Zusammenfassung
Die Möglichkeit einer tagesklinischen Behandlung wurde an Kliniken für psychosomatische Medizin und Psychotherapie vergleichsweise spät etabliert. Es lassen sich eigenständige Tageskliniken von integrierten Programmen unterscheiden, bei denen tagesklinische Plätze einem stationären Setting zugeordnet sind. Intensität und Struktur tagesklinischer Behandlungsangebote ist variabel; in den meisten Fällen sind die Therapieprogramme aber stationären Programmen vergleichbar. Eine Besonderheit besteht in der engen Verzahnung von intensiver psychosomatisch-psychotherapeutischer Behandlung mit der Alltagssituation der behandelten Patienten, in die diese täglich zurückkehren. Dies geht mit spezifischen Besonderheiten einher, die bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden müssen.
Abstract
In the field of psychosomatic medicine and psychotherapy in Germany there was a comparatively late development to establish day hospitals. Day hospitals as independent units can be distinguished from inpatient units that have additional places for patients that are partially hospitalized. The treatment programs of day hospitals can differ in intensity and structure but in most of the cases programs are comparable to inpatient programs. The most important characteristic of a day hospital is the close interweaving of intensive psychosomatic psychotherapeutic treatment with the everyday life situation of treated patients, to which they daily return. This is accompanied by specific advantages and disadvantages that must be taken into account when deciding for which patients this treatment modality is suitable.
Notes
Es sind jeweils alle Geschlechter mit gemeint.
Dies gilt nicht für den Bereich der Rehabilitation.
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CME-Fragebogen
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Was unterscheidet eine eigenständige Tagesklinik bzw. ein reines Tageskliniksetting von einem integrierten stationär-teilstationären Therapiesetting?
Das Team in einer eigenständigen Tagesklinik ist meistens größer (bei gleicher Zahl an Behandlungsplätzen).
Die Kontinuität des Teams ist in einer Tagesklinik höher, da nicht im Schichtdienst gearbeitet werden muss.
In einer eigenständigen Tagesklinik ist das therapeutische Angebot sehr viel weniger strukturiert und intensiv. Ein reines Tageskliniksetting ist nur für Patienten mit leichten Beeinträchtigungen indiziert.
Ein reines Tageskliniksetting ist nur für Patienten mit leichten bis mittleren Beeinträchtigungen indiziert.
Der Gruppenprozess ist in einer eigenständigen Tagesklinik in der Regel weniger intensiv, da die Patienten sich nicht so gut kennenlernen können.
Es gibt in Deutschland verschiedene Formen tagesklinischer Krankenhausbehandlung. Welches Charakteristikum haben sie alle gemeinsam?
Sie dienen primär der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.
Eine Behandlung wird ermöglicht, ohne dass die Patienten ihre alltägliche Lebenssituation über einen längeren Zeitraum verlassen müssen.
Sie stellen eine Weiterentwicklung ambulanter Therapie dar und sind daher für schwer erkrankte Patienten kontraindiziert.
Es wird im Gegensatz zu stationären Behandlungsprogrammen v. a. supportiv und stabilisierend gearbeitet.
Da die Patienten zu Hause schlafen, sind sie für Patienten mit bekannten Schlafstörungen grundsätzlich nicht geeignet.
Sie sehen in Ihrer Praxis eine 38-jährige, alleinerziehende Mutter mit einer Angststörung. Sie ist stark beeinträchtigt. Ambulante Behandlungsmaßnahmen haben bislang zu keiner Besserung geführt, sodass Sie überlegen, sie in eine Klinik einzuweisen. Welcher Aspekt ist – im Vergleich zur stationären Therapie – bei tagesklinischer Behandlung vorteilhaft?
Eine tagesklinische Therapie kann überall, d. h. unabhängig vom eigentlichen Wohnort, erfolgen.
In einem tagesklinischen Setting wird für jeden Patienten ein eigenes Zimmer bereitgestellt, sodass sich Patienten bei Bedarf (z. B. bei zu intensiven Gruppenprozessen) zurückziehen können.
Im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung besteht keine Gefahr der Überforderung.
Auch für hochambivalente oder suizidal gefährdete Patienten bietet das tagesklinische Setting einen guten therapeutischen Rahmen, da das Personal durch regelmäßige Gesprächsrunden immer über die Befindlichkeit der Patienten informiert ist.
Auch Patienten, die ihre Angehörigen (z. B. ihre Kinder) weiterversorgen müssen, können sich einer intensiven und multimodalen Therapie unterziehen.
Eine tagesklinische Behandlung unterscheidet sich von einer vollstationären Behandlung. Dazu gehört, dass …
die Patienten sich eher stigmatisiert fühlen, da sie während des Therapiezeitraums täglich in die Klinik statt zur Arbeit gehen.
die Gefahr einer Überforderung durch die Doppelbelastung von Alltagsbewältigung und therapeutischer Arbeit besteht.
Alltagsschwierigkeiten selten in die Therapie eingebracht werden.
die Angehörigen wenig von den Veränderungen in der Therapie mitbekommen.
der Transfer von Veränderungen, die in der Therapie erreicht wurden, in den Alltag schwieriger ist.
In welchem Fall wäre eine vollstationäre Behandlung einer tagesklinischen Behandlung vorzuziehen?
Eine Patientin mit einer Angsterkrankung verlässt das Haus schon seit Wochen nicht mehr, da sie fürchtet, unter Menschen rasch Panikattacken zu bekommen.
Ein Patient wurde schon zweimal vollstationär behandelt. Nach Entlassung kam es jeweils rasch wieder zu einer Zustandsverschlechterung.
Eine Patientin mit Bulimie hat immer nur dann Ess-Brech-Anfälle, wenn sie allein ist.
Eine junge Mutter mit Depression und somatoformer Schmerzstörung ist alleinerziehend; sie hat einen 4‑jährigen Sohn.
Eine Patientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung hat schon mehrere vollstationäre Aufenthalte abgebrochen, weil sie die Beziehung zu Therapeuten und Mitpatienten nicht anders regulieren konnte.
Eine relative Kontraindikation für eine tagesklinische Behandlung liegt vor, wenn …
eine Distanz zum sozialen Umfeld indiziert erscheint.
Patienten dazu neigen, Abhängigkeiten in Beziehungen zu entwickeln.
die Symptomatik an Auslösesituationen im Alltag gekoppelt ist.
Patienten sich zu Hause um Kinder kümmern müssen.
das Regressionspotenzial hoch ist.
Eine absolute Kontraindikation für eine tagesklinische Behandlung besteht bei …
Behandlungsambivalenz (z. B. bei Anorexia nervosa).
vom Wohnort aus gesehen näher liegender vollstationärer Behandlungsmöglichkeit.
vorausgegangener vollstationärer Behandlung in einer anderen Klinik.
bereits bestehender ambulanter Therapie.
akuter Suizidalität.
Nach Ausschöpfen der ambulanten Therapiemöglichkeiten stehen Sie mit Ihrem Patienten (47 Jahre, Pädagoge, geschieden, 2 Kinder), der an einer Persönlichkeitsstörung leidet, vor der Entscheidung, welche weiterführende Therapiemaßnahme ergriffen werden soll. Die Behandlungsziele von tagesklinischer und vollstationärer Behandlung sind weitgehend identisch. Bezüglich welchen Behandlungszieles sind im tagesklinischen Bereich eher Veränderungen zu erwarten?
Im Hinblick auf eine Symptomreduktion
Bei der eigenständigen Alltagsbewältigung
Bei der Erarbeitung eines Krankheitsverständnisses
Bei der Klärung der Arbeits- und Wohnsituation
Bei dem Ziel einer Vermeidung von Chronifizierung
Welche Aussage zur störungsspezifischen tagesklinischen Behandlung trifft zu?
Die Spielräume, die eine tagesklinische Behandlung für die Regulation von Nähe und Distanz bietet, sind für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen meistens nicht hilfreich.
Bei Patienten mit einer Bulimia nervosa reduziert der offene Rahmen einer Tagesklinik die Wahrscheinlichkeit, dass die Therapieerfolge (verbesserte Impulskontrolle) nachhaltig sind.
Bei Anorexia nervosa ist im Sinne eines „Stepped-care“-Ansatzes vor einer stationären Aufnahme zunächst eine tagesklinische Behandlung indiziert.
Bei Patienten mit sozialen Ängsten ist eine tagesklinische Behandlung kontraindiziert.
Patienten mit schwergradiger Depression, starker Antriebsminderung und Erschöpfung sollten eher vollstationär behandelt werden.
Welche Wirkfaktoren werden speziell für tagesklinische Settings angenommen?
Entlastung durch Abgabe von Verantwortung.
Es werden mehr physiotherapeutische Anwendungen angeboten.
Entlastung durch Abstand von familiären Problemen.
Die therapeutischen Arbeitsbeziehungen sind besonders gut.
Förderung von Autonomie und Eigenständigkeit.
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Zeeck, A., Lau, I. & Flößer, K. Behandlung in psychosomatisch-psychotherapeutischen Tageskliniken. Psychotherapeut 65, 211–222 (2020). https://doi.org/10.1007/s00278-020-00415-z
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00278-020-00415-z
Schlüsselwörter
- Psychische Erkrankung
- Tagesklinische Therapie
- Multimodale Psychotherapie
- Indikationsstellung
- Stationäre Therapie