Wenn wir uns als Analytiker in Übereinstimmung mit unserem analytischen Über-Ich befinden, fühlen wir uns während unserer analytischen Tätigkeit und im Zusammensein mit dem Analysanden ausreichend wohl. Uns mag dann gar nicht auffallen, dass es ein analytisches Über-Ich in uns geben könnte, das ein Auge auf uns wirft. Wenn wir als Analytiker dagegen – mit dem Analysanden, mit der analytischen Situation oder mit uns selbst – in Schwierigkeiten geraten, dann werden wir unsicher und kommen innerlich unter Druck. Wir geraten, für einen Moment, für länger oder sogar grundsätzlich in eine Kluft zwischen dem, wie wir uns als Analytiker erleben, und dem, was wir glauben, wie der Analytiker idealerweise sein sollte.

In solchen klinischen Konfliktsituationen spielt der Einfluss unserer Idealvorstellungen, Enttäuschungen, unserer Scham- und Schuldgefühle und Tendenzen, uns selbst zu verurteilen, eine ebenso besondere Rolle wie die Über-Ich-Ängste, mit denen wir dann als Analytiker zu kämpfen haben. Haben sie ihre Quelle nur in dem, was, vermittelt durch die Übertragung, vom Analysanden projektiv in uns untergebracht wird? Was ist mit den Angstquellen, die ihren Ursprung im Analytiker selbst haben, und was ist mit den Angstquellen, die aus der analytischen Ausbildung, dem analytischen Diskurs und aus der Position in der analytischen Gemeinschaft stammen?

Wir haben in unserer analytischen Praxis zunehmend mit Analysanden zu tun, die sich im analytischen Prozess in Inszenierungen, Enactments, Kollusionen und Kollisionen äußern, und bei denen die Konfliktpathologien nicht im Vordergrund stehen. Wenn dann Analytiker persönlich verwickelt sowie ins Konflikthafte und ins Traumatische zutiefst involviert werden, führt das nicht selten in eigene psychische Bereiche, die schwer auszuhalten sind. In diesen Situationen bekommen wir es zwangsläufig mit unserem analytischen Über-Ich zu tun und fragen uns, inwieweit wir den internalisierten Forderungen nach Abstinenz und Neutralität noch entsprechen. Wir geraten dann in Gefahr, die Beteiligung an diesen Verwicklungen abzuwehren, den Analysanden damit abzuweisen, und ihn unbewusst dafür verantwortlich zu machen oder gar zu verurteilen.

Kann das dazu führen, dass wir es der Analyse als Methode mit ihrem besonderen Setting unbewusst vorwerfen, dass sie uns immer wieder in solche Problematiken mit dem analytischen Über-Ich verwickelt? Antworten wir darauf mit einer Idealisierung der Analyse oder sind wir versucht, die analytische Methode und ihr Setting sowie die psychoanalytische Haltung zu modifizieren? Was hindert Analytiker daran, sich diese schlechten Gefühle einzugestehen, sie durchzuarbeiten und ein realistisches Verhältnis zur eigenen analytischen Methode und ihrem Setting zu gewinnen?

Diesen Fragen und ihrem Eingebundensein in die Dynamik des interpsychischen Feldes von Übertragung und Gegenübertragung wurde in der 8. Deutschsprachigen Internationalen Psychoanalytischen Tagung (DIPSAT) 2018 in Berlin anhand von Vorträgen und Kovorträgen nachgegangen, die jeweils durch ein Mitglied bzw. durch eine Kandidatin oder einen Kandidaten der beteiligten fünf deutschsprachigen IPV-Gesellschaften aus der Schweiz, Österreich und Deutschland gehalten wurden. Drei Hauptvorträge von Renate Kohlheimer, Beate Hofstadler und Thomas Beier sowie zwei Kovorträge von Claudia Bussian und Sonia Grassberger sind in der vorliegenden Ausgabe des Forum der Psychoanalyse abgedruckt.

Eine Besonderheit der DIPSAT sind die vielen Supervisionsgruppen, in denen sich unterschiedliche klinische Kulturen begegnen und miteinander in einen analytischen Austausch kommen, an dem Kandidaten und Analytiker über die „Generationsgrenzen“ hinaus beteiligt sind. Im modernen Verständnis von Supervision steht heutzutage weniger der Aspekt der Überwachung im Vordergrund, wie er noch im alten Begriff der Kontrollanalyse anklingt, sondern viel mehr die klinische Erfahrungsvermittlung durch den erfahreneren Analytiker bzw. Lehranalytiker. Gleichwohl bleibt es – insbesondere für den Ausbildungskontext, aber auch darüber hinaus – zu beachten, dass Supervision stets eine formative Funktion und Wirkung zur Herausbildung des analytischen Über-Ich hat.

Das Über-Ich des Analytikers ist selten, wie z. B. bei Sedlak (2018), ein explizites Thema des psychoanalytischen Diskurses, und doch ist es ständig in uns präsent. Diese latente Präsenz des Über-Ich manifestiert sich in der Regel dann, wenn unsere innere Balance in der analytischen Situation verlorengeht und wir eine Kluft zwischen dem geraten, wie wir uns tatsächlich als Analytiker erleben, und dem, wovon wir überzeugt sind, wie der Analytiker idealerweise sein oder handeln sollte.

Es war Sandler (2003 [1983]), der in seiner berühmten Arbeit zu den Beziehungen zwischen den psychoanalytischen Konzepten und der psychoanalytischen Praxis aufzeigt, dass diese Kluft nichts Außergewöhnliches darstellt, sondern unserer analytischen Arbeit inhärent ist. Nach ihm hat der Analytiker es mit widersprüchlichen Anforderungen zu tun. Einerseits sind da die den psychoanalytischen Diskurs dominierenden „offiziellen“ Theorien und klinischen Modelle als normative Standards, denen der Analytiker nachstrebt und die ihn prägen. Andererseits ist da die persönliche Begegnung mit dem Analysanden, mit seiner subjektiven Besonderheit, die er fördern möchte, und seiner charakterlichen Eigenart, der er gerecht werden will.

Da beides in der Regel nicht unmittelbar zueinander passt, ist der Analytiker mit einer permanenten psychischen Arbeit der Vermittlung zwischen den beiden widersprüchlichen Anforderungen beschäftigt. Dabei versucht er, sich so gut wie möglich den Bedingungen des Analysanden anzupassen, um eine, wenn nicht immer bestmögliche, so doch genügend gute analytische Arbeitssituation als Grundlage für einen fruchtbaren analytischen Prozess zu schaffen. Dies kann ihm nach Sandler oft nur mit einer analytischen Praxis gelingen, die vom offiziellen klinischen Standardmodell abweicht, sich manchmal sogar in erheblichem Maße davon entfernt.

Damit stellt sich für jeden Analytiker – mehr oder weniger – die Frage, wie gut er die Erfahrung dieser notwendigen Kluft und den damit verbundenen Über-Ich-Druck in sich halten kann. Gelingt ihm das ausreichend gut, dann können diese Phasen einer „abweichenden“ analytischen Praxis zu kreativen klinischen Prozesseinsichten, die auf analytischer Erfahrung basieren, und zu einem vertieften technischen Behandlungsverständnis führen, das sich aus der Reflexion dieser besonderen analytischen Erfahrung ergibt. Sandler hat diese kreative und klinische Fortschritte ermöglichende Dimension unter dem Aspekt der privaten klinischen Theorien thematisiert, die der Analytiker in seinem analytischen Praxisalltag zur vermittelnden Handhabung der Kluft zwischen dem, wie er sein sollte, und dem, wie er wirklich ist, entwickelt.

Allerdings kann es sein, dass wir über lange Zeit mit einem bestimmten Analysanden in dieser Kluft festhängen und keine kreative Lösung finden. Wir sind dann in Gefahr, analytisch zu resignieren, was etwas anderes ist, als Resignation in der Gegenübertragung zu empfinden.

Solche Versagungserfahrungen können sich einerseits aggressiv gegen die Psychoanalyse und die persönliche Verbindung mit ihr wenden. Sie können sich aber auch gegen den Analytiker selbst wenden, wenn sich in ihm die latente Überzeugung verfestigt, unfähig dazu zu sein, genügend gute „ordnungsgemäße“ Analysen durchführen zu können.

Gerade dann brauchen wir die kollegiale Unterstützung im analytischen Kollegenkreis, die uns auch im weniger extremen Fall als kollegiales Verständnis bereits sehr guttun kann. Aber gerade dann, können uns Scham- und Schuldgefühle diesen Weg versperren. Wahrscheinlich ist es diese Konstellation, die zu dem widersprüchlichen inneren Zustand führt, den Sandler so beschrieb, dass wir uns einerseits oft und heimlich als keine ordnungsgemäßen Analytiker fühlen, aber andererseits ebenso oft und ebenso heimlich denken, dass wir doch bessere Analytiker als der oder die andere sind.

Vermutlich hängt beides zusammen: Je stärker wir uns von der latenten Überzeugung oder einer manifesten Angst, keine ordnungsgemäßen Analytiker zu sein, bedroht oder verfolgt fühlen, umso stärker werden wir es brauchen, uns und anderen heimlich oder offen zu beweisen, dass wir der bessere Analytiker sind, auch um den Preis, dafür andere entwerten zu müssen.

Dabei wird die von uns allen beklagte Unsitte unter Analytikern, aber durch uns alle am Leben gehaltene Neigung, uns gegenseitig auf unfruchtbare Weise zu kritisieren oder zu supervidieren, nicht nur mit dem Bedürfnis zu tun haben, sich selbst vom einem eigenen analytischen Über-Ich zu entlasten, von dem wir befürchten, kein Verständnis für unsere analytische Un-Ordentlichkeit bekommen zu können.

Ebenso stark, wenn nicht oft stärker besteht eine Gefahr, einer heimlichen narzisstischen Versuchung zu erliegen, sich mit dem analytischen Über-Ich auf omnipotent triumphale Weise eins fühlen zu können. Diese Versuchung verdient eine ständige analytische Selbstreflexion, insbesondere in der Gruppe der Lehranalytiker, die ihr aufgrund ihrer Ausbildungsfunktion noch mehr als andere Analytiker erliegen und damit größeren Schaden anrichten können.

Natürlich erinnert man sich an so eine Versuchungssituation lieber als anklagendes Opfer denn als schuldiger Täter. Etwa drei Jahre nach Beendigung meiner Ausbildung präsentierte ich einen Fall im Rahmen einer kasuistischen Konferenz in einer Gruppe, in der auch eine allseits bekannte analytische Koryphäe vertreten war. Die vorgestellte Stunde begann mit einem Traum, den ich in der Stunde nicht aktiv und direkt gedeutet hatte. Ich trug das Stundenmaterial vor. Die danach gewöhnlich erstmal eintretende Stille wurde abrupt durch das vernichtende Verdikt der Koryphäe aufgehoben, indem sie mit mächtiger Stimme grollte: „So ein toller Traum, und nichts wurde daraus gemacht!“ Ich war geschockt. Die Gruppe war geschockt. Zu meinem Glück gab es anschließend auch eine Gegenbewegung von Verständnis in dieser Gruppe für mich und für meine Art und Weise des analytischen Arbeitens mit dieser Analysandin.

Dieses nichtunkritische, aber doch das Wohl des Analytikers auch in der Kritik an ihm im Blick habende Verständnis in der Gruppe hat mich diesen Angriff auf mein Analytikersein doch einigermaßen gut überleben lassen. In dieser Haltung erfuhr ich etwas von einem Über-Ich im Dienst des Ich des Analytikers, während ich die Haltung der Koryphäe als ein das Ich des Analytikers schädigendes, im extrem Ich-zerstörendes Über-Ich erfahren habeFootnote 1.

In allen Analytikern gibt es diesen inneren Kampf zwischen einer fruchtbaren Selbstkritik im Dienst des analytischen Ich und einer zerstörerischen Selbstkritik gegen das analytische Ich.

Gerade Letztere bedroht die drei Ziele, die Winnicott (2001 [1965]) für sich als Analytiker in einer Psychoanalyse beschrieben hat: lebendig, gesund und wach zu bleiben. Wenn wir lernen, die Gründe besser zu verstehen, die in uns als Analytiker ein lebensfeindliches Über-Ich aktivieren können, und wenn wir alle etwas dazu beitragen können, die lebensfreundlichen Tendenzen unseres analytischen Über-Ich zu stärken, dann werden wir das Humanisierungspotenzial in der Klinik der Psychoanalyse gefördert haben.