Trotz der in Deutschland inzwischen breiten Umsetzung der videogestützten psychotherapeutischen Versorgung ist die Wissensbasis über die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Behandlungsform insbesondere in naturalistischen Settings relativ gering. Um diese Lücke zu schließen, wurden Daten zu mehreren Hundert Patienten einer psychotherapeutischen Ambulanz im Kontext der Annahme und Durchführbarkeit von Videosprechstunden analysiert. Die Ergebnisse sollen Aufschluss über die tatsächliche Nutzung dieser Behandlungsform, aber auch Hinweise zu möglicher Optimierung und Steigerung der Inanspruchnahme der Behandlung geben, insbesondere da zwischenzeitlich weitere Lockdown-Maßnahmen bereits durchgeführt wurden und zukünftig nicht ausschließbar sind.

Einleitung

Der Ausbruch der Pandemie im Kontext der Coronaviruskrankheit 2019 (COVID-19) im Frühjahr 2020 in Deutschland hat zu diversen Einschränkungen des öffentlichen Lebens geführt und im erheblichen Ausmaß die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung beeinflusst. Im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung ist es zu fakultativen, in manchen Settings sogar zu obligatorischen Unterbrechungen der Behandlungen oder dem Wechsel von präsenz- zur videogestützten Behandlung gekommen.

Viele berufsbezogene Verbände haben aufgrund der Situation die videogestützte Psychotherapie als geeignete Alternative zur Präsenztherapie eingestuft und praxisbezogene Hinweise für Therapeuten und Praxen herausgegeben (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen [BDP] 2020; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde [DGPPN] 2020; Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung [DPtV] 2020). Der Empfehlung zum Wechsel von klassischer Angesicht-zu-Angesicht-Therapie zur videogestützten Psychotherapie kann inzwischen auch auf gute Evidenz bezüglich ihrer Wirksamkeit fußen. So wurden Nachweise für die Wirksamkeit von videogestützter Psychotherapie in verschiedenen störungs- und methodenübergreifenden Erhebungen gefunden. Vorwiegend wurden Behandlungen mit kognitiv-behavioralem Therapieansatz systematisch innerhalb von Fragestellungen zu videogestützter Psychotherapie untersucht (Backhaus et al. 2012; Berryhill et al. 2019a, 2019b). Jedoch liegen auch Studienergebnisse vor, die andere Ansätze betrachten, e. g. „behavioral activation und acceptance based behavioral therapy“ (Norwood et al. 2018), systemische Therapie oder Psychoanalyse (Backhaus et al. 2012).

Innerhalb der verfahrenübergreifenden Betrachtungen der Anwendbarkeit von videogestützter Psychotherapie wird mehrheitlich von der generellen Eignung dieses Zugangs berichtet. Gleiche oder ähnliche Niveaus bei Diagnosefindung, Notfallbehandlung, Therapie-Outcomes und Symptomentlastung wie bei der Präsenztherapie konnten in diesem neuartigen Behandlungssetting beobachtet werden (Backhaus et al. 2012; Berryhill et al. 2019a, 2019b; Hilty et al. 2013; Norwood et al. 2018). Lediglich im Bereich der Arbeitsallianz schnitt die videogestützte Psychotherapie schlechter ab als die konventionell durchgeführte Psychotherapie (Norwood et al. 2018). Im Rahmen einer aktuellen deutschen Machbarkeitsstudie (Projekt „Improving cross-sectoral collaboration between primary and psychosocial care: an implementation study on video consultations“ [PROVIDE], https://www.provide-project.de) befragten Haun et al. (2019, 2020) Patienten mit Angststörung oder Depressionen, die nach der Vorstellung in der Hausarztpraxis Videokonsultationen durch Psychotherapeuten erhielten. Zudem wurden die Studientherapeuten nach ihren Erfahrungen befragt. Therapeuten haben zwar Videokonsultation ausnahmelos als „anstrengender“ eingestuft, jedoch bewerteten sie diese Art von Therapie als praxistauglich und gut durchführbar. In dieser Studie berichteten die Patienten von einem reibungslosen Ablauf der einzelnen Videokonsultationen. Obwohl 8 von 20 Patienten sich vor Beginn der ersten Sitzung skeptisch gezeigt haben, relativierte sich diese Einstellung jedoch nach der ersten Videokonsultation. Insgesamt gaben fast alle Patienten an, von videogestützter Psychotherapie profitiert zu haben. Nur konsequent und folgerichtig erscheint somit, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die die Rahmenbedingungen der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten in Deutschland reguliert, die Durchführung von videogestützter Psychotherapie in Form der sog. Videosprechstunde durch Änderung der entsprechenden Regularien zugelassen bzw. erweitert hat (Gesetzlichekrankenkassen.de [GK] (2020)).

Für die erfolgreiche Etablierung dieses neuartigen Behandlungssettings in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung spielen neben den rechtlichen Rahmenbedingungen auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle. So betrachteten Waller et al. (2020) die Akzeptanz, das Wissen und die Bedenken gegenüber videogestützter Psychotherapie bei Patienten mit psychischen Erkrankungen und Behandlern dieser Patienten. Videogestützte Psychotherapie im Vergleich zur Präsenzbehandlung wurde von Patienten häufiger als schlechter wahrgenommen, insbesondere wenn Patienten bereits eine Präsenzbehandlung erfahren hatten. Manche Patienten haben sogar die videogestützte Psychotherapie unterbrochen, um die Präsenztherapie nach den Lockerungen der mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen erneut aufzunehmen (Waller et al. 2020). Behandler hingegen äußerten Besorgnis über die technische Durchführbarkeit und Sicherheit der videogestützten Psychotherapie (Waller et al. 2020).

Material und Methode

In dem Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 15.05.2020 wurden angehende Psychotherapeuten in der Ausbildungsambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover über ihre Erfahrungen sowie die Erfahrungen ihrer Patienten bezüglich der Nutzung der Psychotherapie via Videosprechstunde strukturiert mit einem Fragebogen befragt. In dieser Zeit waren Präsenzbehandlungen aufgrund der Antipandemiemaßnahmen in der Ambulanz nicht möglich. Die Patienten mussten sich somit entweder für die Videosprechstunde entscheiden oder eine Unterbrechung der Behandlung für eine ungewisse Zeitdauer hinnehmen. Die Videosprechstunde wurde über einen zugelassenen und von entsprechenden Stellen zertifizierten Dienst gemäß den Regelungen von GKV-Spitzenverband und KBV durchgeführt. Für die am schwersten betroffenen Patienten, die keine Videosprechstunde erhalten haben, wurden während der Lockdownzeit rein telefonische Behandlungen durchgeführt, auch wenn diese im Rahmen der gesetzlichen Versorgung in Deutschland kaum refinanziert wurden.

Stichprobe

Die Untersuchung basiert auf anonymisierten Daten von insgesamt 338 Patienten, darunter 247 in einer ambulanten verhaltenstherapeutischen Psychotherapie (VT) und 91 in einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (TP) gemäß der Psychotherapierichtlinie (Gemeinsamer Bundesausschuss 2009). Die Patienten wurden unter Einbezug eines strukturierten Interviews (SKID, Wittchen et al. 1997) diagnostiziert. Die soziodemografischen Daten der teilnehmenden Patienten finden sich in Tab. 1.

Tab. 1 Deskriptive Daten der Patienten

Befragung

Die strukturiert erfragten Daten bezogen sich neben den demografischen Angaben und Angaben zu den Behandlungsdiagnosen auf mehrere Aspekte der Nutzung der Videosprechstunde. So wurden die bis zum Zeitpunkt der Lockdownmaßnahmen erfolgten Einheiten der Richtlinienpsychotherapie erfasst. Die Anzahl der mithilfe der Videosprechstunde durchgeführten Psychotherapieeinheiten während des Erhebungszeitraumes wurde erfragt. Bei Nichtinanspruchnahme der videogestützten Behandlung wurden die Gründe aus der Sicht der Patienten durch die Psychotherapeuten erhoben und in dem Fragebogen vermerkt. Dabei gab es folgende 4 Antwortmöglichkeiten: keine technischen Voraussetzungen beim Patienten; technisch möglich, aber der Patient wünscht die Videosprechstunde nicht; die Videosprechstunde wurde versucht, aber funktionierte technisch nicht; mangelnde Deutschkenntnisse beim Patienten. Bei keiner Inanspruchnahme der videogestützten Behandlung wurde erhoben, ob die Weiterbehandlung unterbrochen oder rein telefonisch fortgesetzt wurde. Für den Fall der Inanspruchnahme wurden die Art der von den Patienten verwendeten Hardware sowie exemplarisch potenzielle technische und soziale Störungen für die letzte im Erhebungszeitraum durchgeführte Therapieeinheit über die Videosprechstunde erfasst. Der Fragebogen mit allen verwendeten Fragen kann im Zusatzmaterial online („Fragebogen zur Nutzung der Videosprechstunde in der ambulanten Psychotherapie“) eingesehen werden.

Ergebnisse

Die deskriptiven Daten der untersuchten Patienten finden sich in Tab. 1. Beide Patientengruppen unterschieden sich nicht im Alter (T(327) = 0,24, p = 0,77), in der Schulbildung (T(325) = 0,33, p = 0,74) oder in der Verteilung der Diagnosen (U = 10.422, Z = −0,74, p = 0,46). Jedoch unterschieden sich beide Gruppen in der Dauer der Richtlinienpsychotherapie, die sie bis zum Inkrafttreten der Lockdownmaßnahmen absolviert hatten (T(334) = −2,96, p < 0,01), mit längerer Behandlungsdauer bei TP-Patienten (Mittelwert [M] = 26,49 Therapieeinheiten, Standardabweichung [SD] ± 19,86 Therapieeinheiten) im Vergleich zu VT-Patienten (M = 19,31, SD ± 19,74). Es gab ebenso einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich der Geschlechterverteilung (T(334) = −2,30, p = 0,02) mit höher Anzahl von Patientinnen in TP-Behandlung. Ferner konnte ein signifikanter Unterschied zwischen der Schwere der Krankheit, operationalisiert durch die Zahl der Diagnosen, zwischen den beiden Gruppen festgestellt werden (U = 8650, Z = −3,56, p < 0,01), mit höherer F‑Diagnosen-Zahl bei Patienten in VT-Behandlung. Jedoch zeigten die beiden Patientengruppen (VT vs. TP) keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Häufigkeit der Nutzung der Videosprechstunde (χ(1) = 0,03, p = 0,84). Eine tabellarische Aufstellung der Daten der Nutzer und der Nichtnutzer der Videosprechstunde kann dem Zusatzmaterial online (Tabelle: „Nutzung bzw. Nichtnutzung der Onlinepsychotherapie aus Sicht der Patienten“) entnommen werden.

In der erfassten Patientenstichprobe beider Verfahren wurden für 19,5 % der Patienten 3 oder mehr Diagnosen gemäß Katalog F der 10. Auflage der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) gestellt, für 35,8 % 2 F-Diagnosen, und 44,6 % wurden wegen einer F‑Diagnose behandelt. Für die Mehrheit der Patienten wurde eine Primärdiagnose aus den Bereichen F3 (mit 52 %) und F4 (34 %) gestellt.

Die erhobenen Daten zeigen, dass 34,7 % der Patienten die videogestützte Psychotherapie nicht wahrgenommen haben. Wegen mangelnder technischer Ausstattung konnten davon 32 % der Patienten diese Behandlungsform nicht wahrnehmen, 49 % der Patienten haben sich trotz vorhandener technischer Möglichkeiten (e. g. Webcam und Headset vorhanden) gegen dieses Behandlungssetting entschieden. Bei 19 % der Patienten wurde die Durchführung der Behandlung versucht und hat aufgrund technischer Probleme (e. g. Installation, Einrichtung der Hardware, Aufbau der Verbindung) nicht funktioniert. Eine sprachliche Barriere (e. g. bei Patienten mit Migrationshintergrund) erwies sich als irrelevant für die Entscheidung bezüglich der Inanspruchnahme der Videosprechstunde.

Mithilfe einer logistischen Regressionsanalyse (Inanspruchnahme der Videosprechstunde als abhängige Variable und Alter sowie höchster Schulabschluss als erklärende Variable) konnte gezeigt werden, dass ältere Patienten mit höherer Wahrscheinlichkeit die Online-Therapie nicht wahrnehmen. Bei einer Steigerung des Patientenalters um ein Jahr stieg die Chance um das 0,96-Fache an (Exp(B) = 0,96, p < 0,01), diese Art von Therapie abzulehnen. Ferner konnte ein Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Inanspruchnahme der Online-Therapie ermittelt werden. Je höher das Bildungsniveau war, desto höher war die relative Wahrscheinlichkeit der Nutzung der Online-Therapie (Exp(B) = 1,54, p < 0,01).

Die Nutzung der Videosprechstunde unterschied sich nicht zwischen der Gruppe der Patienten mit einer Primärdiagnose aus den Bereichen F3 und F4 der ICD 10, wie der durchgeführte χ2-Test mit Kontinuitätskorrektur zeigt (χ(1) = 2,52, p = 0,11). Auch die Anzahl der bisher durchgeführten Therapieeinheiten wies keine signifikante Korrelation mit der Nutzung der videogestützten Psychotherapie auf (r = −0,03, p = 0,58).

In der Gruppe der Patienten, die die Videosprechstunde in Anspruch genommen haben, hat mehr als die Hälfte (50,9 %) einen Laptop für die Therapie benutzt. Smartphones stellen mit 22,3 % das zweithäufig verwendete Gerät dar, gefolgt von Desktop und Tablet, jeweils mit 13,4 %. Bemerkenswert ist, dass bei den 227 Patienten, die die Videosprechstunde genutzt haben, die letzte Therapieeinheit des Erhebungszeitraumes in nur 18 % der Fälle gar nicht durch technische Probleme beeinträchtigt war. In 41 % der Fälle kam es zu geringen technischen Störungen (e. g. Verzögerungen in der Tonübertragung), während in 31 % der Fälle viele Störungen angegeben wurden. In 10 % der Fälle war die Durchführung der letzten Therapieeinheit des Erhebungszeitraumes aufgrund der technischen Probleme unmöglich gewesen. Soziale Störungen haben fast keinen Einfluss auf die Durchführung der Therapie gehabt. Nur in einem Fall wurde von sozialen Störungen der letzten Therapieeinheit berichtet, die die Fortsetzung der Therapieeinheit unmöglich gemacht haben. In 82,7 % der Fälle gab es gar keine sozialen Störungen.

Diskussion

In dieser Studie wurde die tatsächliche Nutzung der Videosprechstunde durch ambulante psychotherapeutische Patienten einer universitären Ausbildungsambulanz untersucht.

Das Hauptergebnis der Untersuchung zeigt, dass ca. ein Drittel der Patienten nicht über die Videosprechstunde erreicht werden konnte. Mit sinkender Schulbildung und steigendem Alter sank auch die Häufigkeit der Nutzung dieses neuartigen Behandlungssettings. Für ca. die Hälfte der Patienten, die die Videosprechstunde nicht wahrgenommen haben, konnte der Grund in technischen Aspekten gefunden werden. Entweder besaßen die Patienten nicht die notwendige Hardware oder aber konnten die Behandlung in diesem Setting trotz der vorhandenen Hardware aufgrund von Störungen nicht aufnehmen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es auch bei den Patienten, die sich für die videogestützte Behandlung entschieden haben, in ca. 40 % der Fälle bei der Stichpunkterhebung zur erheblichen technischen Störungen kam und bei ca. 10 % die Durchführung der Therapieeinheit aus diesem Grund unmöglich war. Dieses Ergebnis zeigt, dass auch gegenwärtig in einer Großstadt videogestützte psychotherapeutische Behandlungen nicht flächendeckend und störungsfrei durchgeführt werden können. Vielmehr wird über dieses Behandlungssetting ein wesentlicher Teil der Patienten nicht erreicht, mit dem Risiko der Verschlechterung der Symptomatik. Für einen Teil der Patienten könnte die Lösung in der Schaffung der technischen Voraussetzungen über die Ausleihe von e. g. am mobilen Telefonnetz angebundenen Kommunikationsgeräten (Tablets) liegen. Solche vorkonfigurierten Geräte könnten analog anderer medizinischer Hilfsmittel durch die Kostenträger leihweise zur Verfügung gestellt werden. Die präsentierten Ergebnisse zeigen aber auch, dass es bei Patienten mit vorhandener technischer Ausstattung zu wesentlichen Störungen in den laufenden Videobehandlungen gekommen ist. Solche Störungen sind zu erwarten, insbesondere im psychotherapeutischen Setting, in dem der Patientenkontakt grundsätzlich über längere Zeit (bis zu 50 min) am Stück erfolgt. Das setzt eine wesentlich größere Stabilität der Internetverbindung voraus. Oder anders formuliert: Die Wahrscheinlichkeit von Störungen während einer kurzen Videokonsultation, wie sie häufig im Bereich der somatischen Medizin erfolgt, ist wesentlich geringer als für lange psychotherapeutische Behandlungen. Die Ergebnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführten PROVID-Projekts (Haun et al. 2019, 2020) zeigen, dass allein die Antizipation der Unterbrechung oder Verzögerung der Ton- und/oder Bildübertragung zur Unsicherheit der Therapeuten im therapeutischen Gespräch führen kann. Eine mögliche Lösung dieses Problems könnte neben dem globalen Ausbau des Datennetzes die priorisierte Datenübertragung für diese Art der Verbindungen sein. Auch hier müssten die Kostenträger der Behandlungen entsprechende Vereinbarungen mit den Anbietern der Internetzugänge realisieren. Für eine Übergangszeit wäre aber auch die Öffnung der psychotherapeutischen Behandlungen für den rein telefonischen Setting denkbar. Diese Lösung wäre immerhin eine bessere als eine Therapieunterbrechung.

Das zweite wesentliche Ergebnis der Studie besteht in der Erkenntnis, dass es auch eine beachtliche Gruppe der Patienten gibt, die sich trotz vorhandener Voraussetzungen gegen die Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung im videogestützten Setting entschieden hat. Dabei handelt es sich um ca. 14,2 % der Patienten der Stichprobe. Für diese Patientengruppe müssten aufseiten der Psychotherapeutenschaft geeignete Interventionen zur Steigerung der Akzeptanz des Settings entwickelt werden. Dazu wären mit Sicherheit auch Studien hilfreich, die der Ablehnung der Behandlungsform zugrunde liegenden Motive der Patienten explorieren. In einer aktuellen Studie konnten Topooco et al. (2017) zeigen, dass geringes Wissen über digital gestützte Behandlungen aufseiten der Patienten und Behandler zur geringen Akzeptanz des Behandlungssettings führte. Auch äußerten die Behandler Besorgnis über die technische Durchführbarkeit und Sicherheit solcher Behandlungen (Waller et al. 2020). Um die Erfahrung und Akzeptanz dieses Behandlungssettings zu steigern, könnten die behandelnden Psychotherapeuten auch in regulären Therapien außerhalb von Lockdownzeiten zwischendurch videogestützte Therapieeinheiten einführen. Mit entsprechenden motivierenden psychotherapeutischen Interventionen könnte dies die Gruppe der verweigernden Patienten künftig erheblich reduzieren.

Für die Ergebnisse dieser Studie gelten einige Limitationen, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. In erster Linie einschränkend muss darauf hingewiesen werden, dass die psychotherapeutischen Behandlungen in einer Ausbildungsambulanz durchgeführt wurden. Das kann die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf die Allgemeinheit der niedergelassenen Psychotherapeuten reduzieren. Auch wurden keine Daten aus Behandlungen im Verfahren der Psychoanalyse (PA) erhoben, sodass die Ergebnisse sich lediglich auf die Verfahren der VT und der TP beschränken. Da aber keine verfahrensspezifischen Unterschiede in der Teilnahme an Videosprechstunde gefunden wurden, könnten die Ergebnisse vermutlich auch auf die PA und die nun zugelassene systemische Psychotherapie übertagbar sein. Methodisch muss noch erwähnt werden, dass die Befragung der Patienten indirekt über die jeweils behandelnden Psychotherapeuten erfolgte. Dies kann trotz dem relativ klar strukturierten Fragebogen zu Beeinflussung des Antwortverhaltens geführt haben. Die in der Befragung erfasste Behandlungsdauer ist durch die Lockdownmaßnahme nur relativ kurz gewesen, und die teilnehmenden Patienten befanden sich überwiegend in der ersten Hälfte der Behandlung. Dies kann die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ebenfalls beeinflussen. Zusätzlich muss auf die Operationalisierung der Schwere der Erkrankung über die Zahl der ICD-10-Diagnosen hingewiesen werden. Diese Art der Operationalisierung kann zu Fehleinschätzungen führen. Hier wäre es für künftige Untersuchungen hilfreich, wenn zusätzlich weitere Kriterien, e. g. Fragebogen zur allgemeinen psychischen Belastung oder Skalen zum Funktionsniveau, angewendet würden.

Aktuelle Studienergebnisse machen verringerte Kapazitäten und den steigenden Bedarf psychotherapeutischer Versorgung während der Coronaviruspandemie deutlich (Wind et al. 2020). Es ist auch mit einem deutlichen Anstieg von Angsterkrankungen und Depressionen zu rechnen (Wind et al. 2020; Wang et al. 2020). So konnten erste Zahlen aus China belegen, dass die Coronaviruspandemie das mentale Befinden der Allgemeinbevölkerung mittel- bis schwergradig verändern hat (Wang et al. 2020). Unter diesen Aspekten und bei unklarer Situation über künftige Lockdownmaßnahmen zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie auf, dass trotz der bereits auf breiter Basis implementierten Digitalisierung ambulanter Psychotherapie wesentliche Teile der Patientenpopulation nur unzureichend über videogestützte Behandlung erreicht werden können.

Fazit für die Praxis

  • Ein Drittel der ambulanten psychotherapeutischen Patienten wird aktuell über die Videobehandlung nicht erreicht. Bei ca. der Hälfte dieser Patienten fehlen die technischen Voraussetzungen zur Durchführung dieser Behandlungsform. Die andere Hälfte zeigte keine Akzeptanz gegenüber der Behandlungsform.

  • Die Anzahl der Patienten, die diese videogestützte Behandlung in Anspruch nehmen, könnte über folgende Maßnahmen erhöht werden: Zur-Verfügung-Stellung von e. g. am mobilen Netz angebundenen Kommunikationsgeräten (Tablets), Ausbau des Datennetzes, priorisierte Datenübertragung für diese Art der Verbindungen und zuletzt Schaffung geeigneter psychotherapeutischer Interventionen zur Steigerung der Akzeptanz des Settings mit Implementierung sporadischer videogestützter Therapieeinheiten auch während der regulären psychotherapeutischen Behandlungen.