Zusammenfassung
Hintergrund
Die allgemeine Frage nach dem „Sinn des Lebens“ wird empirisch in Form von allgemeinen und personalen Lebensbedeutungen formuliert. In der Medizin erhalten Lebensbedeutungen eine relevante Tragweite bei einem Verlust von Sinn, der als krankheitsfördernd angesehen wird, v. a. aus psychosomatischer Perspektive.
Fragestellung
Die vorliegende Studie untersucht die psychometrischen Eigenschaften der deutschsprachigen revidierten Version des Life Attitude Profile (LAP-R) von Reker für eine Stichprobe stationär-psychosomatischer Patienten sowie mögliche Assoziationen mit klinischen Outcome-Variablen.
Material und Methoden
Die Stichprobe (n = 138) von elektiv stationär-psychosomatisch behandelten Patienten wird zu den Zeitpunkten Aufnahme und Entlassung untersucht. Reliabilität im Sinne von interner Konsistenz wird mit Cronbachs α ausgewertet; Konstruktvalidität wird mit konfirmatorischer Faktorenanalyse und konvergente Validität anhand von Korrelationsmatrizen mit validierten klinischen Skalen erfasst.
Ergebnisse
Die interne Konsistenz des LAP‑R für die einzelnen Dimensionen zeigt Cronbachs-α-Werte zwischen 0,69 und 0,85, für den Gesamttest beträgt Cronbachs α 0,92. Die konfirmatorische Faktorenanalyse zeigt einen guten Daten-Fit („root mean square error of approximation“ [RMSEA], χ2/Freiheitsgrade [df]), aber einen zu geringen Modell-Fit („Tucker-Lewis index“ [TLI], „comparative fit index“ [CFI]). Die Korrelationen zwischen den Dimensionen des LAP‑R sind meist moderat. Die Korrelation zwischen dem Ausmaß der klinischen Besserung und der Zunahme der Lebensbedeutungen ist mäßig, aber mit der rückblickenden therapeutischen Beziehung hoch.
Schlussfolgerung
Die deutsche Version des LAP‑R zeigt für die Stichprobe stationär-psychosomatisch behandelter Patienten gute interne Konsistenz, gute konvergente Validität, jedoch uneinheitliche Konstruktvalidität. Die übergeordneten Indizes („personal meaning index“ [PMI], „existential transcendence“ [ET]) korrelieren signifikanter mit klinischen Variablen als die einzelnen Dimensionen.
Abstract
Background
The general question of the “meaning of life” is empirically formulated in the form of general significances and personal meanings. In medicine “meaning of life” is relevant in the case of loss of meaning, which is considered disease-promoting, especially from a psychosomatic perspective.
Objective
This study examined the psychometric characteristics of the German language revised version of Reker’s life attitude profile (LAP-R) for a sample of inpatient psychosomatic patients as well as possible associations with clinical outcome variables.
Material and methods
The study sample (n = 138) consisted of elective patients treated in a hospital ward for psychosomatics who were examined at the times of admission and discharge. Reliability was investigated in terms of internal consistency with Cronbach’s α. Construct validity was assessed with confirmatory factor analysis. Convergent validity was measured using correlation matrices with validated clinical scales.
Results
The internal consistency of the LAP‑R for the single dimensions showed Cronbach’s α values between 0.69 and 0.85 and for the total test a Cronbach’s α of 0.92. The confirmatory factor analysis showed a good data fit (root mean square error of approximation, RMSEA, χ2/degrees of freedom [df]) but insufficient model fit (Tucker-Lewis index, TLI, comparative fit index, CFI). The correlations among the dimensions of the LAP‑R were mostly moderate. The correlation between the extent of clinical improvement and the increase in life attitudes/meanings was moderate; however, the correlation between increase in life attitudes and the goodness of therapeutic alliance was high.
Conclusion
The German version of the LAP‑R showed good internal consistency, good convergent validity but nonuniform construct validity for the sample of inpatient psychosomatically treated patients. The superordinate indices (personal meaning index, PMI and existential transcendence, ET) correlated more significantly with clinical variables than the single dimensions.
„Sinn des Lebens“ ist eine allgemeine philosophische Kategorie, nach der der Verstand eine biografische Ordnung sucht und zugleich herstellt. Sinnsuche ist die Grundlage für das Verstehen als rationales Nachvollziehen durch logische Verknüpfung (Valdés-Stauber 2018). „Sinn“ in psychologischer Hinsicht unterscheidet sich hiervon: Hier geht es um Bedeutungen, die einerseits durch die Struktur des menschlichen Lebens vorgegeben und andererseits Ergebnis einer personalen „Sinnkonstruktion“ sind.
Einleitung
Die „Suche nach Sinn“ ist insofern eine existenzielle Aufgabe, als das menschliche Leben nicht fertig vorgegeben, sondern von Offenheit, Freiheit, Verantwortung und Selbstsorge gekennzeichnet ist. Vom Menschen verlangt diese Suche nach Sinn, das eigene Leben zu gestalten, und – um es mit den Worten von Heidegger zu sagen – „eigentlich“ zu sein (Heidegger 2006, S. 232–234) und sich im Dasein einzurichten. Der Verlust von Sinn als Bedeutung, wenn diese Bedeutungen auf einer personalen Ebene nicht mehr herstellbar sind, kann zu Krankheit führen, namentlich zu den von Frankl (1994) genannten „noogenen Störungen“.
Eine Verlagerung dieser „Sinnlosigkeit“ auf den Resonanzraum des Leibes ist eine wichtige Annahme der psychosomatischen Medizin. Eine weitere Perspektive stammt aus dem Ansatz der objektiven Hermeneutik, nach der der Sinn aus der Herausarbeitung des Allgemeinen im Einzelfall hervorgeht, durch die das Individuelle Sinn erhält im Abgleich mit dem Allgemeinen (Overmann 2000).
Bei der Dialektik zwischen dem Allgemeinen und dem Individuellen handelt es sich um einen anthropologischen Sachverhalt: eine Dialektik zwischen inhärenten Sinnkategorien der menschlichen Natur und individuellen Sinnkonstruktionen. Diese Sinnkonstruktionen sind personaler Natur und spiegeln, im Sinne Kants ausgedrückt (Kant 1999, S. 130–195), die transzendentalen Sinnkategorien wider, die in einer Person verankert und in ganz besonderer Weise realisiert sind. Darin sind sowohl die Möglichkeiten des Verstehens wie auch des Nichtverstehens begründet. Diese Dichotomie besteht in der semantischen Unterscheidung, wie sie in der englischen Sprache zwischen „meaning“ und „significance“ zu finden ist: Während Significance allgemeinmenschliche geteilte Bedeutungen meint, realisieren sich diese in jeder Person in Form von Meanings. Analog zu dieser semantischen Differenzierung gilt die Unterscheidung zwischen überindividuellem Sinn (Sinnkategorien) und individuellen Bedeutungen (Lebensbedeutungen).
Die Medizin und die Psychologie konkretisieren die philosophische Frage nach dem „Sinn des Lebens“, die nicht allgemein beantwortet werden kann, auf individueller Ebene durch die Frage nach Lebensbedeutungen, die sowohl Orientierung als auch personale Bedeutungen meinen (Jankélévich 2017, S. 230). In diesem Sinne wurden, v. a. im angelsächsischen Raum, verschiedene Skalen zur Erfassung von Haltungen („attitudes“), Kohärenzgefühl („sense of coherence“) und Lebensbedeutungen („meaning in life“) entwickelt (Valdés-Stauber et al. 2018). Im deutschsprachigen Raum haben Schnell und Becker (2007) den Fragebogen zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn entwickelt und validiert; neben verschiedenen einzelnen, empirisch relevanten Lebensbedeutungen findet sich der abstrakte „Lebenssinn“ als erfahrbar durch „Sinnerfüllung“ und „Sinnkrise“ (Schnell 2009).
Das „Life Attitude Profile“ von Reker wurde nach psychometrischen Untersuchungen 1992 in revidierter Version (LAP-R) veröffentlicht (Reker und Peacock 1981; Reker 1992); die 6 Skalen zeigen eine gute interne Konsistenz (Cronbachs α 0,79–0,86) und eine gute Test-Retest-Reliabilität (0,77–0,87; Reker 1992). „Sinn“ wird in diesem Fragebogen durch 6 Dimensionen abgebildet, die auf Frankl (1976, 1994) rekurrieren und v. a. die Suche nach Ordnung, Kohärenz, Zielen und Erfüllung widerspiegeln (Reker 2000). Jede der 6 Dimensionen (Lebensziele, Kohärenz, Selbstwirksamkeit, Akzeptanz des Todes, existenzielle Leere und Suche nach Zielen) besteht aus 8 Fragen, die auf einer Likert-Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme völlig zu) beantwortet werden können, wobei 4 Skalen positiv und 2 (existenzielle Leere und Suche nach Zielen) negativ ausgerichtet sind (wobei „Suche nach Zielen“ je nach Lebnskontext und Lebensphase positiv oder negativ zu bewerten ist). In Tab. 1 sind die einzelnen Dimensionen und übergeordneten Indizes kurz beschrieben. Diese Skala wurde 2007 von Mehnert et al. (2007) ins Deutsche übersetzt und validiert.
Fragestellungen und Methode
Fragestellungen
Die vorliegende Studie untersucht die psychometrischen Eigenschaften der deutschen revidierten Version des Life Attitude Profile von Reker sowie mögliche Assoziationen mit klinischen Outcome-Variablen. Diese allgemeine Fragestellung wird in folgende Teilfragestellungen untergliedert:
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1.
Wie hoch ist die Reliabilität der deutschen Version des LAP‑R im Sinne der internen Konsistenz bei der spezifischen Stichprobe?
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2.
Wie ist die Faktorenstruktur des Frageboges als reflektives Messmodell für die Zielstichprobe?
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3.
Inwieweit sind die einzelnen Dimensionen des LAP‑R unabhängig und messen, bezogen auf Lebenssinn, unterschiedliche Facetten desselben Sachverhalts?
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4.
Ist konvergente Validität mit anderen validierten Skalen gegeben?
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5.
Korreliert das Ausmaß der Veränderung der Lebensziele mit dem Ausmaß der Veränderung der (klinischen) Ergebnisqualitätsvariablen?
Stichprobenbeschreibung
An einer psychosomatischen Klinik wurden 154 Patientinnen und Patienten untersucht; anteilig 75 % Frauen, 25 % Männer. Der Altersdurchschnitt betrug 40 Jahre; es lebten 53 % der Teilnehmenden aktuell in einer Partnerschaft, und 42 % waren Eltern. Bezogen auf Bildung und Beruf hatten 37 % einen Hauptschulabschluss, 26 % Abitur, 56 % waren berufstätig. Die Erstdiagnose lautete in 51 % der Fälle „depressive Episode“ und in 42 % „rezidivierende depressive Störung“. Bei 58 % der Patientinnen und Patienten wurden 2 oder mehr Diagnosen psychischer Störungen gestellt. Die häufigsten Zweitdiagnosen waren posttraumatische Belastungsstörung (17 %), Persönlichkeitsstörung und Suchtstörung (jeweils 16 %), Angststörung und somatoforme Störung (jeweils 15 %) sowie phobische Störung mit 11 %. Die Diagnosen waren klinisch in Anlehnung an die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Ausg. (ICD-10), erhoben worden. Die Stichprobe wies erwartungsgemäß höhere Neurotizismuswerte als der Bevölkerungsdurchschnitt auf (Valdés-Stauber et al. 2019). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Klinik betrug 44,3 Tage.
Studiendesign
Die Studie war prospektiv-naturalistisch angelegt und beinhaltete 2 Messzeitpunkte: die stationäre Aufnahme und den Entlasszeitpunkt. Die Aufnahme der Patientinnen und Patienten erfolgte indikativ in der abteilungseigenen Ambulanz. Die Daten wurden durch eine geschulte Psychologin erhoben, die nicht an der Behandlung der Patientinnen und Patienten beteiligt war.
In Abb. 1 sind die progressiven Schwundraten dargestellt. Von 200 konsekutiv befragten und aufgeklärten Patientinnen und Patienten lehnten 46 Personen (23 % der Stichprobe) die Teilnahme ab. Von den verbliebenen 154 Einwilligenden nahmen 16 Personen am Ende der Behandlung (2. Messzeitpunkt) nicht mehr an der Untersuchung teil (Schwundrate von 8 %), sodass für 138 Personen Datensätze zu beiden Messzeitpunkten vorlagen.
Die klinischen und soziodemografischen Daten entstammen der qualitätssichernden Basisdokumentation. Folgende Variablen wurden anhand von vorwiegend validierten Skalen untersucht (zur Beschreibung: Tab. 1):
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a)
klinische Variablen: psychische Symptombelastung, erfasst mithilfe des ICD-Symptom-Rating (ISR; Institut für Qualitätsentwicklung in der Psychotherapie und Psychosomatik 2006); Lebenszufriedenheit, erfasst mithilfe des Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZM; Henrich und Herschbach 2000); Selbstwirksamkeitsüberzeugung, erfasst mit dem Modul D der Hamburger Module zur Erfassung allgemeiner Aspekte psychosozialer Gesundheit für die therapeutische Praxis (HEALTH-49; Rabung et al. 2009);
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b)
subjektive Einschätzung der stationären Behandlung: Qualität der therapeutischen Beziehung, gemessen mit dem Patientenbogen des Helping Alliance Questionnaire (HAQ‑D; Bassler et al. 1995); Einschätzung der globalen Veränderung durch die Therapie (7 Fragen, Likert-Skala 1–5, Werterange: 7–35), basierend auf der Basisdokumentation in der Psychotherapie (Psy-BaDo; Heuft und Senf 1998);
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c)
sinnbasierte Lebensbedeutungen: Hauptinstrument ist die deutsche Version des Life Attitude Profile – Revised (LAP-R) zur Erfassung der Sinn- und Lebenseinstellungen, bestehend aus 48 Items, verteilt auf 6 Skalen, unterteilt in 4 positive und 2 negative Skalen (Reker 1992; Mehnert et al. 2007); hinzu kommen 2 übergeordnete Indizes: a) „personal meaning index“ (PMI): „individuelle Bedeutung“ aus der Summe „Lebensziele und Kohärenz“; b) „existential transcendence“ (ET): „existenzielle Transzendenz“ ([Lebensziele + Kohärenz + Selbstwirksamkeit/Verantwortungsbereitschaft + Akzeptanz des Todes] − [existenzielle Leere + Suche nach Zielen]; Reker 2000; Anagnostopoulos et al. 2011). Die in dieser Studie verwendete deutsche Adaptation des LAP‑R wurde von Mehnert et al. (2007) bei einer Stichprobe von 1083 Brustkrebspatientinnen eingesetzt. Die dort erhobenen Testgütekriterien weisen auf die Brauchbarkeit des Verfahrens in der medizinpsychologischen Forschung hin. Die vorliegende Untersuchung strebt an, diese Validierung für eine Stichprobe von stationär-psychosomatischen Patienten zu replizieren.
Statistik
Zur Prüfung der Normalitätsverteilung wurden die metrischen Variablen einem Shapiro-Wilk-Test unterzogen. Normal verteilt sind Dimensionen der Lebensbedeutungen (LAP-R), Lebenszufriedenheit (FLZM), Selbstwirksamkeit (HEALTH-49), psychische Symptombelastung (ISR) und Veränderung durch die Therapie, nicht aber Einschätzung der Qualität der therapeutischen Beziehung.
Die interne Konsistenzen innerhalb der jeweiligen Dimensionen und für den Gesamttest wurden anhand von 2 Parametern untersucht: a) „average interitem covariance“ (AIC): Korrelation der Fragen untereinander (Werte ≥0,30 weisen auf eine gute Korrelation der Fragen untereinander hin); b) Cronbachs α: Maß der internen Konsistenz eines Tests, d. h., wie stark die Fragen einer Skala miteinander in Beziehung stehen (ein Wert ≥0,70 für die gesamte Skala deutet auf eine gute interne Konsistenz hin).
Die konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA) operiert mit latenten Variablen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die einzelnen Faktoren und um den Test als Ganzes. Bei der CFA soll unterschieden werden zwischen formativen und reflexiven Messmodellen (Zinnbauer und Eberl 2004): Bei reflexiven Messmodellen wird davon ausgegangen, dass die Indikatoren, die einer latenten Variable zugeordnet sind, von der latenten Variable kausal beeinflusst werden und somit auch die exogenen Variablen indirekt Einfluss auf die reflexiven Indikatoren haben, die in solchen Modellen austauschbar wären (Bollen 1989; Edwards und Bagozzi 2000). Für formative Messmodelle gilt hingegen: Die formativen Indikatoren begründen die latenten Variablen, sind kausal für deren Erklärung heranzuziehen; die formativen Indikatoren sind nicht austauschbar. Im vorliegenden Fall handelt es sich demnach um ein reflexives Messmodell. Folgende Gütemaße werden berücksichtigt: a) χ2/Freiheitsgrade (df): Werte <3,0 werden als akzeptabel betrachtet; b) Gruppe der „incremental fit indices“ (IFI): Dazu gehören der „Tucker-Lewis index“ (TLI) und der „comparative fit index“ (CFI). Sie vergleichen die Anpassung (Fit) des Zielmodells mit dem Fit des Baseline-Modells und geben an, um wie viel das Zielmodell besser auf die Daten passt als das Unabhängigkeitsmodell (die Werte variieren zwischen 0 und 1; die Mindestgrenze für einen guten Fit beträgt 0,90); c) informationstheoretische Maße (AIC und BIC): Sie vergleichen Modelle nach unterschiedlichen Restriktionen. Das Modell mit dem niedrigeren Wert wird ausgewählt; d) approximative Datenanpassung (Daten-Fit): wird mit „root mean square error of approximation“ (RMSEA) gemessen. Für ein akzeptables Modell soll der Wert ≤0,08 betragen. Ergänzend kann das standardisierte Maß zur Gesamtbeurteilung der Residuen hinzugenommen werden („standardized root mean square residual“, SRMR; günstig <0,05; Zinnbauer und Eberl 2004; Schreiber et al. 2006).
Die konvergente Validität wurde mit validierten Skalen geprüft, die tendenziell ähnliche Sachverhalte messen: Hierzu wurden Lebenszufriedenheit und Selbstwirksamkeitsüberzeugung als potenziell positiv und psychische Symptombelastung als potenziell negativ assoziiert ausgewählt.
Der Vergleich der Dimensionen des LAP‑R untereinander erfolgte anhand von Korrelationsmatrizen zu einem einzigen Zeitpunkt (Entlassung), da ansonsten die Ergebnisse verzerrt worden wären. Pearson-Korrelationsmatrizen wurden zudem eingesetzt, um das Ausmaß der Korrelationen zwischen LAP-R-Dimensionen und klinischen Variablen darzustellen, und zwar einerseits im Querschnitt zum Aufnahmezeitpunkt (um die Bedeutung der Psychopathologie hervorzuheben), andererseits anhand der Korrelationen zwischen dem Ausmaß der Veränderung der Dimensionen und der klinischen Outcome-Variablen.
Alle statistischen Berechnungen wurden mit StataMP 13 und mit Mplus 7 durchgeführt.
Ergebnisse
Die interne Konsistenz der einzelnen Dimensionen des LAP‑R für die Stichprobe weist bis auf eine Dimension hohe AIC-Werte >0,30 und Werte für Cronbachs α um meist 0,80 auf. Ausnahme ist die Dimension „existenzielle Leere“, wobei Cronbachs α nach Entfernung der Items 4 und 33 (Cronbachs α des Item jeweils höher als der Dimension) mit 0,69 im akzeptablen Bereich liegt. Besonders hoch ist die interne Konsistenz für den Gesamttest mit AIC = 0,55 und Cronbachs α = 0,92 (Tab. 2).
Alle standardisierten Ladungen der Einzelitems auf die jeweiligen latenten Variablen 1. Ordnung (die 6 Dimensionen) und auf die latente Variable 2. Ordnung (der Test insgesamt) sind in Abb. 2 dargestellt.
Die Gütemaße fallen unterschiedlich aus: Während χ2/df mit 2,5 (also: <3,0) und RMSEA mit 0,07 (also: <0,08) für einen guten Modell-Fit sprechen, sind die Werte für die Incremented fit indices (CFI und TLI) mit etwa 0,73 zu niedrig (also: <0,90). Werden die Items mit standardisierten Ladungen, die unterhalb von 0,30 liegen, entfernt, dann verbessern sich alle Parameter (CFI und TLI), bleiben aber noch zu niedrig (Tab. 3). Auf den Gesamttest laden alle Dimensionen signifikant mit standardisierten Ladungen >0,30 (Tab. 3).
Erwartungsgemäß korrelieren alle Dimensionen im Querschnitt (hier zum Entlasszeitpunkt) signifikant untereinander, da sie alle Lebenseinstellungen betreffen; die Dimension „existenzielle Leere“ korreliert negativ mit den anderen Dimensionen, da sie eine umgekehrte Bewertungsrichtung hat. Die übergeordneten Indizes als Verdichtung der Dimensionen korrelieren besonders hoch mit den einzelnen Dimensionen (r = 0,27 bis 0,92, meist aber >0,50; Tab. 4).
Erwartungsgemäß korrelieren die Dimensionen und Indizes von LAP‑R im Querschnitt zum Aufnahmezeitpunkt positiv mit Lebensqualität (r = 0,22–0,65) und Selbstwirksamkeit (r = 0,23–0,61) sowie negativ mit dem Ausmaß der psychischen Belastung (r = −0,34 bis −0,47); für die Dimension „existenzielle Leere“ als negative Eigenschaft verhält es sich umgekehrt (Tab. 5).
Die Prä-post-Veränderungen für alle Dimensionen des LAP‑R (außer „existenzielle Leere“) und für die übergeordneten Indizes (PMI und ET) korrelieren signifikant positiv mit der von den Patienten eingeschätzten Güte der therapeutischen Beziehung (r = 0,19–0,47): Je positiver die Beziehung eingeschätzt wird, desto deutlicher sind die Veränderungen auf dem LAP‑R in die zu erwartenden Richtung, insbesondere für Selbstwirksamkeit (r = 0,42). Bezogen auf die LAP-R-Dimensionen, nur das Ausmaß der Veränderung von „Lebensziele“ (r = 0,21–0,29) und die übergeordneten Indizes (r = 0,19–0,48) weisen statistisch signifikante positive Assoziationen mit den 5 hier untersuchten Outcome-Variablen (Tab. 6).
Diskussion
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit den psychometrischen Eigenschaften der deutschen Version des LAP‑R für eine Stichprobe stationär behandelter Patienten in einer psychosomatischen Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses. Untersucht werden die interne Konsistenz, die Konstruktvalidität und die konvergente Validität. Eine exploratorische Faktorenanalyse ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich, da die Faktoren aus der Theorie bereits vorgegeben sind und nicht explorativ untersucht werden müssen. Allerdings werden in der deutschen Fassung von Mehnert et al. (2007) 5 Faktoren, in der türkischen Fassung von Erci (2008) 4 und in der griechischen von Anagnostopoulos et al. (2011) ebenfalls 4 Faktoren extrahiert. Eine gute Reliabilität im Sinne einer internen Konsistenz kann in der vorliegenden Stichprobe bestätigt werden; Cronbachs α beträgt zwischen 0,80 und 0,85, ähnlich wie in der kanadischen Stichprobe von Reker (1992) und in der Stichprobe von Mehnert et al. (2007). Dagegen sind für die vorliegende Stichprobe die Cronbachs-α-Werte für „existenzielle Leere“ (0,69) und „Suche nach Zielen“ (0,74) etwas niedriger als in den genannten Studien, die andere Stichproben zugrunde legten.
Die konfirmatorische Faktorenanalyse zeigt ein gemischtes Bild, denn, während χ2/df und RMSEA einen guten Fit aufweisen, sind die Incremental Fit Indices nicht ausreichend, auch nicht nach Bereinigung um 5 Items. Ein Grund dafür dürfte in der knappen Stichprobe liegen, wenn man die Zahl der Dimensionen und Items pro Dimension berücksichtigt, wie es die psychometrische Forschung nahelegt (Gagné und Hankock 2006; Şahin und Anil 2017). Vergleiche zwischen dem CFI von Bentler und Bonett sowie dem RMSEA von Steiger und Lind zeigen, dass Ersterer eher für explorative und Letzterer für konfirmatorische Kontexte geeignet sind, da sie von unterschiedlichen Baseline-Modellen ausgehen (Rigdon 1996). Außerdem handelt es sich hier um ein Modell 2. Ordnung, d. h., es werden 2 Ebenen von latenten Variablen zugrunde gelegt. Anhand der standardisierten Ladungen könnte der Fragebogen um die Items mit niedrigeren oder nicht statistisch signifikanten Ladungen reduziert werden, da es sich um ein reflektives Messmodell handelt (Zinnbauer und Eberl 2004).
Zur Beantwortung der 3. Fragestellung, inwieweit die einzelnen Dimensionen des LAP‑R unabhängig sind und, bezogen auf den Lebenssinn, unterschiedliche Facetten desselben Sachverhaltes messen, wurden Korrelationsmatrizen zwischen den Dimensionen des LAP und Outcome-Variablen (Lebenszufriedenheit, allgemeine psychische Belastung und Selbstwirksamkeitsüberzeugung) durchgeführt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass von einer ausreichenden konvergenten Validität ausgegangen werden kann, da erwartete signifikante positive bzw. negative Korrelationen mit Dimensionen des LAP‑R, die ebenfalls personale Ressourcen messen, ermittelt werden konnten.
Die Tatsache, dass alle Dimensionen miteinander korrelieren, die Koeffizienten jedoch selten über r = 0,50 betragen, spricht dafür, dass die Dimensionen Ähnliches messen, aber nicht deckungsgleich sind; so behalten jede Dimension und der Test als Ganzes ihre Berechtigung. Von besonderer Bedeutung scheinen die übergeordneten Indizes zu sein: Der PMI und die ET korrelieren stark mit den einzelnen Dimensionen und den Outcome-Variablen. In der weiteren klinischen Forschung könnte das 6‑dimensionale Modell vereinfachend auf diese 2 Indizes reduziert werden.
Die vorliegende Untersuchung weist auf eine ausreichende interne Konsistenz sowie gute konvergente Validität und teilweise akzeptable Konstruktvalidität der deutschen Version des LAP‑R für die untersuchte Stichprobe der indikativ stationär-psychosomatisch behandelten Patienten hin. Wie bereits in einer anderen Arbeit festgestellt, kann von gemischten robusten und variablen wertebasierten Anteilen der Persönlichkeit ausgegangen werden, die nicht deckungsgleich mit Persönlichkeitsdimensionen sind (Valdés-Stauber et al. 2019). Die hohe Korrelation mit der Qualität der therapeutischen Beziehung könnte ein Hinweis für eine Bereitschaft zur Konstruktion von Sinn durch Therapie und zur Bildung von interpersonellen Begegnungsräumen sein, die von Vertrauen und Zuversicht zeugen, ähnlich wie es indikationsstellende Vorgespräche in der Psychotherapie leisten können (Bachthaler und Valdés-Stauber 2017).
Limitationen der Studie
Die relevanteste Limitation der Studie ist die fehlende Vergleichbarkeit mit einer Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung, die Aufschluss darüber geben könnte, inwiefern Lebenseinstellungen robust und von der klinisch relevanten psychischen Verfassung unabhängig sind. Die Prä-post-Untersuchungen zur Ermittlung der Veränderung der Lebenseinstellungen sind am ehesten als Merkmalsveränderungen während der Behandlung zu verstehen (Valdés-Stauber et al. 2020), allerdings können Messfehler, die kaum von realen Merkmalsveränderungen zu unterscheiden wären, einen Einfluss auf die gemessenen Unterschiede haben. Diese wissenschaftstheoretische Unsicherheit wird verstärkt durch eine mögliche Fehlerkumulierung bei wiederholten Messungen (verzerrtes Verständnis der Fragen und auch Inflation des Cronbachs-α-Werts im Sinne falsch-positiver Prä-post-Unterschiede). Eine weitere statistische Limitation ergibt sich daraus, dass die Prä-post-Unterschiede geringer sind, je höher der Ausgangswert war, weshalb die Assoziationen zwischen dem Ausmaß der Veränderung der Lebenseinstellungen und der klinischen Variablen verzerrt sein könnten. Eine zusätzliche Limitation der Studie ist die begrenzte Generalisierbarkeit der Ergebnisse, denn einerseits bezieht sich die Stichprobe ausschließlich auf eine Gruppe von Menschen mit psychischen Störungen, andererseits können unterschiedliche Patientengruppen (Herzchirurgie, Dermatologie etc.) aus differierenden krankheitsbedingten Daseinseinrichtungen abweichende Profile aufweisen, wie auch psychosomatische Abteilungen und Settings je nach Ausrichtung und Versorgungsphilosophie unterschiedliche Patientinnen und Patienten erreichen.
Fazit für die Praxis
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Die psychometrische Untersuchung der deutschen Version des Life-Attitude-Profile-Revised(LAP-R)-Fragebogens zeigt, bezogen auf eine Gruppe stationär-psychosomatischer Patientinnen und Patienten, eine gute Durchführungs- und Auswertungsvalidität, gute Reliabilität und konvergente Validität. Die Befunde zur Konstruktvalidität entsprechen jedoch nicht gänzlich den theoretischen Erwartungen.
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In logotherapeutisch orientierten Settings könnte der Fragebogen LAP‑R unter methodischen Gesichtspunkten sowohl bei der Eingangsdiagnostik als auch zur Dokumentation der Einstellungsveränderungen bei Patienten empfohlen werden.
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Besondere Aufmerksamkeit sollte Patienten mit höheren Werten bei der Dimension „existenzielle Leere“ geschenkt werden, da sie eine geringere Lebenszufriedenheit, geringere Selbstwirksamkeit sowie niedrigere Werte für die Güte der therapeutischen Beziehung bei stärkerer psychischer Belastung aufweisen.
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Da es eine Wechselwirkung zwischen der Güte der therapeutischen Beziehung und dem Veränderungsgrad der sinnbasierten Dimensionen besteht, müsste im Verlauf der Therapie auf beide Aspekte geachtet werden.
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Funding
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Interessenkonflikt
J. Valdés-Stauber, H. Kämmerle und S. Bachthaler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Ulm (Antrag Nr. 03/2018) genehmigt. Von allen beteiligten Patienten liegt eine Einverständniserklärung vor.
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Valdés-Stauber, J., Kämmerle, H. & Bachthaler, S. Psychometrische Eigenschaften des Life Attitude Profile – Revised. Psychotherapeut 66, 147–155 (2021). https://doi.org/10.1007/s00278-020-00481-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-020-00481-3
Schlüsselwörter
- Lebensbedeutungen
- Stationäre Psychosomatik
- Therapeutische Beziehung
- Neurotizismus
- Konfirmatorische Faktorenanalyse