In den letzten Jahren analysierten Studien zunehmend die Auswirkungen einer mütterlichen Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) auf ihre Kinder. Über verschiedene Entwicklungsstufen hinweg wird dabei ein erhöhtes Risiko für psychische und psychosoziale Auffälligkeiten beobachtet (Eyden et al. 2016; Florange und Herpertz 2019; Petfield et al. 2015). Ausgehend von dieser Befundlage ist eine zentrale Aufgabe von Forschung und Praxis, ein besseres Verständnis dieses Risikos zu erlangen und es in der Folge zu reduzieren.

Aktuellen Ätiologiemodellen der BPS liegt ein entwicklungspsychopathologischer Ansatz zugrunde, in dem multifaktorielle Bedingungen Berücksichtigung finden. Neben genetischen und neuronalen Faktoren sowie belastenden Lebensereignissen wird die Bedeutung des familiären und sozialen Umfelds sowie der sich im Verlauf entwickelnden Denk- und Verhaltensmuster betont (Stepp et al. 2016; Winsper 2018). Insbesondere die Eltern-Kind-Beziehung stellt einen bedeutsamen Kontext für die Entwicklung einer BPS dar (Steele et al. 2019). Dieser Beitrag zielt darauf ab, einen Überblick zum aktuellen Forschungsstand der familiären Transmission der BPS von Eltern zu ihren Kindern zu präsentieren. Hierfür wurden die Datenbanken Web of Science, PubMed und PsychInfo nach geeigneten Studien durchsucht. Als Suchbegriffe wurden neben Borderline-Persönlichkeitsstörung [borderline personality disorder OR borderline OR BPD], Eltern [parent* OR mother OR father] und Kinder [child* OR offspring OR infant* OR toddler] auch familiäre Transmission [familial transmission OR intergenerational transmission] berücksichtigt. Darüber hinaus wurde die Schneeballmethode bezüglich relevanter Studien angewendet. Auf der Basis dieser umfassenden Literaturrecherche wurde anschließend ein Transmissionsmodell hergeleitet, das im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Hierbei wird vorrangig Bezug auf die familiäre Transmission der BPS von Müttern zu ihren Kindern genommen, da sich im Rahmen der Literatursuche herausstellte, dass es kaum Forschung zu Vätern mit BPS gibt. Neben Befunden, die auf eine Transmission der BPS an sich hindeuten, gibt es insbesondere Hinweise auf die Übertragung von störungs(un)spezifischen Merkmalen und Vulnerabilitäten. An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass der Fokus bisheriger Forschungsarbeiten insbesondere auf der Identifikation von Risikofaktoren lag, während protektive Einflüsse auf die Transmission der BPS bislang kaum untersucht wurden. Ausgehend von den aktuellen Befunden und dem hier dargestellten Transmissionsmodell werden abschließend Implikationen abgeleitet, die dazu beitragen können, den Kreislauf zu unterbrechen.

Modell der familiären Transmission

In dem hier dargestellten Modell der generationsübergreifenden Übertragung der BPS (Abb. 1) wird zwischen 4 interagierenden Faktoren unterschieden. Es wird angenommen, dass neben Einflussfaktoren aufseiten der Mutter und des Kindes auch äußere (familiäre, soziale bzw. gesellschaftliche) Faktoren sowie Maßnahmen durch Hilfesysteme auf die Dyade einwirken. Darüber hinaus werden verschiedene potenzielle Übertragungsmechanismen der BPS postuliert, wobei von einem komplexen Zusammenspiel und einer Interaktion der Einflussfaktoren und Mechanismen ausgegangen wird.

Abb. 1
figure 1

Modell der generationsübergreifenden Übertragung der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Einflussfaktoren: Mutter, Kind, externe Faktoren (familiäre und soziale bzw. gesellschaftliche) und Hilfesysteme. Mechanismen: genetische Übertragung, pränatale Einflüsse, Mutter-Kind-Interaktion, epigenetische Mechanismen, familiäre Einflüsse, soziale Einflüsse und Einflüsse durch Kinder- und Jugendhilfe sowie das Gesundheitswesen. Die aufgeführten Aspekte können sich sowohl positiv als auch negativ auswirken

Genetische Übertragung

Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass die Entwicklung von BPS-Symptomen bei Kindern von Müttern mit BPS durch genetische Prädispositionen begünstigt wird. In einer Zwillingsstudie zur BPS von Torgersen et al. (2012) konnten genetische Faktoren 67 % der Varianz erklären. Allerdings variieren Schätzungen der Varianzaufklärung der BPS durch genetische Faktoren zwischen 42 und 70 % (De Clercq et al. 2014). Bei ausschließlicher Betrachtung einzelner Symptome fällt die Heritabilität höher aus. Insbesondere für das Merkmal mütterlicher Impulsivität, das zudem ein Prädiktor für BPS-Symptome im frühen Jugendalter darstellt (De Clercq et al. 2014), fanden Beauchaine und Neuhaus (2008) eine Varianzaufklärung von 80 % durch genetische Faktoren.

Pränatale Einflüsse

Anhand retrospektiver Fallstudien werden bei Kindern von Müttern mit BPS gehäuft frühkindliche Auffälligkeiten, eine vorzeitige Geburt und geringe Apgar-Werte berichtet (Blankley et al. 2015; Pare-Miron et al. 2016). Die Autor_innen nehmen an, dass diese Beobachtungen insbesondere auf pränatalen Stress und eine geringe Teilnahme an vorgeburtlicher Betreuung (Blankley et al. 2015) sowie auf den Konsum von Alkohol, illegalen Drogen und Tabak während der Schwangerschaft (Pare-Miron et al. 2016) zurückgeführt werden könnten. Es ist jedoch unklar, ob diese mütterlichen Verhaltensweisen tatsächlich ursächliche Faktoren für die benannten frühkindlichen Auffälligkeiten darstellen, und welche Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder zu erwarten sind. Zudem ist bislang offen, ob sie spezifisch für Mütter mit BPS sind oder auch für Mütter mit anderen psychischen Störungen zutreffen.

Mutter-Kind-Interaktion

Über verschiedene Forschungsarbeiten hinweg zeigen sich übereinstimmend Hinweise für Auffälligkeiten von Müttern mit BPS im Erziehungsverhalten sowie in der Interaktion mit ihren Kindern (Eyden et al. 2016; Florange und Herpertz 2019; Petfield et al. 2015). Darüber hinaus befassen sich verschiedene Studien mit den Auswirkungen einer Elternschaft auf Mütter mit BPS und ihre Kinder. Obwohl es an Längsschnittstudien fehlt, lassen sich aus diesen Studien erste Annahmen zur Transmission der BPS ableiten.

Mütterliches Erziehungsverhalten.

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Mütter mit BPS ein höheres Ausmaß ängstlich-desorientierten Verhaltens zeigen, was wiederum mit desorganisierter Bindung (Hobson et al. 2005) sowie enthemmtem Verhalten (Lyons-Ruth et al. 2019) aufseiten der Kinder zusammenhängt. Darüber hinaus scheinen feindseliges Verhalten sowie geringe emotionale Verfügbarkeit der Mütter mit BPS insbesondere das Risiko ihrer Kinder zu erhöhen, internalisierendes und externalisierendes Problemverhalten sowie psychische Störungen zu entwickeln (Kluczniok et al. 2018; Trupe et al. 2018). Frankel-Waldheter et al. (2015) berichten überdies von einem Zusammenhang zwischen diesem mütterlichen Verhalten und BPS-Symptomen (affektive Instabilität und Selbstverletzung) im Jugendalter aufseiten ihrer Kinder. Weiterhin werden konsistent unsensible sowie übergriffige Verhaltensmuster bei Müttern mit BPS in der Interaktion mit ihren Kindern beobachtet (Apter et al. 2017; Crandell et al. 2003; Hobson et al. 2005). Zalewski et al. (2014) weisen auf einen Erziehungsstil bei Müttern mit BPS hin, der durch eine Ausübung von Macht gekennzeichnet ist, die sich in der Induktion von Schuldgefühlen und in einer harten Bestrafung zeigt (psychologische Kontrolle). Dieser Erziehungsstil scheint ebenfalls zu einer Transmission von BPS-Symptomen beizutragen. So weisen Mahan et al. (2018) einen Zusammenhang zwischen psychologischer Kontrolle der Mütter und affektiver Instabilität bei Jugendlichen nach. Darüber hinaus finden Reinelt et al. (2014) in ihrer Langzeitstudie Hinweise dafür, dass dem beobachteten Wechsel zwischen einem überprotektiven (kontrollierenden) und zugleich ablehnenden (feindseligen) Erziehungsstil eine besondere Rolle bei der Übertragung von BPS-Symptomen von Mutter zu Kind zukommt.

Mütterliche Emotionsregulation, Mentalisierung und Attribution.

Verschiedene Befunde legen nahe, dass mütterliche Schwierigkeiten in der Emotionsregulation die Mutter-Kind-Interaktion und das mütterliche Erziehungsverhalten beeinflussen. Insbesondere die Ausübung von psychologischer Kontrolle durch Induktion von Schuldgefühlen und härtere Bestrafung wird durch emotionale Dysregulation der Mütter vorhergesagt (Zalewski et al. 2014). Somit könnte dieses Zusammenspiel eine zentrale Rolle bei der Transmission einer beeinträchtigten Emotionsregulation sowie von BPS-Symptomen spielen. Kiel et al. (2011) betonen die Bedeutung einer zeitlichen Wechselwirkung: Je länger Stressäußerungen aufseiten der Säuglinge in ihrer Studie anhielten, umso größer wurde die Wahrscheinlichkeit unsensiblen Verhaltens der Mütter mit BPS, jedoch nicht der Mütter ohne BPS. Mit zunehmender mütterlicher Insensibilität erhöhte sich der Stress der Kinder weiter. Der Zusammenhang zwischen vermehrt bestrafendem bzw. abwertendem Verhalten von Müttern mit BPS bei Ärgeräußerungen ihrer Kinder wird in einer weiteren Studie durch mütterliche Schwierigkeiten in der Emotionsregulation mediiert (Kiel et al. 2017). Bei Kindern von Müttern mit BPS zeigen sich über verschiedene Entwicklungsstufen hinweg Hinweise auf dysfunktionale Selbstregulation: Neben Auffälligkeiten in der emotionalen Expressivität in Form von verstärktem oder gänzlich ausbleibendem Ausdruck von Angst bei Konfrontation mit angstauslösenden Stimuli (Gratz et al. 2014; Whalen et al. 2015) wurden atypische Reaktionen auf interpersonellen Stress, wie einen benommenen oder von der Mutter abgewendeten Blick, bei 2 bzw. 3 Monate alten Säuglingen nach einer Stressphase beobachtet (Apter et al. 2017; Crandell et al. 2003). Darüber hinaus konnte ein Zusammenhang zwischen mütterlichen BPS-Merkmalen und stärkeren negativen Affekten (Frustration und Angst) sowie weniger Selbstkontrolle (Zalewski et al. 2019) bei ihren Kindern nachgewiesen werden. Störungsübergreifend wird zunehmend davon ausgegangen, dass emotionale Dysregulation eine zentrale Rolle bei der Ätiologie und Aufrechterhaltung psychischer Störungen spielt (Crowell et al. 2015; Fernandez et al. 2016) und somit ebenfalls als zentraler Mechanismus in der familiären Transmission der BPS gesehen werden kann (Carpenter und Trull 2013; Gratz et al. 2009).

Verschiedene Studien weisen auf eine reduzierte Fähigkeit von Müttern mit BPS hin, kindliche Befindlichkeiten korrekt zu verstehen (Mentalisierung) und in der Folge angemessen darauf zu reagieren (Marcoux et al. 2017; Schacht et al. 2013). Darüber hinaus wurden negative Attributionen bezüglich neutraler Emotionsausdrücke ihrer Kinder (Elliot et al. 2014) und Defizite in der emotionalen Kommunikationsfähigkeit beobachtet (Hobson et al. 2009), wodurch eine adäquate Reaktion auf kindliche Bedürfnisse erschwert und negative Entwicklungsverläufe möglicherweise weiter begünstigt werden (Elliot et al. 2014; Hobson et al. 2009). Auffälligkeiten aufseiten der Kinder, die mit den beschriebenen mütterlichen Verhaltensweisen im Zusammenhang stehen, betreffen insbesondere Probleme bei der affektiven Perspektivübernahme und dem Verständnis von Emotionsursachen sowie Schwierigkeiten im Bezeichnen von Emotionen (Schacht et al. 2013; Zalewski et al. 2019). Bisher gibt es jedoch keine Studien, die direkt den Einfluss mütterlicher Mentalisierung und Attributionen auf die Entwicklung einer BPS bei ihren Kindern untersuchen.

Die Untersuchung narrativer Repräsentationen bei Vorschulkindern von Müttern mit BPS zeigt Hinweise auf eine ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden, ein inkongruentes und schambesetztes Selbstbild, Rollenumkehr sowie negativere Erwartungen an die Eltern-Kind-Beziehung, als dies bei Kindern gesunder Mütter beobachtet wird. Diese Repräsentationen werden als Vorläufer einer BPS-spezifischen Symptomatik interpretiert (Macfie et al. 2017, 2014; Macfie und Swan 2009). Übereinstimmend damit konnte eine Transmission von störungsspezifischen Symptomen der BPS in einer der wenigen Längsschnittstudien beobachtet werden (Barnow et al. 2013). Zudem liefert eine kürzlich erschienene prospektive Studie erste Hinweise dafür, dass emotionale Dysregulation und Dissoziation aufseiten der Mütter mit BPS einen Einfluss auf die Dissoziationsentwicklung bei Kindern haben (Lewis et al. 2020). Die Autorinnen vermuten, dass dieser Zusammenhang zumindest teilweise durch Aspekte der Mutter-Kind-Interaktion vermittelt wird, wobei Befunde an dieser Stelle noch ausstehen.

Mütterliches Stresserleben.

In Untersuchungen zur Selbstwahrnehmung geben Mütter mit BPS an, weniger zufrieden zu sein und sich inkompetenter sowie gestresster in ihrer Mutterrolle zu fühlen als Mütter ohne psychische Störung (Newman et al. 2007), wobei das Stresserleben den Effekt zwischen der mütterlichen BPS-Symptomatik und psychischen sowie psychosozialen Beschwerden aufseiten der Kinder vermittelt (Dittrich et al. 2019). Diese Befunde betonen die Rolle des Stresserlebens der Mütter bei der Transmission der BPS.

Kindlicher Selbstwert.

Ferner werden höhere Ausprägungen mütterlicher BPS-Symptome mit einem niedrigeren Selbstwert der Kinder in Zusammenhang gebracht (Barnow et al. 2006; Herr et al. 2008), wobei die Kinder zugleich ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten aufweisen sowie häufiger von Suizidgedanken und -plänen berichten (Barnow et al. 2006). Auch in diesem Zusammenhang ist zumindest teilweise eine Vermittlung durch die Mutter-Kind-Interaktion denkbar.

Epigenetische Mechanismen

Die Befundlage zur Gen-Umwelt-Interaktion ist derzeit noch nicht eindeutig. Sicorello und Schmahl (2019) stellen die DNA-Methylierung des Oxytocinrezeptorgens als möglichen epigenetischen Mechanismus heraus. Oxytocin wird insbesondere als Regulator des menschlichen Sozialverhaltens betrachtet, wobei individuelle Unterschiede innerhalb des Oxytocinsystems u. a. mit variierender Sensibilität für soziale Signale, prosozialem Verhalten und Stressreaktivität bei Erwachsenen in Verbindung gebracht werden (Chen et al. 2011; Marsh et al. 2010; Puglia et al. 2015). Studien mit gesunden Müttern fanden einen Zusammenhang zwischen hoher Oxytocinkonzentration und feinfühligem mütterlichen Verhalten sowie einer intakten Mutter-Kind-Bindung (Feldman et al. 2013, 2012; Krol et al. 2019). Darüber hinaus lässt sich die DNA-Methylierung des Oxytocinrezeptorgens bei Säuglingen durch die Qualität mütterlichen Fürsorgeverhaltens vorhersagen (Krol et al. 2019). Befunde zur BPS deuten auf niedrigere Oxytocinkonzentrationen hin (Bertsch et al. 2013), wobei sowohl Zusammenhänge mit Misshandlungserfahrungen (Kluczniok et al. 2019) als auch desorganisierten Bindungsrepräsentanzen (Jobst et al. 2016) gefunden wurden. Untersuchungen zum Einfluss mütterlicher Verhaltensweisen auf das Oxytocinsystem ihrer Kinder stehen hinsichtlich der BPS jedoch noch aus.

Externe Faktoren

Familiärer Kontext.

Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der Transmission der BPS von Bedeutung ist, betrifft den Einfluss des familiären Kontextes. Ein erhöhtes Risiko für Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung wird bei Kindern von Müttern mit BPS berichtet (Macfie und Kurdziel 2019). Insbesondere für physische sowie emotionale Gewalt und Vernachlässigung zeigt sich ein Zusammenhang mit BPS-Symptomen bei den jugendlichen Nachkommen (Kurdziel et al. 2018). Das erhöhte Risiko für Kindesmissbrauch hängt sowohl mit eigenen Missbrauchserfahrungen (Dittrich et al. 2018) als auch mit Schwierigkeiten in der Emotionsregulation (Hiraoka et al. 2016) der Mütter mit BPS zusammen. Wichtig ist jedoch auch der Befund, dass die berichteten Gewalterfahrungen der Kinder und Jugendlichen nicht ausschließlich von den Müttern mit BPS ausgehen (Kurdziel et al. 2018; Macfie und Kurdziel 2019). Ferner berichten Feldman et al. (1995), dass Kinder häufig einen Suizidversuch ihrer Mutter (24 % der Kinder) oder ihres Vaters (19 % der Kinder) mit BPS miterlebt haben. Der familiäre Kontext ist zudem oftmals von schweren partnerschaftlichen Konflikten und Gewalt (Laporte et al. 2018; Whisman und Schonbrun 2009), postnatalem Drogenmissbrauch der Mütter und Partner_innen, instabilen Familienverhältnissen (Laporte et al. 2018) sowie von einem hohen Wechsel der im Haushalt lebenden Personen und einer als gering eingeschätzten Kohäsion (Feldman et al. 1995) geprägt. Zudem sind viele Mütter mit BPS alleinerziehend (Barnow et al. 2006). Diese Umstände können Risikofaktoren für die Entwicklung des Kindes darstellen, wobei systematische Studienergebnisse zu den Auswirkungen dieser Bedingungen auf die Transmission der BPS fehlen.

Sozialer und gesellschaftlicher Kontext.

Der soziale Kontext der Mütter mit BPS, insbesondere die oftmals fehlende berufliche Perspektive sowie finanzielle Probleme, wirkt sich auf ihr Stresserleben aus (Rosenbach und Renneberg 2019). In einer Studie von Barnow et al. (2006) verfügt nur die Hälfe der Mütter mit BPS über eine Anstellung. Darüber hinaus zeigen zwei weitere Untersuchungen, dass eine BPS oftmals mit sozialen Nachteilen einhergeht, die sich in geringerer sozialer Unterstützung und Integration widerspiegeln (Lazarus und Cheavens 2017; Ramsauer et al. 2016). Nicht nur Mütter mit BPS geben an, sich deutlich isolierter zu fühlen, auch für ihre Kinder kann der Aufbau eines stabilen sozialen Netzwerks durch häufigeres Umziehen und einen damit verbundenen Schulwechsel erschwert werden (Feldman et al. 1995; Herr et al. 2008). Im Alter von 15 Jahren schätzen Kinder von Müttern mit BPS ihre Fähigkeit, enge Freundschaften zu schließen und sozial akzeptiert zu werden, schlechter ein als gleichalterige Jugendliche von Müttern ohne BPS (Herr et al. 2008). Ein umfassenderes Verständnis bezüglich der Auswirkungen des sozialen sowie familiären Kontextes von Müttern mit BPS und ihren Kindern auf deren Entwicklung fehlt jedoch bisher.

Hilfesysteme

Der Einflussfaktor „Hilfesysteme“ umfasst insbesondere potenziell protektive Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe sowie des Gesundheitswesens, die positiv auf Mutter, Kind und deren Interaktion einwirken können. Während die Wirksamkeit störungsspezifischer Therapien für die BPS bereits umfassend untersucht und nachgewiesen ist, wurde deren Auswirkung auf die Kinder von Betroffenen – beispielsweise durch eine Reduktion der mütterlichen Symptomatik – unseres Wissens nach bislang nicht untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass die Verbesserung der Erziehungskompetenz der Mütter mit BPS auf der einen Seite (z. B. durch Psychotherapie und störungsspezifische Erziehungstrainings) und das Zur-Verfügung-Stellen von Hilfen bezüglich familiärer und sozialer Risikofaktoren auf der anderen Seite (z. B. durch Familien- und Kinder‑/Jugendhilfesysteme) einen präventiven Einfluss nehmen können. Um die Bedeutung dieses Einflussfaktors hinsichtlich des Entgegenwirkens einer Transmission der BPS besser beurteilen zu können, bedarf es jedoch dringend entsprechender Wirksamkeitsstudien. Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Dyade durch eine Unterstützung von Müttern mit BPS vonseiten der Familienhilfe sind bislang unzureichend untersucht. Darüber hinaus ist noch unklar, inwiefern sich das erhoffte Potenzial der Familien- und Kinder‑/Jugendhilfesysteme entfaltet. In qualitativen Befragungen (Bartsch et al. 2016; Renneberg et al. 2018) wurde die Wahrnehmung von Eltern mit BPS bezüglich dieser Hilfesysteme untersucht. Neben einer Angst vor Stigmatisierung identifizierten sie ein Misstrauen gegenüber den Familien- und Kinder‑/Jugendhilfesystemen aufseiten der Eltern. Derartige negative Wahrnehmungen sind in dem Sinne hinderlich, als dass die Eltern Hemmungen entwickeln, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Implikationen für die Praxis und Forschung

Basierend auf dem Zusammenspiel der Einflussfaktoren und Mechanismen des hier postulierten Modells lassen sich verschiedene Ansatzpunkte finden, die dazu beitragen könnten, die Vulnerabilität sowie Belastungsfaktoren zu reduzieren und somit eine gesunde kindliche Entwicklung in dieser Risikogruppe zu fördern. Auf der Grundlage des postulierten Transmissionsmodells und der Erfahrungen aus der klinischen Praxis werden im Folgenden Empfehlungen für die Arbeit mit Müttern mit BPS abgeleitet. Zudem wird auf Implikationen für die Forschung eingegangen.

Die komplexe und umfassende Problematik, die eine BPS mit sich bringt, erschwert im Behandlungskontext oftmals eine ausreichende Berücksichtigung der Kinder. Diese sollten jedoch – einem systemischen Blick auf die Familie entsprechend – verstärkt in der Behandlung mitbedacht werden, um ungünstigen Entwicklungsverläufen frühzeitig entgegenzuwirken. Bereits die Fragen danach, ob Patient_innen mit BPS Kinder haben, wo diese leben und wie es ihnen geht, stellen wesentliche Ausgangspunkte dar (Renneberg et al. 2018). In Anlehnung an die Befunde zu pränatalen Einflüssen sollte darüber hinaus eine Schwangerschaft von Patientinnen mit BPS in der Behandlung thematisiert werden. Wird ein Verhalten gezeigt, das ein Risiko für Mutter oder Kind darstellt, sollte ein Fokus darauf gelegt werden, die Patientin bezüglich potenzieller Konsequenzen zu informieren und Verhaltensalternativen zu erarbeiten. Hierbei ist von Bedeutung, besonders sensibel mit der Angst vor Stigmatisierung sowie dem Misstrauen gegenüber den Hilfesystemen (Renneberg et al. 2018) umzugehen.

Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass Mütter mit BPS ihren Kindern ein Umfeld bieten möchten, das ihnen zumeist in ihrer eigenen Kindheit fehlte. Zudem erleben sie nicht selten ein Gefühl von Zugehörigkeit sowie eine identitätsstiftende Wirkung in ihrer Mutterrolle (Renneberg und Rosenbach 2016; Rosenbach et al. 2019). Dies ist oftmals mit einem großen Änderungspotenzial verbunden, das in der Zusammenarbeit mit dem zur Verfügung stehenden Hilfesystem gezielt genutzt werden sollte. Beispielsweise bedarf es des Ausbaus an integrierten Eltern-Kind-Therapien, sowohl ambulant als auch (teil-)stationär, um den Versorgungsbedarf zu decken (Renneberg et al. 2018). Andauernde, zuverlässige Strukturen könnten die Hürde der Inanspruchnahme reduzieren. Um den Zugang für Hilfesuchende und Fachkräfte aus den unterschiedlichen Disziplinen zu erleichtern sowie eine Vernetzung und engere Zusammenarbeit zu unterstützen, sollte es eine zentrale, bundesweite Anlaufstelle geben (Bartsch et al. 2016; Renneberg et al. 2018). Zur Verbesserung der interdisziplinären Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sowie des Gesundheitssystems und somit zur Optimierung der Hilfe für Kinder betroffener Mütter wurde die internetbasierte E‑Learning-Fortbildung „Frühe Hilfen und frühe Interventionen im Kinderschutz“ entwickelt. In einer Pilotstudie (Weber et al. 2012) konnte neben einem Wissensaufbau auch eine bessere Kooperation mit anderen Fachkräften nachgewiesen werden. Möglicherweise könnten diese Maßnahmen zusätzlich dazu beitragen, die beschriebenen Ängste und Vorbehalte der Mütter mit BPS gegenüber den Hilfesystemen abzubauen.

Ausgehend von dem Modell können zudem 3 konkrete Ansatzpunkte für die Behandlung von Müttern mit BPS abgeleitet werden: (1) der Aufbau mütterlicher Erziehungskompetenz zur Reduktion dysfunktionaler Erziehungspraktiken, (2) die Reduktion des mütterlichen Stresserlebens sowie (3) eine Verbesserung der mütterlichen Emotionsregulation und ihrer Fähigkeit zur Mentalisierung im Umgang mit ihrem Kind. Vielversprechend könnten in diesem Zusammenhang Elterntrainings sein, die spezifisch auf die Besonderheiten von Müttern mit BPS ausgerichtet sind. Buck-Horstkotte et al. (2015) haben ein entsprechendes Gruppentraining für Mütter mit BPS entwickelt, das in einer aktuellen multizentrischen Studie („ProChild“) evaluiert wird. In einer Pilotstudie zeigten sich bereits vielversprechende Ergebnisse (Renneberg und Rosenbach 2016). Daneben stellen bindungsorientierte Interventionskonzepte mit Fokus auf die Mutter-Kind-Beziehung sowie die mütterliche Mentalisierungsfähigkeit sinnvolle Ansatzpunkte dar (für einen Überblick: Erickson et al. 2019; Luyten et al. 2017).

Ein im Rahmen der Studien zur familiären Transmission der BPS bislang unterrepräsentierter Forschungsbereich betrifft protektive Faktoren. Zwar gibt es umfangreiche Befunde, die die Bedeutung von protektiven Faktoren sowie Resilienzfaktoren (z. B. Bindung, soziale Kompetenz, Selbstwert) für eine günstige sozioemotionale Entwicklung von Kindern betonen, jedoch ist deren Rolle bei der Transmission von psychischen Erkrankungen unzureichend untersucht (Hosman et al. 2009). Erste Hinweise für protektive Faktoren auf individueller, familiärer sowie sozialer Ebene, die möglicherweise das Risiko reduzieren, eine BPS zu entwickeln, liefert eine Fallstudie von Paris et al. (2014). In Interviews mit erwachsenen Geschwisterpaaren, von denen jeweils nur eine Person die Kriterien einer BPS erfüllte, wurden insbesondere die folgenden protektiven Faktoren herausgestellt: Emotionsregulationsstrategien, Zukunftsausrichtung, Grenzsetzung gegenüber Missbrauch ausübenden Personen sowie stützende Beziehungen. Letzteres steht im Einklang mit Beobachtungen aus der Praxis. Diese zeigen, dass es neben der Mutter häufig weitere relevante Bezugspersonen im Umfeld des Kindes gibt. Darunter sind nicht selten Personen (z. B. Verwandte, Erzieher_innen, Lehrer_innen), die positiv auf das Kind einwirken und bereits vorhandene interne Repräsentationen aufseiten des Kindes durch unterstützende Beziehungserfahrungen erweitern können. Für den Einfluss weiterer relevanter Bezugspersonen spricht zudem das Ergebnis einer Studie von Berg-Nielsen und Wichström (2012). Die Autor_innen stellen heraus, dass der Einfluss einer elterlichen Persönlichkeitsstörung auf die Verhaltensprobleme der Kinder reduziert wird, wenn die Kinder mit beiden Eltern zusammenleben. Es ist naheliegend, dass die erwähnten protektiven Faktoren zumindest teilweise die ebenfalls in der Praxis beobachteten günstigen Entwicklungsverläufe von Kindern erklären, deren Mütter eine BPS aufweisen. Eine Stärkung dieser Faktoren sowie der oben genannten, nachweislich entwicklungsbegünstigenden Resilienzfaktoren aufseiten der Kinder von Müttern mit BPS, ist ein vielversprechender Ansatzpunkt.

Fazit für die Praxis

  • Forschungsbefunde legen ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren und Mechanismen bei der generationsübergreifenden Übertragung der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) nahe.

  • Zu den postulierten Transmissionsmechanismen zählen Mutter-Kind-Interaktion, familiäre und soziale/gesellschaftliche Einflüsse, genetische Übertragung, pränatale Einflüsse, epigenetische Mechanismen sowie potenziell präventive Einflüsse durch Kinder- und Jugendhilfe sowie das Gesundheitswesen.

  • Protektive sowie Resilienzfaktoren für günstige Entwicklungsverläufe von Kindern von Müttern mit BPS sollten verstärkt in wissenschaftlichen Untersuchungen fokussiert werden.

  • In der psychotherapeutischen Behandlung von Müttern mit BPS sollten Schwangerschaften sowie das Vorhandensein von Kindern stärker berücksichtigt werden.

  • Eine Schulung und enge Zusammenarbeit eines multidisziplinären Unterstützungsnetzwerks sind von Bedeutung.

  • Trainings zum Aufbau der Erziehungskompetenz sowie Verbesserungen der mütterlichen Emotionsregulation und der mütterlichen Fähigkeit zur Mentalisierung sind vielversprechende Ansatzpunkte.