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Publicly Available Published by De Gruyter December 1, 2020

Editorial

  • Annelies Häcki Buhofer
From the journal Yearbook of Phraseology

Der Blick auf die Beiträge der diesjährigen Ausgabe des Jahrbuchs lässt einige Schwerpunkte erkennen. Zum einen zeigt sich ein Interesse für die Förderung der phraseologischen Sprachkompetenz von Erwachsenen, konkret von Studierenden, die Fachaufsätze schreiben oder übersetzen. Sie sollen durch die Vermittlung nützlicher Wortverbindungen Hilfestellung erhalten oder auf vermeidbare Fehler hingewiesen werden. Nebst solch „angewandten“ Fragestellungen enthält das vorliegende Jahrbuch (nach wie vor notwendige) generellere Studien, zum Beispiel zum einzelsprachlichen Gebrauch von Phraseologismen im Spanischen in informellen und formellen Situationen oder zur verbesserten Entdeckung von Mehrworteinheiten mithilfe von maschinellen Tools, mit dem Ziel einer besseren maschinellen Übersetzung. Auch konzeptuelle und historische Fragestellungen stehen glücklicherweise im Fokus des Interesses.

Attapol Khamkhien (Kasetsart Universität, Thailand) und Sue Wharton (Universität Warwick, England) beschäftigen sich mit Mehrworteinheiten aus 120 linguistischen Forschungsartikeln und analysieren einen möglichen Zusammenhang von häufigen Mehrworteinheiten und pädagogischer Brauchbarkeit, die durch die Befragung von Fachpersonen erhärtet werden soll. Das Ziel besteht darin, Englischlehrpersonen mit einer Liste von pädagogisch hilfreichen Mustern von Mehrworteinheiten auszurüsten, die sie ihren Studierenden, die Englisch als Fremdsprache – in diesem Fall vom Thai her – schreiben, vermitteln können. Mehrworteinheiten werden maschinell aufgespürt und sind daher gerade in Fachkontexten oft nicht phraseologisch in einem engeren Sinn (so beispielsweise Mehrworteinheiten wie „Jane Austen’s novels“ oder „low vocabulary subjects“).

Raluca Nita (Universität Poitiers, Frankreich) und Ramón Martí Solano (Universität Limoges, Frankreich) nehmen sich einen besonders schwierigen Aspekt für die Übersetzung von Englisch aus der Sicht von FranzösischsprecherInnen vor, nämlich das Erkennen von modifizierten lexikalischen Einheiten und die Gründe für das Nichterkennen und Fehlübersetzen, welche die AutorInnen in der unterstellten Nähe zu muttersprachlichen Ausdrücken sehen.

Wenn Mehrworteinheiten diskontinuierlich sind, sind sie schwieriger zu entdecken, als wenn sie in einer syntagmatischen Folge stehen: für die maschinelle Übersetzung mithin ein Problem, das der Beitrag von Carlos Manuel Hidalgo-Ternero und Gloria Corpas Pastor (Universität Malaga, Spanien) mit Bezug auf die Übersetzung vom Spanischen ins Englische angeht. Die AutorInnen stellen die Entwicklung einer App vor, die solche diskontinuierlichen Mehrworteinheiten entdecken soll. Der Weg führt über mögliche diskontinuierliche Formen, das Aufspüren von relevanten Resultaten und die Unterscheidung von irrelevanten Resultaten (die nicht gefunden werden sollten). Der Vergleich mit Google Translate und DeepL zeigt die Vorteile einer entsprechend befähigten App auf.

Enrique Gutiérrez Rubio (Palacky-Universität Olomouc, Tschechien) geht für das Spanische der Frage der verwendeten Phraseologismen unter formalen und informellen Bedingungen nach. Dafür nutzt er zwei orale Korpora, seinen eigens erstellten Korpus zur spanischen Version der TV-Sendung „Big Brother“ (Gran Hermano) und den CREA-Subkorpus „CREA oral“. Dabei interessiert ihn auch die individuelle Bevorzugung und Verwendungshäufigkeit der gefundenen Phraseologismen, was voraussetzt, dass die individuellen Beiträge relativ lang ausfallen. Es zeigt sich, dass sich die Sprechenden auch in der Muttersprache – und nicht nur, wie bekannt, in Fremdsprachen – durch unterschiedliche Häufigkeiten von vor allem auch kolloquialen Phraseologismen auszeichnen.

Antonio Pamies-Bertrán und Wang Yuan (Universität Granada, Spanien) vergleichen die Konzeptualisierung der Zeit in räumlichen Kategorien. Sie ist aus europäischen Sprachen, insbesondere dem Englischen bekannt; unbekannt war jedoch, ob das Chinesische als nichteuropäische Sprache dieselben Versprachlichungen vornimmt. Die Ergebnisse deuten in Richtung der Allgemeinheit dieser Metaphern-Richtung.

Die Tatsache, dass Idiome im Unterschied zu Lexemen oftmals so vielfältig paraphrasiert werden können, führt immer wieder dazu, dass sie als „komplizierte“ Spracheinheiten aufgefasst werden. So werden sie auch von Anna Sulikowska (Universität Szczecin, Polen) als motiviert, expressiv, doppeldeutig, bildlich und bildhaft sowie insgesamt mit zusätzlichem semantischem Wert gesehen. Die Autorin betrachtet diese bekannten Effekte in Übereinstimmung mit einer langen Theorie-Tradition in Zusammenhang mit der Doppeldeutigkeit und der Polylexikalität der Idiome. Mit solchen Fragestellungen kommen wir immer wieder auf die Anfänge der Phraseologie – in diesem Fall auf die Publikationen von Irina Černyševa – zurück. Die Autorin sucht Idiome im DWDS-Korpus und unterzieht die Korpusbelege einer eingehenden semantischen Analyse. Die Arbeit führt sie zum Schluss, dass die lexikalisierten Bedeutungen von Idiomen hypostasiert sind bzw. Idiombedeutungen sich wie Amöben in ihrer Gestalt – ihrer bedeutungsmässigen Gestalt – laufend ändern.

Auf Anfänge, die weiter zurückgehen als in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, bezieht sich auch der Beitrag von Ma Isabel González-Rey (Universität Santiago de Compostela, Spanien). Die Autorin stellt Hippolyte-Auguste Duponts französische Arbeit aus dem Jahre 1833 vor, die den Titel Phraséologie française élémentaire trägt. Ausgangspunkt des Interesses ist hier der verwendete Terminus „phraséologie“. Der Artikel analysiert die Arbeit und vergleicht sie mit der bekannten historischen Stylistique von Bally von 1909. Dupont verwendet das Konzept der Phraseologie für Phänomene der Syntax, also nicht im heutigen Sinne als lexikalische Phänomene mit einem Übergangsbereich zur syntagmatischen Ebene der Syntax, die vor allem durch die maschinelle Suche von Mehrworteinheiten an Bedeutung gewinnt.

Leider haben wir auch dieses Jahr einen grossen menschlichen und fachlichen Verlust zu beklagen: Gertrud Gréciano ist nicht mehr unter uns. Wir verlieren damit ein Gründungsmitglied der Europäischen Gesellschaft für Phraseologie. Gertrud Gréciano hat mit ihrer intensiven Forschungstätigkeit (an der Universität Strassburg/Saverne) und ihrem unermüdlichen Engagement die Phraseologie in Lehre und Forschung in Frankreich, aber auch im internationalen Kontext massgeblich geprägt. Sie war eine Freundin und mütterliche Beraterin für uns alle, vor allem auch für den phraseologischen Nachwuchs, dessen Angehörige sie sehr gefördert hat. Zu ihrem ehrenvollen Gedenken hat Laurent Gautier einen Nachruf verfasst.

Die Buchrezensionen zum Schluss dieses Jahrbuchs behandeln vier Publikationen mit einer grossen thematischen Bandbreite: zur Computer-Phraseologie, zur Diskurs- und Textphraseologie mit Bezug auf das Spanische und das Verhältnis Spanisch–Deutsch, zu Mustern in Sprache und Kommunikation sowie zum Kontaktphänomen des Englischen und Spanischen in den Vereinigten Staaten. Damit zeigen sie die erfreuliche Vielfalt der aktuellen phraseologischen Forschung auf.

Im Jahr 2021 wird die Herausgeberschaft des Jahrbuchs auf Carmen Mellado Blanco (Universität Santiago de Compostela, Spanien) und Fabio Mollica (Universität Mailand, Italien) übergehen. Ich wünsche den beiden viel Glück und Erfolg und hoffe, dass weiterhin vielseitige, spannende Artikel eingereicht werden, sowohl durch bestandene ForscherInnen als auch durch jüngere WissenschaftlerInnen. Möge das Jahrbuch weiterhin dazu beitragen, den Kontakt und Austausch zwischen ForscherInnen aus aller Welt zu fördern und die Sache der Phraseologie im Sinne der Gründungsmitglieder, der ehemaligen PräsidentInnen, der jetzigen Präsidentin und aller Mitglieder und Interessierten weiterzuentwickeln.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Dr. Janine Wilhelm bedanken, die mit ihrem Unternehmen Premia Text die Geschäftsführung für die letzten vier Nummern übernommen hat und mir damit eine grosse Hilfe und Stütze war. Sie wird auch den Übergang der Herausgeberschaft begleiten.

Wir wünschen dem Jahrbuch geneigte Leserinnen und Leser und hoffen, dass die darin enthaltenen Gedanken und Analysen auf fruchtbaren Boden fallen und anregend wirken.

Zug – im Juli 2020

Published Online: 2020-12-01
Published in Print: 2020-11-25

©2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 24.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/phras-2020-0002/html
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