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Publicly Available Published by De Gruyter December 1, 2020

Book reviews

From the journal Yearbook of Phraseology

Reviewed Publication:

Stein Stephan Stumpf Sören Muster in Sprache und Kommunikation. Eine Einführung in Konzepte sprachlicher Vorgeformtheit (Grundlagen der Germanistik 63) Berlin Erich Schmidt 2019 337 S. ISBN 978-3-503-18183-4


Das vorliegende Buch, ausdrücklich als Einführung deklariert, ist eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Autor*innen. Zwar haben Stephan Stein (Kap. 3 u. 5) und Sören Stumpf (Kap. 2 u. 4) den Großteil der elf Kapitel – teils gemeinsam (Kap. 1, 10 u. 11) – verfasst, drei stammen aber aus der Feder anderer Autor*innen: Kapitel 7 zu Argumentationsmustern, Metaphern und Denkstereotypen von Martin Wengeler, Kapitel 8 zur Musterhaftigkeit im Spracherwerb von Natalia Filatkina und Kapitel 9 zu Musterhaftigkeit und sprachlichen Varietäten von Andrea Bachmann-Stein. Außerdem war Carina Hoff am Kapitel 6 zu Mustern auf der Gesprächsebene beteiligt. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass alle Inhalte in Seminaren mit Studierenden ausführlich diskutiert wurden.

Ausgangspunkt des Bandes ist die Überzeugung der Autor*innen, dass „Idiomatik, Festigkeit, Formelhaftigkeit, Modellhaftigkeit, Vorgeformtheit usw. keine Randphänomene einer Sprache sind, sondern dass sprachliche Musterhaftigkeit vielmehr ein grundlegendes und überaus facettenreiches Wesenselement natürlicher Sprachen ist“ (S. 11). „Sprachteilhaber*innen“ greifen in der Tat sowohl mündlich als auch schriftlich in mehr oder weniger starkem Maße auf Muster zurück, die nicht nur bei Phrasemen, sondern in allen Bereichen von Sprache und Kommunikation zu finden sind. Da laut Stein und Stumpf eine Gesamtdarstellung zur Musterhaftigkeit bis dato nicht vorliegt, verfolgt der vorliegende Band das Ziel, „einen Überblick über die vorgeformten sprachlichen Phänomene der deutschen Gegenwartssprache zu geben und anhand authentischer Beispiele die jeweiligen Charakteristika sowie die kommunikative Relevanz von Musterhaftigkeit herauszuarbeiten“ (S. 11). Die Autoren erheben den Anspruch, dass ihr Band – auch in anderer Reihenfolge – als Einführung in die jeweiligen Bereiche der Musterhaftigkeit dienen kann.

Im Anschluss an die Vorstellung eines Konzeptes und Verständnisses sprachlicher Musterhaftigkeit (Kap. 1) werden in einem ersten großen Teil zunächst unterschiedliche Ebenen von Musterhaftigkeit präsentiert (Kap. 2 bis 7). Ein zweiter Hauptteil behandelt daraufhin ebenenübergreifende Phänomene sprachlicher Musterhaftigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven (Kap. 8 bis 10).

Wenn am Anfang jedes Kapitels typische Beispiele für die jeweilige Form der Musterhaftigkeit angeboten werden, so stehen den Leser*innen am Ende jedes Kapitels kurze und klare Zusammenfassungen der wesentlichen Aspekte sowie Hinweise zu „weiterführender Lektüre“ zur Verfügung.

„Erläutert“ wird Musterhaftigkeit – eine klassische Definition i. e. S. liefern die Autoren nicht – über extensionale und intensionale Faktoren. Eine extensionale Bestimmung dessen, was Musterhaftigkeit ausmacht, ist aufgrund des stark heterogenen Gegenstandsbereiches, der Grenzziehungen zwischen nicht nur lexikalisch geprägten Phänomenkonstellationen fast unmöglich macht, wobei dieser sich überdies ständig ausweitet, zum gegenwärtigen Forschungsstand kaum zu leisten. Die Autoren legen deshalb ein sehr weitgefasstes Begriffsverständnis von Musterhaftigkeit zugrunde und ordnen Vorgeformtheitsphänomene „grob“ nach deren Ausmaß lexikalischer Spezifiziertheit (s. die Übersicht auf S. 18). Als wesentliche Bestimmungsgrundlage dienen dabei Rekurrenz und Usualität, die mit korpuslinguistischen Untersuchungsverfahren zu erheben sind (vgl. S. 15–18). Vorgeformtheit betrifft i. Ü. nicht nur phraseologische Ausdrücke im bekannten Sinne, sondern auch „constructions“ i. e. S. und „kommunikative Gattungen“, was bedeutet, dass Musterhaftigkeit keinesfalls einen Randbereich sprachlichen Handelns darstellt (S. 23). Allerdings erfolgt eine Abgrenzung von der Konstruktionsgrammatik (KxG), da deren Konzept – zumindest die Goldberg’scher Prägung – im Grunde „alles syntaktische Inventar“, z. B. auch Morpheme oder Passivkonstruktionen, einbezieht und daher von den Autoren als zu weitgehend eingeschätzt wird (S. 24–25).

Eine intensionale Begriffsbestimmung – „Was heißt ‚sprachliche Musterhaftigkeit?‘“ (S. 19) –, selbst wenn die Autoren auch diese für „ausgesprochen schwierig“ halten, kann dennoch über „ein übereinstimmendes wesentliches Grundmerkmal“ erfolgen, nämlich das der ‚Wiedererkennbarkeit‘, die über das wiederholte Auftreten eines Musters bestimmt wird (S. 19).

Wiedererkennbarkeit kann dabei auf allen o. a. Ebenen vorliegen und neben lexikalisch mehr oder weniger stark verfestigten auch „abstrakte Strukturen“ umfassen. Wiedererkennbarkeit liegt auch deshalb vor, weil kompetente Kommunikationsteilnehmer*innen auf „historisch gewachsene und sozial eingespielte, im Sprachgebrauch jedoch anpassbare und wandelbare Erscheinungsformen, die kognitiv verankert bzw. internalisiert sind“ (S. 19), zurückgreifen können. Neben rekurrentem Gebrauch nennen die Autoren des Bandes zudem konventionalität, historizität, (re-)aktualisierung bzw. reproduzierbarkeit sowie situative anpassbarkeit, individuelle veränderbarkeit und gesellschaftliche wandelbarkeit im Rahmen der intensionalen Begriffsbestimmung von Musterhaftigkeit (S. 19). Zu deren Analyse werden „authentische Spracherzeugnisse“ aus dem Bereich mündlicher und schriftlicher Gebrauchstexte als Resultate von Formulierungs- oder Textherstellungshandlungen herangezogen, wobei fiktionale Texterzeugnisse nicht prinzipiell auszuschließen sind.

Als Oberbegriff für sprachliche Vorgeformtheit auf den unterschiedlichsten Ebenen ziehen Stein und Stumpf in Abgrenzung zu anderen Ansätzen musterhaftigkeit vor, einen Begriff, den sie für „theoretisch unvorbelastet, anschaulich und […] allgemeinverständlich“[1] (S. 25) halten und der geeignet ist, „die z. T. auf ganz unterschiedlichen sprachlichen Ebenen angesiedelten Phänomene in ihrem gemeinsamen Kern zu erfassen“ (S. 25). Als „wesentliche Untersuchungs- und Beschreibungsaufgabe“ (S. 25) geht es darum, aus polyfaktorieller Perspektive ein möglichst breit gefächertes Merkmalbündel für das jeweilige Muster zu erfassen, sowohl formale, semantische, funktional-pragmatische und körpersprachliche Merkmale als auch die orthographische oder prosodische Realisierung, die situativ-kontextuelle Einbettung, die sequenzielle Positionierung, die varietätenspezifische Prägung oder auch text(sorten)bezogene Leistungen (vgl. S. 25).

Angesichts der Tatsache, dass die Merkmale bestimmter Musterkategorien (bspw. auf der Text-, Gesprächs- oder Diskursebene) teilweise weit über rein Sprachliches hinausgehen, wäre zweifellos eine Bezeichnung vom Typ vorgeformte kommunikative Einheiten angemessener, die einerseits alle möglichen Faktoren umfassen könnte, andererseits das alltagssprachlich vorbelastete musterhaft vermeiden würde. Es versteht sich von selbst, dass der inkriminierte Ausdruck präformierte Konstruktionseinheit sich allein auf Sprechakte oder vorgeformte kommunikative Einheiten beziehen könnte, die Bestandteil eines solchen sind.

Zur Beschreibung der anvisierten Mustertypen greifen die Autoren auf drei theoretische Konzepte zurück. Dies ist zunächst das aus der Phraseologie stammende Zentrum-Peripherie-Modell, das auf der Existenz von typischen und weniger typischen Vertretern einer Klasse beruht, also einem prototypischen Kernbereich und einem Randbereich. Um eine generelle Anwendbarkeit auf sprachliche Musterhaftigkeit zu gewährleisten, erweitern die Autoren dieses Modell um die o. a. Mustertypen. Im Zentrum stehen zwar nach wie vor idiomatische Mehrworteinheiten; Routineformeln, Kollokationen und Modellbildungen rücken aber nun von der bisherigen Peripherie nach vorn in einen Bereich zwischen Zentrum und Peripherie, während außerhalb des Gegenstandsbereiches der Phraseologie gelagerte vorgeformte Phänomene wie „rituelle Muster im Gespräch und Argumentationsmuster“ in die Peripherie rücken (vgl. S. 27).

Im Anschluss an Feilkes gebrauchsorientiertes Ebenen-Modell idiomatischer Prägung, das Idiomatizität anstelle syntaktisch-semantischer Merkmale über die „pragmatische Bindung“ von Ausdrücken bestimmt, wird das Zentrum-Peripherie-Modell dann jedoch relativiert. Laut Feilke stellen „irreguläre“ Idiome nämlich „nur die eher kleine Spitze des phraseologischen Bestands innerhalb vorgeformter oder formelhafter Sprache“ (S. 28) dar. So stehen semantisch nicht kompositionelle Idiome in einem pyramidalen Modell weiterhin an der Spitze, während die sehr viel breitere Basis von „musterhaften Strukturen wie Wortbildungsmuster[n], Satzmuster[n] Gesprächssequenzen und verfestigte[n] Metaphern in Diskursen“ (S. 29) gebildet wird. Kollokationen oder Routineformeln sind dagegen aufgrund der Gebrauchshäufigkeit auf der mittleren Ebene anzusiedeln.

Neuere Untersuchungen zu unterschiedlichen Sprachen ergeben in der Tat, dass eine Platzierung von Idiomen ins Zentrum sprachlicher Musterhaftigkeit aus gebrauchsorientierter Perspektive[2] keineswegs gerechtfertigt ist. So weisen Siepmann und Bürgel (2019) auf der Grundlage ihres sehr umfangreichen Corpus de Référence du Français Contemporain (CRFC) nach, dass Idiome im Französischen im engeren Sinne quantitativ betrachtet keinerlei Rolle spielen. Sie arbeiten vielmehr als hochfrequent semantisch völlig unauffällige Bigramme wie un peu, parce que, par exemple, en plus usw. heraus. Für das Englische gilt im Grunde das Gleiche:

[…] a corpus search of the final total of 103 ‘core idioms’ was carried out in the British National Corpus (BNC). The search revealed that none of the 103 core idioms occurs frequently enough to merit inclusion in the 5,000 most frequent words of English. (Grant 2005: 429)

Auch eigene Studien des Rezensenten (z. B. Schmale 2009) zum gesprochenen Deutsch auf der Grundlage der Datenbank gesprochenes Deutsch (DGD) haben ergeben, dass die im Phraseologischen Optimum versammelten Idiome in einem 32-stündigen Talkshow-Korpus fast nicht repräsentiert sind. Auch in der DGD werden sie von Sprecher*innen nur sehr selten verwendet.

Erst eine von den Autoren ausdrücklich in den Vordergrund gestellte korpuslinguistische Vorgehensweise auf der Grundlage großer Korpora mündlicher und schriftlicher Äußerungen, wobei Introspektion aufgrund von Intuitionen ausgeschlossen wird (S. 33), wohingegen „korpuslinguistische Analyseverfahren und -instrumentarien sehr hilfreich [sind], teilweise […] unverzichtbar [erscheinen]“ (S. 41), könnte empirische Erkenntnisse bezüglich der sprachlich-textuell-diskursiven Frequenz unterschiedlicher Typen von „Musterhaftigkeit“ erbringen.

Schließlich versuchen Stein und Stumpf auch die Form-Bedeutungskontinua der viel diskutierten Konstruktionsgrammatik einzubeziehen, die zwar auf viele vorgeformte Erscheinungen zutreffen, allerdings nicht „auf alle Erscheinungsformen sprachlicher Musterhaftigkeit zufriedenstellend“ (S. 32) angewendet werden können. Insbesondere wird infrage gestellt, dass sprachliches Wissen „durchgehend und ausschließlich auf Konstruktionen aufgebaut und mit konstruktionsgrammatischen Methoden zu beschreiben“ (S. 32) ist.

Ausgehend von den skizzierten theoretischen Modellen werden im Folgenden fünf unterschiedliche Ebenen der Musterhaftigkeit sowie drei ebenenübergreifende Phänomene sprachlicher Musterhaftigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert.

Auf der untersten Stufe der Musterhaftigkeit steht die Wortebene (Wortbildungsmuster), auf der höchsten die Diskursebene (Argumentationsmuster, Metaphern und Denkstereotype). Dazwischen situieren die Autoren in steigender Ausdehnung und Komplexität die Mehrwortebene (Phraseme und usuelle Wortverbindungen), die Satzebene (Valenz- und Satzmuster), die Textebene (Textsorten, Text- und Formulierungsmuster, formelhafte Texte) und die Gesprächsebene (von Routineausdrücken bis zu kommunikativen Gattungen).

Ihrem Anspruch entsprechend, eine Einführung in Phänomene sprachlicher Vorgeformtheit anzubieten, geben die Autoren einen kompetenten Überblick zu allen genannten Bereichen, skizzieren die gängigen Ansätze, indem sie sich auf die jeweils einschlägigen Arbeiten beziehen, bieten im Anschluss an praktische Zusammenfassungen Tipps für weiterführende Lektüren und zu jedem Gebiet zwei exemplarische Vertiefungen, z. B. im Bereich Phraseologie zur Phraseodidaktik oder der Kinder- und Jugendliteratur. Verdienstvoll ist zweifellos in einer Einführung das systematische Bemühen der Autoren, Verbindungen aller Bereiche zur Konstruktionsgrammatik herzustellen, selbst wenn die Anregungen nicht empirisch umgesetzt werden können. Auch die Berücksichtigung multimodaler Äußerungseigenschaften im 6. Kapitel zur Gesprächsebene ist zu begrüßen.

Der sehr weit gehende Anspruch, von der Wort- bis zur Diskursebene sämtliche Phänomene sprachlicher Präformiertheit zu behandeln, bringt es nun aber – kann man von einer Einführung mehr verlangen? – notgedrungen mit sich, dass im Grunde nur der Forschungsstand der „herrschenden Lehre“ der einzelnen Fachgebiete dargestellt wird bzw. werden kann. Dies gilt beispielsweise für das 3. Kapitel über Phraseme und usuelle Wortverbindungen auf der Mehrwortebene, die als „Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung von Musterhaftigkeit“ (S. 67) dargestellt werden, „da sich in den idiomatischen bzw. phraseologischen Ausdrücken die vermutlich am besten erfassbare Form von Musterhaftigkeit findet“ (S. 67). Was Definitionskriterien von Phrasemen und Phrasemklassen angeht, stützen sich die Autoren auf die im deutschen und osteuropäischen Sprachraum weit verbreitete Klassifikation Burgers (2015), die auf den zentralen Merkmalen Polylexikalität, (relative) Stabilität und Idiomatizität beruht. Schmales (2018) zuvor noch erwähntes Konzept der Polyfaktorialität, das an die Stelle der Mehrworteinheit treten würde und es erlaubte, auch monolexikale Routineformeln in die Klasse der Phraseme einzubeziehen,[3] wird allerdings nicht berücksichtigt. Auch was die „systematische Vertiefung“ zur Phraseodidaktik angeht, beziehen sich Stein und Stumpf auf die Tenöre dieses Paradigmas:

Der Aufbau einer tragfähigen phraseologischen Kompetenz ist für eine angemessene Sprachverwendung unerlässlich. Es steht deshalb außer Frage, dass die Vermittlung phraseologischen Wissens in der Mutter- wie in der Fremdsprachendidaktik eine zentrale Aufgabe darstellt. (S. 87)

Nicht erwähnt wird, dass diese Forderung relativ undifferenziert erfolgt. Wenn nämlich kommunikative Kompetenz ohne Kollokationen oder Routineformeln nicht vorstellbar ist, so gehören Sprichwörter, Gemeinplätze oder Idiome für FS-Lerner*innen, was die aktive Sprachkompetenz betrifft, sicherlich nicht dazu. Insgesamt gibt das vorliegende Kapitel aber einen sehr guten Überblick über den gegenwärtigen Stand nach wie vor dominanter Forschungsrichtungen in der Phraseologie.

In einem zweiten Hauptteil werden über die einzelnen zuvor beschriebenen Ebenen hinausgehende Phänomene thematisiert, die des Spracherwerbs, sprachlicher Varietäten und der Sprachkritik. Es geht darum, wenn nicht exhaustiv, so doch gezielt bestimmte sprachliche Aspekte von Musterhaftigkeit in den genannten Themenbereichen aufzuzeigen.

Im 8. Kapitel zum Spracherwerb werden theoretisch der gesteuerte und didaktisch der ungesteuerte Spracherwerb in wesentlichen Zügen dargestellt. Gegenpole sind hier der Chomsky’sche Nativismus und der Konstruktivismus Tomasellos. Im Gegensatz zum Nativismus, der von einem angeborenen Spracherwerbsmechanismus, dem „language acquisition device“, ausgeht, beruht der Konstruktivismus auf der Annahme, dass sich beim Kind die Sprachfähigkeit über das Abspeichern rekurrenter Gebrauchsmuster, „constructions“, Muster, Modelle oder „chunks“ entwickelt und Spracherwerb damit folglich kein atomistischer, sondern vielmehr ein holistischer Prozess ist. Selbst wenn offensichtlich ungesteuerter L1-Erwerb und gesteuerter L2-Erwerb nicht vergleichbar sind, da letzterer in nicht-natürlichen Kontexten stattfindet, muss die Erkenntnis, dass Sprache mehrheitlich in vorgeformten Konstruktionen unterschiedlicher Größe stattfindet, unbedingt für die FS-Didaktik nutzbar gemacht werden, um bei den Lerner*innen Kommunikations- oder Textroutinen herauszubilden. Auch auf die Wichtigkeit des Eingangs sprachlicher Muster in Lernerwörterbücher oder Kinderbücher wird hingewiesen.

In einem weiteren Kapitel wird das Konzept der Musterhaftigkeit auf sprachliche Varietäten angewendet angesichts der Tatsache, dass Muster sprachlicher Varietäten von der Standardsprache abweichen können. Varietäten sind in der Tat abhängig von regionaler Herkunft, Kommunikationssituation, sozialer Schicht, Geschlecht oder Alter (S. 239–240) und können auf der Grundlage diatopischer (insbes. Dialekte), diastratischer (z. B. Soziolekte, Jugendsprache, Ethnolekte) und diaphasischer (Register, Fachsprachen) Dimensionen unterschieden werden. Die exemplarische Vertiefung erfolgt am Beispiel der medizinischen Fachsprache.

Schließlich beschäftigt sich der Band in einem letzten thematischen Kapitel mit der Verbindung von Musterhaftigkeit und Sprachkritik. Repetitiver Gebrauch bestimmter – insbesondere phraseologischer – Muster kann den Vorwurf mit sich bringen, abgenutzte Floskeln, Klischees, Phrasen, Plattitüden, Schablonen, Worthülsen zu produzieren, anstatt sich kreativ und originell auszudrücken. Nicht alle sprachlichen Muster, vor allem bestimmte als veraltet geltende Phrasemtypen (hier sind vorrangig Sprichwörter oder Gemeinplätze zu nennen) werden aus meist laienlinguistischer Sicht oder aufgrund persönlicher Präferenzen als akzeptabel erachtet, was auch für neologistische, von den erwarteten und als korrekt angesehenen Regeln abweichende Konstruktionen gilt. Kritik an rassistischen, sexistischen oder homophoben Phrasemen ist dagegen absolut unerlässlich.

Stein und Stumpfs Schlussbemerkungen zu ihrem sehr instruktiven Band, der dem Anspruch einer Einführung in das weite Feld der Musterhaftigkeit absolut gerecht wird, da er über alle behandelten Themenbereiche einen ausreichenden und gut verständlichen Überblick bietet, sind deshalb gerechtfertigt:

Das hier vertretene, sehr weite Verständnis von Musterhaftigkeit, das nicht nur lexikalische, sondern auch grammatische, textuelle und textübergreifende Erscheinungen umfasst, mag vielleicht auf den ersten Blick irritieren und den Bogen als überspannt erscheinen lassen; wir gehen aber davon aus, dass die Überlegungen auf den zweiten Blick plausibel machen, dass Musterhaftigkeit in grundverschiedener Gestalt ausgeprägt sein kann. (S. 293)

In das von den Autoren aus dem Epilog von Brechts Der gute Mensch von Sezuan bemühte Zitat Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen (S. 294) kann der Rezensent des vorliegenden wertvollen Buches deshalb keineswegs einstimmen, auch wenn für ihn bestimmte Fragen offen bleiben bzw. bestimmte Aspekte vertieft werden könnten, was von einer Einführung mit einem derart breiten thematischen Einzugsbereich aber kaum zu leisten gewesen wäre.

Günter Schmale

Correspondence address:

Literatur

Burger, Harald. 2015. Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen (5., neu bearbeitete Auflage). Berlin: Schmidt.Search in Google Scholar

Grant, Lynn E. 2005. Frequency of ‘core idioms’ in the British National Corpus (BNC). International Journal of Corpus Linguistics 10(4). 429–451.10.1075/ijcl.10.4.03graSearch in Google Scholar

Schmale, Günter. 2018. Überlegungen zu einer Neudefinition präformierter Konstruktionseinheiten. In: Schmale, Günter (Hrsg.): Lexematische und polylexematische Einheiten des Deutschen. Tübingen: Stauffenburg, 79–97.Search in Google Scholar

Schmale, Günter. 2009. Phraseologische Ausdrücke als Bestandteil des Fremdsprachenerwerbs. Überlegungen zur Phraseodidaktik auf der Grundlage einer korpusbasierten Analyse deutscher Talkshows. Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 15 (Sonderheft, Mediale Varietäten – Gesprochene und geschriebene Sprache und ihre fremdsprachendidaktischen Potenziale, hrsg. v. Andrea Bachmann-Stein & Stephan Stein). 149–179.Search in Google Scholar

Siepmann, Dirk & Christoph Bürgel. 2019. Les unités phraséologiques fondamentales du français contemporain. In Maurice Kauffer & Yvon Keromnes (Hrsg.), Theorie und Empirie in der Phraseologie – Approches théoriques et empiriques en phraséologie (Eurogermanistik 37), 189–212. Tübingen: Stauffenburg.Search in Google Scholar

Published Online: 2020-12-01
Published in Print: 2020-11-25

©2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 28.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/phras-2020-0013/html
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