz 2020; Gumz et al. 2018). Es erweist sich als wirksam darin, die therapeutischen Skills Selbstwahrnehmung, Affektregulation und Beziehungskompetenz zu schulen, um diese im Kontext von Brüchen in der therapeutischen Beziehung so einzusetzen, dass Krisen im Therapieprozess konstruktiv genutzt und mit dem Patienten gemeinsam bewältigt werden können (Safran et al. 2014).

Der Begriff standardisierte Patienten bezeichnet (simulierende oder reale) „Schauspiel“-Patienten, die dafür trainiert werden, ihre erlernte (oder tatsächliche) Erkrankung in einer gleichbleibenden Art und Weise für Lehrzwecke im Kontext von Rollenspielen zu präsentieren (Barrows 1968). Standardisierte Patienten werden als sehr realistisch wahrgenommen und sind darin geschult, ein professionelles Feedback zu ihrer Wahrnehmung der Interaktion mit dem Behandler zu geben (Schultz et al. 2018). Im Rahmen einer Prä-post-Studie untersuchten Partschefeld et al. (2013) 29 Ausbildungsteilnehmer bei einem Training von Gesprächskompetenzen nach Hill (2014) unter dem Einbezug von standardisierten Patienten. Die therapeutischen Fertigkeiten wurden sowohl aus der Perspektive der Selbst- als auch der Fremdbeurteilung nach der Absolvierung des Trainings als signifikant besser eingeschätzt. Darüber hinaus verbesserten sich empathische Fähigkeiten, Selbstwirksamkeitserleben und die therapeutische Allianz. Nikendei et al. (2019) untersuchten bei 20 Ausbildungsteilnehmern eines psychodynamischen Ausbildungsinstituts in einem Prä-post-Design den Einsatz von Rollenspielen mit Peers und standardisierten Patienten zum Erwerb psychodynamischer Interventionskompetenzen in Bezug auf 5 Interventionen (Klarifizieren, Spiegeln, Konfrontieren, Antworten und Deuten; Nikendei et al. 2019). Klarifizierende Interventionen wurden im Sinne von Transfereffekten in den Psychotherapiesitzungen häufiger und auch in der Fremdbeurteilung kompetenter eingesetzt. Der subjektive Lernerfolg korrelierte insbesondere mit dem positiven Erleben der Übung mit den standardisierten Patienten, dem als hilfreich erlebten Dozentenfeedback und einem antizipierten Transfer in den therapeutischen Alltag (Ehrenthal et al. 2020).

Der Einsatz standardisierter Patienten nicht nur in der praktischen Vermittlung psychotherapeutischer Kompetenzen, sondern auch in deren Prüfung – angelehnt an die in der Medizin etablierten „objective structured clinical examinations“ (OSCE) – wird gegenwärtig evaluiert. Er erweist sich als geeignete Prüfungsmethode, die zwar mit einem hohem Angstniveau aufseiten der Prüflinge verknüpft ist, aber dennoch als realistische, valide und faire Prüfungsmethode wahrgenommen und als positive Lernerfahrung beurteilt wird (Gumz et al. 2020; Kühne et al. 2020; Yap et al. 2012; Sheen et al. 2015). Wesentlich scheint die Fähigkeit der standardisierten Patienten zu sein, eine als authentisch erlebte klinische Situation herzustellen (Melluish et al. 2007).

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Darstellung der Entwicklung und Konzeption des longitudinalen Curriculums zur Vermittlung psychodynamischer Interventionskompetenzen („DYNAMIK“) anhand des Modells zur Curriculumsentwicklung nach Kern (Kern-Zyklus; Kern et al. 1998). Die vorgeschlagene Konzeption eignet sich zur didaktischen Gestaltung sowohl der Ausbildung psychologischer Psychotherapeuten als auch des zukünftigen „Psychotherapiestudiums“ mit nachfolgender Weiterbildung.

Methoden

Setting

Die Implementierung des DYNAMIK-Curriculums erfolgt derzeit am Heidelberger Institut für Psychotherapie (HIP; Schauenburg et al. 2019). Das HIP ist eine staatlich anerkannte Ausbildungsstätte, die an die Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Zentrum für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums Heidelberg angegliedert ist. Gegründet wurde das HIP 2010 und bietet seitdem jedes Jahr 20 Ausbildungsteilnehmern eine 5‑jährige Weiterbildung zum psychologischen Psychotherapeuten mit psychodynamischem Schwerpunkt (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie). Seit dem Jahr 2020 gibt es zudem einen systemischen Ausbildungszweig. Es existiert ein den Richtlinien entsprechendes Ausbildungscurriculum mit Vorlesungen, Seminaren, Theorie-Praxis-Gruppen und freier Spitze. Derzeit werden von den Ausbildungsteilnehmern am HIP über 500 aktiv laufende ambulante Psychotherapien unter Supervision durchgeführt (Stand: 05.06.2020).

Methodisches Vorgehen: Curriculumsentwicklung nach Kern

Die Konzeption des kompetenzbasierten DYNAMIK-Curriculums folgte dem Zyklus der Curriculumsentwicklung nach Kern et al. (1998). Die Steuerungsgruppe, bestehend aus 2 ärztlichen und 2 psychologischen wissenschaftlichen Mitarbeitern (C.N., U.D., J.D., I.M.), arbeitet/arbeitete hierfür eng mit dem Leitungsgremium des HIP zusammen. Sie verantwortet die Definition der zu vermittelnden Kompetenzbereiche, die Definition der einzelnen Lernziele, die Entwicklung des Stundenplans, die Auswahl der didaktischen Methoden sowie die Koordination der Implementierung und Evaluation des DYNAMIK-Curriculums. Für die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Module wurden weitere klinische Fachexperten als Kooperationspartner einbezogen (ST, TS, JE, HS).

Nachfolgend werden im Ergebnisteil die Resultate der einzelnen Entwicklungsschritte des Curriculums entsprechend dem Kern-Zyklus dargestellt, der sich in die Teilschritte A–F gliedert:

  1. A.

    Problemdefinition und allgemeine Bedarfsanalyse,

  2. B.

    Bedarfsanalyse der Zielgruppen,

  3. C.

    Definition der Lern- und korrespondierenden Prüfungsziele,

  4. D.

    Lehrstrategien,

  5. E.

    Implementierung,

  6. F.

    Evaluation.

Ergebnisse und Umsetzung

A Problemdefinition und allgemeine Bedarfsanalyse

Die Problemdefinition der unzureichenden kompetenz- und praxisorientierten Vermittlung psychodynamischer Interventionen im curricularen Teil der Ausbildung psychodynamischer Psychotherapeuten (Istzustand) wurde durch eine detaillierte Literaturrecherche in den Datenbanken PsycINFO, PubMed, Psyndex und Google Scholar mit den Suchbegriffen „psychotherapy training“, „role-play“, „standardized patients“, „psychodynamic interventions“ inhaltlich untermauert. Aus den in der Einleitung vorgestellten Forschungsarbeiten sowie aus den durch die Approbationsordnung vom März 2020 gestellten Anforderungen ist abzuleiten, dass allgemein ein dringender Bedarf an erfahrungsbasierten, kompetenzorientierten Lehrformaten zur Vermittlung psychodynamischer Interventionskompetenzen besteht.

B Bedarfsanalyse der Zielgruppe

Als Bedarfsanalyse der spezifischen Zielgruppe wurde eine freiwillige Befragung zu den Erwartungen und Wünschen bei 12 von 20 Ausbildungsteilnehmern zu Beginn ihrer tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie durchgeführt. Limitierend ist zu benennen, dass Dozenten und Lehrverantwortliche nicht in die Befragung eingeschlossen wurden. Die inhaltsanalytische qualitative Auswertung der halbstandardisierten Interviews ergab, dass sich die angehenden tiefenpsychologischen Psychotherapeuten praktische therapeutische Übungen in einem geschützten Rahmen mit einem besonderen Fokus auf die Patient-Therapeut-Beziehung wünschen (Nikendei et al. 2018). Damit war die allgemeine Bedarfsanalyse für die Zielgruppe bestätigt, und der Soll-Ist-Zustand entsprechend Kern et al. (1998) konnte abgeleitet werden.

C Definition der Lern- und Prüfungsziele

Als übergeordnetes Lernziel (Sollzustand) wurde definiert, dass „der Absolvent des longitudinalen DYNAMIK-Curriculums in der Lage ist, psychodynamische Interventionen, angepasst an die strukturellen Möglichkeiten und vordringlichen psychodynamischen Konfliktthemen des Patienten (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik [OPD]; Schauenburg et al. 2020), unter Reflexion der therapeutischen Beziehung und dem persönlichen Gegenübertragungserleben kompetent einzusetzen“. Somit soll er dazu befähigt werden, fallbezogene Reflexionsprozesse im Rahmen der Supervision ambulanter Therapien kompetenzorientiert zu ergänzen. Als thematische Bereiche wurden 8 Module festgelegt, innerhalb derer korrespondierende Lernziele von der Steuerungsgruppe zusammen mit den vorgesehenen Dozenten der Module expertenbasiert definiert wurden, um die dem thematischen Bereich zugehörigen psychodynamischen Interventionskompetenzen entsprechend zu trainieren. Auch bei originär transtheoretischen Ansätzen, wie etwa dem Umgang mit Brüchen der therapeutischen Arbeitsbeziehung, wurden die zugehörigen Interventionsstrategien in psychodynamische Modelle von konflikt- und strukturbezogenen Interventionsstrategien eingeordnet. Es wurde außerdem ein Modulelement zur Mentalisierungsfähigkeit integriert, da die zentralen Beziehungskonflikte implizieren, dass eine Zunahme an Einsicht und die zugehörige Fähigkeit zum Mentalisieren der eigenen Person und des Gegenübers zum Verständnis sowie der therapeutischen Klärung maladaptiver interpersoneller Muster führen können. Die Module VI bis VIII ermöglichen die Anwendung psychodynamischer Interventionen unter dem Blickwinkel unterschiedlicher Handlungsmodelle (Tab. 1).

Tab. 1 Modulstruktur, Modulthemen und Lernziele des DYNAMIK-Curriculums

D Lernstrategien

Entsprechend dem im Fokus stehenden Vorhaben der Vermittlung prozeduraler kommunikativer Kompetenzen wurde kongruent hierzu von der Steuerungsgruppe eine Methodik auf der Ebene „shows how“ der Pyramide von Miller (1990) gewählt. Dies bedeutet, dass die therapeutischen Kompetenzen in einem geschützten, simulierten Setting vermittelt werden, im Sinne von „Als-ob“-Situationen (Dieckmann et al. 2008). Die Definitionen von Rollenspielen und standardisierten Patienten (Barrows 1968) wurden in der Einleitung dieses Beitrags gegeben. Vorteile des Peer-Rollenspiels sind darin zu sehen, dass die Ausbildungsteilnehmer „ihre eigenen Patienten“ ins Seminar „mitbringen“, spielen und in der Rolle „ihrer Patienten“ auch deren Innenperspektive einnehmen (Bosse et al. 2012) können. Außerdem erhalten sie Einschätzungen sowie Rückmeldungen der Seminarteilnehmer und des Dozenten zu „ihren Fällen“. Der Vorteil der standardisierten Patienten offenbart sich in dem Umstand, dass diese dem Rollenspiel häufig einen größeren Realitätsgrad einer klinischen Situation verleihen können als im Peer-Rollenspiel. Sie ermöglichen es, den Handlungsrahmen des Rollenspiels besser aufrechtzuhalten, womit auch komplexere klinische/therapeutische Situationen darstellbar sind, und können ein strukturiertes, professionelles Feedback vermitteln (Schultz et al. 2018). Vergleichende Studien aus der Medizinerausbildung zum Training mit Peer-Rollenspielen einerseits und standardisierten Patienten andererseits liefern im Hinblick auf die erworbenen kommunikativen Kompetenzen weitgehend äquivalente Ergebnisse (Lane und Rollnick 2007). Um die jeweiligen Vorteile beider Methoden zu integrieren, wurde bei der Konzeption des Curriculums sowohl der Einbezug von Peer-Rollenspielen als auch von standardisierten Patienten vorgesehen. Neben dem Feedback von Peers, standardisierten Patienten und Dozenten werden den Teilnehmern die für die Evaluation (s. Abschn. „E Implementierung“) gewonnenen Daten der Prä-post-Selbsteinschätzung als auch die Prä-post-Videofilme personifiziert im Sinne eines digitalen Portfolios auf einem geschützten, personifizierten Laufwerk zur Verfügung gestellt.

Zur Vorbereitung der von den Peers einzubringenden Rollenspiele erhalten die Ausbildungsteilnehmer 3 bis 4 Tage vor dem Seminar eine Instruktion, in der sie darum gebeten werden, aus ihrer klinischen Arbeit heraus einen Patientenfall „mitzubringen“, anhand dessen sich die Intervention des Moduls möglicherweise gut üben lässt. Für das Modul der Widerstandsdeutung wäre dies beispielsweise ein Patientenfall, bei dem die Ausbildungsteilnehmer in ihrer Arbeit mit dem Patienten Widerstände ganz greifbar erlebt haben oder das Gefühl hatten, mit ihm „auf der Stelle zu treten“. Die Patientenfälle, die von den standardisierten Patienten verkörpert werden, folgen in ihrer Konzeption dem Ansatz von Schultz et al. (2018) sowie Schauenburg et al. (2020; Tab. 2). Hervorzuheben ist, dass die Rollenskripte der standardisierten Patienten Szenen umfassen, die sich vom Beginn bis zum Ende der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung erstrecken. So kann die Entwicklung des Patienten im Therapieverlauf spielerisch miterlebt und nachvollzogen werden.

Tab. 2 Konzeption eines Patientenfalls für das Rollenspiel mit standardisiertem Patienten (nach Schultz et al. 2018 und Schauenburg et al. 2020)

E Implementierung

Die Steuerungsgruppe eruierte zusammen mit dem Leitungsgremium die mögliche zeitlich-strukturelle Integration der 8 Module in das Ausbildungscurriculum des HIP (Schauenburg et al. 2019). Es wurde festgelegt, dass pro Ausbildungsjahr 2 der 8 Module stattfinden sollen. Ein Modul wird jeweils durch einen Modulleiter und 3 Kleingruppenleiter mit Erfahrung im jeweiligen Interventionsbereich geleitet. Ein Modul gliedert sich in einen Einführungsabend (Teil I) und ein Wochenendseminar (Teile II und III), deren zeitliche Abläufe in Tab. 3 dargestellt und deren Inhalte im Folgenden skizziert werden.

Tab. 3 Ablauf eines Moduls des DYNAMIK-Curriculums

Einführungsabend (Teil I; 2 Unterrichtseinheiten [UE]).

Der Dozent und Modulleiter vermittelt das theoretische Wissen zu den in diesem Modul behandelten Interventionen anhand eines Vortrags und der Literatur. Daraufhin illustriert er die Interventionen als Rollenmodell in direkter Interaktion mit einem standardisierten Patienten vor der Ausbildungsgruppe. Im Plenum wird das Vermittelte und Erfahrene reflektiert.

Wochenendseminar, Freitag (Teil 2; 4 UE).

Die Ausbildungsteilnehmer erproben und reflektieren ihre innere Haltung und die zu lernenden Interventionen in 7‑minütigen Rollenspielen mit ihren Peers in Kleingruppen (n = 5) im geschützten Rahmen. Sie nehmen die Perspektive des Patienten, des Therapeuten oder eines beobachtenden Dritten ein. Die Übungen werden jeweils videografiert. Feedback erhalten sie über die Sichtung der Videoaufnahmen und von ihren Peers, moderiert durch den Seminarleiter. Dieser fasst die „teachable moments“ der Übungssequenz zum Abschluss zusammen und erweitert um fehlende Aspekte.

Wochenendseminar, Samstag (Teil 3; 6 UE).

In Kleingruppen üben die Ausbildungsteilnehmer die Interventionen mit einem standardisierten Patienten. Die Szenen stellen jeweils Ausschnitte aus psychotherapeutischen Sitzungen dar, die den zeitlichen Bogen vom Beginn bis zum Ende der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung umfassen. Ein Beispiel der Instruktion für den standardisierten Patienten und den Teilnehmer, der die Rolle des Therapeuten übernimmt, zeigt Tab. 4. Die Übungen werden jeweils videografiert. Nach ihrer Übungseinheit reflektieren die Ausbildungsteilnehmer ihr Rollenspiel jeweils zunächst selbst anhand des Videos, erhalten dann das Feedback des standardisierten Patienten und schließlich Rückmeldungen der Kleingruppe, moderiert durch den Seminarleiter. Feedback ist als eine „differenzierte Rückmeldung und Information zum Vergleich eines zu beobachtenden Verhaltens eines Ausbildungsteilnehmers mit einem erwünschten Qualitätsstandard zu verstehen, mit der Intention, die Handlungskompetenz der Lernenden zu verbessern“ (van de Ridder et al. 2015). Feedbackprozesse stellen generell einen relevanten Faktor für das Lernen in ganz unterschiedlichen Kontexten dar (Ehrenthal et al. 2019). Zum Abschluss der Feedbacksequenz fasst der Dozent die „teachable moments“ der Übungssequenz zusammen und erweitert diese um fehlende Aspekte. Der Ablauf der Kleingruppenarbeit und der Feedbackalgorithmus sind in Tab. 5 illustriert.

Tab. 4 Vignette als Einstieg in ein Rollenspiel mit Ausbildungsteilnehmer und standardisiertem Patienten aus dem Modul „Basisinterventionen im Kontext von Übertragung und Gegenübertragung“
Tab. 5 Ablauf der Kleingruppenarbeit und Feedbackalgorithmus (modifiziert nach Schultz et al. 2018)

F Evaluation

Für die Bewertung der einzelnen Module ist eine Mehrebenenevaluation vorgesehen, die die im Folgenden beschriebenen Aspekte umschließt.

Akzeptanz der Module und Modulelemente.

Von den Teilnehmern werden der Theorievortrag, das Rollenspiel des Dozenten, das Training mit den Peer-Rollenspielen und standardisierten Patienten, das Videofeedback und das Feedback der Peers, der standardisierten Patienten und der Dozenten auf Likert-Skalen bewertet. Im Freitext schildern sie ihre zentralen persönlichen Lernerfahrungen und Erkenntnisse dieses Moduls.

Erfassung des subjektiv empfundenen Kompetenzzuwachses und Transferpotenzials.

Die Selbsteinschätzung der Interventionskompetenz werden vor und nach dem jeweiligen Modul im Hinblick auf theoretische Inhalte, den subjektiv erlebten Kompetenzzuwachs und die wahrgenommene Fähigkeit, die erlernten Aspekte im Transfer in den eigenen Patientenbehandlungen anzubringen, auf Likert-Skalen erfasst.

Videoevaluation.

Die Teilnehmer werden jeweils vor und nach einem Modul in Rollenspielen von standardisierten Szenen mit standardisierten Patienten videografiert, in denen sie die Aufgabe haben, einer Instruktion folgend, die Intervention, die jeweils Thema des Moduls ist, im Rollenspiel zu demonstrieren. Die gefilmte Episode dient sowohl einem Prä-post-Assessment als auch als einem persönlichen Lernportfolio der Teilnehmer. Die Videos des Prä-post-Assessments werden nach Abschluss der Implementierung von Ratern, die hinsichtlich des Messzeitpunkts verblindet sind, anhand von Checklisten zu inhaltlicher, sprachlicher sowie patienten- und situationsbezogener Umsetzung der Intervention (interventionsspezifische Checkliste) und globalen Rating-Skalen zur Kommunikation beurteilt (Nikendei et al. 2019; Wass et al. 2001).

Befragung der Teilnehmer im Rahmen von halbstandardisierten Interviews.

Die Teilnehmer werden mithilfe halbstandardisierter „Face-to-face“- und Telefoninterviews zu Aspekten von Inhalt, Methodik und Transfer in die eigenen Patientenbehandlungen befragt und die Transkripte inhaltsanalytisch ausgewertet.

Diskussion und Ausblick

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war die Darstellung der Konzeption, Gestaltung und Implementierung eines longitudinalen Curriculums zur Vermittlung psychodynamischer Interventionskompetenzen in der Ausbildung der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie. Im neuen Psychotherapiestudium an den psychologischen Instituten der Universitäten wird der praxisorientierte und kompetenzbasierte Unterricht in den anerkannten Methoden und Verfahren eine zentrale Rolle spielen. Hier wird einer frühen, longitudinalen und spiralförmigen Integration handlungsorientierter Lehrformen eine große Bedeutung zukommen. Bei der Entwicklung und Implementierung des vorgestellten DYNAMIK-Curriculums wurde sich an den Schritten des Kern-Zyklus orientiert.

Zentrale didaktische Elemente dieses Curriculums sind die Rollenspiele mit Peers und standardisierten Patienten. Solche Simulationsmethoden bieten eine geschützte Umgebung, innerhalb derer therapeutische Interventionen „fehlerverzeihend“ unter Berücksichtigung von Übertragungs- und Gegenübertragungsaspekten erprobt werden können. Insofern ist es sinnvoll – wie im DYNAMIK-Curriculum konzeptionell verankert –, diese Lehr- und Lernmethoden bereits vor der Zwischenprüfung und damit vor der eigentlichen Behandlung ambulanter Psychotherapiepatienten einzusetzen. Das Peer-Rollenspiel ist die „kostengünstigere“ und „unaufwendiger verfügbare Methode“ (Bosse et al. 2012), die ein tiefgreifendes Verstehen der Patientensituation und -wahrnehmung sowie der Patient-Therapeut-Beziehung ermöglicht. Allerdings induziert das Peer-Rollenspiel bei den am Rollenspiel aktiv Beteiligten eher eine „unnatürliche“ Bandbreite der Rolle (Dieckmann et al. 2008). So kann es z. B. zur gehäuften Darstellung sehr schwieriger, im Alltag jedoch selten anzutreffender Therapiesituationen kommen, die den Übungscharakter erschweren können. Standardisierte Patienten hingegen stabilisieren den Handlungsrahmen und ermöglichen damit auch die Umsetzung klinisch komplexer Szenarien. Es ist sicherlich notwendig, die differenziellen Vor- und Nachteile sowie spezifischen (zeitlichen) Einsatzmöglichkeiten von Peer-Rollenspielen und Rollenspielen mit standardisierten Patienten in der psychotherapeutischen Ausbildung weiter zu beleuchten. Sie sollten zukünftig einen Fokus der Psychotherapieausbildungsforschung bilden.

Den eigentlichen Wirkfaktor und das handlungsmodifizierende Agens stellt jedoch das Element des Feedbacks durch Peers, Dozenten und Video dar. Feedback umfasst die Bestandteile „Beobachtung“, „Bewertung“, „Anleitung“ und „Unterstützung“ (Tuma und Nassar 2020). Qualitativ hochwertiges Feedback ist lernerzentriert sowie dialog- und diskussionsbasiert. Im Fokus stehen die vom Lernenden eingebrachten Aspekte, wobei es sich anbietet, mit positiven Aspekten, die dem Lernenden aufgefallen sind, zu beginnen, ehe zu kritischen Aspekten übergegangen wird (Pendleton et al. 2003). Feedback regt fokussierte, selbstreflexive Prozesse und die Auseinandersetzung mit dem eigenen therapeutischen Handeln an. Von Bedeutung ist die Einhaltung von „Feedbackregeln“ aller am Feedbackprozess Beteiligten, denen die Feedbackkriterien vermittelt werden müssen, da nur ein wertschätzendes Feedback Verhaltensänderungen anstoßen kann.

Unabhängig von der Therapieschule zeigen Teilnehmer in der Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten einen ausgeprägten Wunsch nach engmaschigem und kontinuierlichem Feedback, um individuelle Muster und Schwächen frühzeitig zu erkennen und die Entwicklung eigener therapeutischen Fähigkeiten zu fördern. Feedback entfaltet insbesondere im Zusammenhang mit dem wiederholten, korrigierenden Üben seine Wirksamkeit („deliberate practice“; Ericsson et al. 1993). Allerdings ist zu beachten, dass die Wirkung von Feedback von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren abhängt, wie z. B. von Form und Inhalt der Rückmeldung, von der Art und Komplexität der zu leistenden Aufgabe, der Beobachtungsqualität des Feedbackgebers und der (subjektiven) Wahrnehmung des Feedbackempfängers (van de Ridder et al. 2015).

Im Rahmen des DYNAMIK-Curriculums wird neben dem Peer‑, Schauspieler- und Dozentenfeedback auch das Videofeedback zum Einsatz gebracht, das im Vergleich zu „herkömmlichem“ Feedback den Vorteil hat, dass sich Lernende aus einer Metaebene selbst beobachten und damit das eigene Handeln selbstreflexiv evaluieren können (Ozcakar et al. 2009). Im Hinblick auf die Einsatzmöglichkeiten und Wirkungsweise der verschiedenen Feedbackformate existieren bisher innerhalb der Psychotherapieausbildungsforschung keine differenziellen Erkenntnisse; auch sie sollten daher Gegenstand zukünftiger Forschung sein.

Die Vermittlung handlungsorientierter psychotherapeutischer Kompetenzen erfordert zudem die Implementierung und Integration von Prüfungsformen, innerhalb derer das beobachtbare Verhalten evaluiert, beurteilt und bewertet werden kann. Im Sinne eines „constructive alignment“ (Biggs und Tang 2007) sollte die Lehr‑/Lerneinheit auf der korrespondierenden Stufe der sog. Miller-Pyramide geprüft werden. Dies bedeutet, dass Lehr- und Lernformen, die sich – wie das DYNAMIK-Curriculum – auf der Stufe des „shows how“ befinden, hier also therapeutisches Handeln in einem simulierten Rahmen in Annährung an die Realität demonstriert werden muss, auch auf der Stufe des „shows how“ geprüft werden sollte. Für eine Prüfung handlungsorientierter psychotherapeutischer Kompetenzen böte sich in Anlehnung an die in der Medizin weit verbreite Prüfungsform OSCE (Wass et al. 2001) entsprechend eine „objektive structured therapeutic examination“ (OSTE) an. Bei einer solchen OSTE würden die Ausbildungsteilnehmer in mehreren Prüfungsstationen mit definierten Aufgabenstellungen konfrontiert und anhand standardisierter Rating-Skalen evaluiert (Nikendei und Jünger 2006). Während die OSCE an medizinischen Fakultäten in Deutschland weit verbreitet ist, existieren für die psychotherapeutische Ausbildung kaum Berichte über die Entwicklung und Implementierung eines solchen Prüfungsformats. Dies wäre aber neben der Leistungsevaluation von besonderer Relevanz, da handlungsorientierte Prüfungsformate das Lernverhalten im Sinne eines „assessment drives learning“ (Buss et al. 2012) positiv steuern.

Fazit

  • Das vorgestellte DYNAMIK-Curriculum stellt die Konzeption und Implementierung eines in die aktuelle Ausbildung von psychologischen Psychotherapeuten integrierten longitudinalen Curriculums zur Vermittlung psychodynamischer Interventionskompetenzen dar.

  • Der konzeptuelle Ansatz oder einzelne Bestandteile hiervon eignen sich auch für die Integration in das zukünftige „Psychotherapiestudium“, die zukünftige Weiterbildung, institutsübergreifende Initiativen oder als einzelne Kursangebote an Ausbildungsinstituten.

  • Es zeigt sich, dass solch eine longitudinale Verankerung möglich und umsetzbar ist. Herausforderungen sind im hohen personellen Aufwand, der v. a. der Kleingruppenarbeit geschuldet ist, und dem kostenintensiven Einsatz der standardisierten Patienten zu sehen.

  • Zudem impliziert die Vermittlung psychotherapeutischer Interventionskompetenzen auch deren praktische Prüfung, die ebenfalls eines hohen Maßes an Logistik und finanzieller Aufwendungen bedarf.

  • Zukünftige Forschungsfragen betreffen die Transferleistung der Lernerfahrungen eines solchen Curriculums in die Ausbildungstherapien und deren Einfluss auf das „Outcome“ dieser Therapien.