In der Datenkunst werden Daten zum Material und werden Methoden der Visualisierung zur künstlerischen Technik. Auch Daten der Klimaforschung können künstlerisch verarbeitet werden. Das wohl plastischste Beispiel sind die grün, blau, gelb und rot gestreiften Schals und Wandbehänge der „climate crafters“ vom US-amerikanischen Tempestry Project. Dessen Mitglieder stricken örtliche Temperaturen aus Messreihen von 1950 bis heute des Wetterarchivs der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). Wolle, farblich zusammengestellt für lokale Datensets, kann über die Website bezogen werden. Jede Reihe im Gewebe entspricht einer in Farbe codierten gemittelten Tagestemperatur von −34 bis +50 °C. Das Ziel, so die InitiatorInnen des Projekts, bestehe darin, den Klimawandel in etwas zu skalieren, „that is accurate, tangible, relatable, and beautiful“. Ein Wandbehang oder ein Schal auf der Grundlage von Klimadaten erfüllt all diese Kriterien.

Zu Beginn dieses Artikels seien zunächst zwei Quellpunkte für eine Kunst mit wissenschaftlichen Daten genannt. Das eine steht am Beginn der Datenkunst, das andere am Beginn der modernen Klimaforschung. Der südkoreanische Medienkünstler Nam June Paik (1932–2006) schuf im Jahr 1966 die Arbeit The First Snapshot Of Mars. Das nur 23 cm breite Blatt ist ästhetisch dürftig, konzeptionell jedoch bedeutsam, wie viele Arbeiten dieses Pioniers der Medienkunst. Es reproduziert eine Tabelle mit Nullen und Einsen geordnet durch horizontale Linien. Wer den Titel liest, sieht nicht, was er laut Bildunterschrift sehen soll. Denn bei dem „Bild“ handelt es sich um nicht weniger als den Bildcode eines der ersten Nahbilder von der Marsoberfläche, das zudem ein frühes digitales Bild ist. Die komprimierten Bilddaten wurden vom Mariner-IV-Raumschiff 217 Mio. Kilometer zurück an die Erde gefunkt. Erst auf der Erde wurde der Code wieder in Bilder übertragen. Paik zeigt uns also die 240.000 Bit vor ihrer Rückverwandlung in die Marsgestalt.

Ein zweites historisches Beispiel kann für die Sichtbarmachung von Messdaten und Klimadaten im Speziellen stehen. Am Beginn der Datenvisualisierung und der Klimatologie – 1817 –, steht die ästhetisch ebenfalls sehr reduzierte Klimazonenkarte der Nordhemisphäre von Alexander von Humboldt (Abb. 1). Dieses Datenbild – Europa liegt in der Mitte, an den Rändern liegen Amerika und Asien, verdankt seinen Inhalt der Visualisierung von gemittelten Wettermessungen, also zu festen Zeiten täglich dreimal erhobenen Messreihen der Temperatur. Sechs geschwungene Linien und eine Gerade hat Humboldt zwischen den Messstationen ähnlicher Temperaturen hindurchgezogen. Die Isolinien-Methode ist ein „Malen nach Zahlen“. Zwischen den Linien machte Humboldt die Klimazonen auf der Basis der damaligen Datenlage – nur 58 Messreihen gingen in die Karte ein – sichtbar. Seine Karte begründete den nie gestillten „Appetit auf Daten“ (Paul Edwards) und die Einrichtung tausender neuer Messstationen mit. Denn kaum eine andere Wissenschaft verlangt so viele Messungen über so lange Zeiträume wie die Klimatologie.

Abb. 1
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Klimazonen. Isothermenkarte der Nordhemisphäre, Alexander v. Humboldt, 1817. Basierend auf den Messungen von 58 Wetterstationen. Die Konturen der Länder und die Punktsignaturen der Städte ließ Humboldt weg, den Nullmeridian setzte er durch Paris. © Staatsbibliothek zu Berlin – PK

Die Visualisierung spielt für die Klimaforschung eine Schlüsselrolle. Denn das Klima ist zunächst ein unsichtbares Forschungsobjekt. Temperaturen, Luftdruck und Winde lassen sich nicht direkt beobachten. Erst in der Gestalt von Karten und Kurven können wir die Bewegungen von Winden und die Lagen von Tiefdruckgebieten oder der Klimazonen begreifen. Bis heute sind Karten und Kurven deshalb ein zentraler Bestandteil der Klimaforschung. Seit mehr als drei Jahrzehnten zeichnet sich in ihnen die globale Erwärmung immer deutlicher ab. Denn die Unsichtbarkeit des Klimas gilt auch für viele Aspekte des Klimawandels.

Für beide Datenbilder gilt, was Frieder Nake mit dem Begriff der „doppelten Bildlichkeit“ gefasst hat [1]. Die Bilder liegen zweimal vor, nämlich als Code und als „Aufführung“ des Codes (Nelson Goodman) [2]. Datenbilder machen einen Code sichtbar, sie visualisieren abstrakte, numerische Daten, seien dies Wettermessungen oder abgetastete Bildpunkte. Diskursives wird ästhetisch. Rohe Daten nehmen Gestalt an. Erst in der bildlichen Transformation werden die Krater auf dem Mars und die Klimazonen in ihrer Lage sichtbar, die in den Bits und den Messungen verborgen waren.

In Paiks Fall geht die Frage „Ist das Kunst?“ im Konzeptionellen auf, wenn er auf die eigentümlichen Ästhetisierungsstrategien der Wissenschaften und ihre damals neuartigen, digitalen Bildtechnologien verweist, die kein Zutun menschlicher Hände mehr benötigen. Insofern steht Paiks Transfer von Wissenschaftsdaten in den Kunstkontext stellvertretend für den sich andeutenden Wandel der 1960er-Jahre: Das Ideal einer freien Kunst, das mit dem Reinheitsgebot einer möglichst apparatefreien Herstellung von Hand einherging, für die technische Gegenwart aufzugeben und stattdessen technische Verfahren als Quellpunkt neuer Ästhetiken für die Kunst produktiv zu machen.

Wahrnehmungsprobleme des Klimawandels

In Spiel- und Dokumentarfilmen, Computerspielen oder der Literatur wurden Fragen und Strategien einer „ökologisch motivierten Ästhetik“ (Gernot Böhme) in den letzten Jahren zu bedeutsamen Positionen entwickelt [3]. Sie setzen die unauflöslichen Spannungen von Moral und Erkenntnis, von Politischem und Wissenschaft ins Verhältnis. Kunst zur globalen Erwärmung ist hierbei häufig Datenkunst, also Kunst, die wissenschaftliche Forschungsdaten zu ihrem Material macht und wissenschaftliche Erkenntnisse und Wahrheitsformen thematisiert.Footnote 1

Das Klima ist unsichtbar, die wissenschaftlichen Bilder bleiben abstrakt. Die globale Erwärmung ist zudem eine „slow violence“ (Rob Nixon), die sich unterschiedlich auf die Menschen auswirkt. Für die Menschen im Globalen Norden sind die Auswirkungen des Klimawandels zeitlich wie räumlich immer noch weit weg. Aus diesem Umstand erwuchs von Beginn an ein Wahrnehmungsproblem für die Öffentlichkeit. Weil der Klimawandel als wissenschaftlicher Gegenstand abstrakt ist und damit auch die Bedrohungslage abstrakt bleibt, lässt sich der notwendige Bewusstseinswandel als Basis für klimafreundliche Politik und Lebensstile nur schwer ableiten.

Die globale Erwärmung wird meist über Zahlen kommuniziert. Wobei CO2, globale Temperatur und Meeresspiegelanstieg die prominentesten Stellvertreter der globalen Erwärmung sind. Die Evidenz der globalen Erwärmung ist vermittelt. Die Zahlen beinhalten Mittelwerte und Wahrscheinlichkeiten. Phänomenologisch, also auf der Ebene direkter Sinnlichkeit, gab es zu wenige Momente, die sich im Hier und Jetzt konkret erfahren ließen. Wobei das Wahrnehmungsproblem, wenn es vor allem für die Menschen des Globalen Nordens besteht, auch vor allem für die westliche Kunst zu konstatieren ist (deshalb sind auch die Beispiele dieses Artikels Kunst dieser Regionen). Mit den trockenen und heißen Sommern seit 2018 hat sich die Erfahrbarkeit der globalen Erwärmung jedoch auch für diese Breitengrade geändert.

KünstlerInnen setzen von Beginn an der Unsichtbarkeit und Unbegreifbarkeit der Klimadaten an. Was die Kurven aussagen, steht in einem krassen Kontrast zu der stilistisch zurückhaltenden Bildgestaltung, mit der die Botschaft überbracht wird. Es ließe sich sagen, dass es allein die Farbe Rot ist, mit der die Wissenschaft der Tragweite ihrer Erkenntnisse einen dringlichen Ausdruck verleihen kann. Indem die Kunst hier alternative Ästhetisierungen anbietet, will sie nicht weniger als für ein breiteres Publikum vorstellbar machen, was trotz der prägnanten Grafiken in allein naturwissenschaftlicher Sprache unvorstellbar bleibt – und dies auf subtile, didaktische oder spektakuläre Weise. Und so entstanden seit den letzten ca. 15 Jahren immer mehr Kunstwerke, die die globale Erwärmung aus der Wissenschaft in die Gesellschaft übersetzen. All diese Arbeiten bauen auf dem Versprechen auf, dass die Kunst eine andere Sicht erlaubt als die Wissenschaft und dass es neben der Wissenschaft andere Vermittlungen braucht, um sich vorzustellen, was die globale Erhitzung für die menschliche Kultur bedeutet. Viele der Kunstwerke entstanden anlässlich von Ausstellungen, die parallel zu den Klimagipfeln in Kopenhagen (2009) und Paris (2015) organisiert wurden, mit einer ersten Konjunktur in den Jahren 2005–2009.Footnote 2

Die Transformation von Daten in ästhetische Situationen ist vielfältig und nutzt alle Register der Versinnlichung, wie ich im Folgenden anhand von mehreren Kunstwerken zeige. Und so wird die drängende Frage, wie man vom Wissen zum Handeln kommt, in der Kunst in Richtung der Frage verschoben, dass ein Weg zum Handeln über die Ästhetik führen muss.

Zukünftige Meeresspiegel

Eine junge Frau schiebt einen verzinkten Kreidewagen durch Manhattan und Brooklyn, New York (Abb. 2). Mit einem solchen Wagen werden üblicherweise die Spielfelder auf Sportplätzen markiert. Die Linie entsteht beim Laufen. Hinter ihrem Gefährt zieht sich eine weiße Kontur aus Kreide ohne abzureißen über Gehsteige und Straßen. Die Künstlerin Eve Mosher lief 2007 mit ihrem Wagen über 100 km der New York Bay Region ab, die besonders vulnerabel für Fluten und Stürme ist, später auch die Küsten von Miami und Philadelphia. Mit der Linie markierte sie die Höhenlinie von drei Metern über dem Meeresspiegel, die als kritisch für zukünftige Jahrhundertfluten gilt. Was die Künstlerin in die Wirklichkeit der Stadt eintrug, waren die abstrakten Tabellen, Kurven, Karten und Balkendiagramme eines wissenschaftlichen Artikels aus der Fachzeitschrift Global and Planetary Changes.Footnote 3 Die KlimaforscherInnen hatten errechnet, wie sich der Meeresspiegelanstieg aufgrund der globalen Erwärmung auf die Region in Zukunft auswirken würde. Eve Mosher transferierte dieses Fachwissen in den Lebensraum der BürgerInnen von New York.

Abb. 2
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Eve Mosher: High Water Line. New York, 2005 (und andere Küstenstädte). © Eve Mosher

Die Arbeit High Water Line braucht kein Museum. Sie nutzt die Datenlinien der Wissenschaft und trägt diese in die Realität direkt ein. Abstraktes wird konkret.

Einen vergleichbaren Ansatz verfolgte der deutsch-norwegische Künstler Bjørn Melhus 2009.Footnote 4 Damals skizzierte er anlässlich seiner Einladung zur Biennale von Venedig ein Projekt, das vorsah, zahlreiche Heliumballons im Stadtraum von Venedig entlang von Brücken an Schnüren festzubinden. Die Ballons waren im unteren Drittel blau gefärbt. Mit der so in der Luft markierten Linie verwies Melhus auf den vorhergesagten Meeresspiegelanstieg der „sinkenden Stadt“ für das Ende des Jahrhunderts. Der Vorschlag trug den Titel 99 Luftballons zur 98. Biennale di Venezia, 2099.

Indem Mosher und Melhus die ansteigenden Meeresspiegellinien für alle Anwohner sichtbar auf den Boden von Brooklyn, New York (später auch von Miami und Philadelphia) bzw. in die Stadt Venedig übertrugen, konnte jeder wissen, wer vom hereindrückenden Wasser besonders gefährdet sein würde. Die Linien rücken einem auf den Leib und treten ins eigene Leben. Beim Hurrikan Sandy im Jahr 2014 bewahrheitete sich der Realitätsanspruch von Moshers Arbeit auf tragische Weise, indem genau die Straßen überschwemmt wurden, die sie vorher mit ihren Linien markiert hatte.

Durchsichtige Luft wird sichtbar

Luft ist ein unsichtbares Medium. Auch CO2 ist ein unsichtbares und geruchsneutrales Gas. Aus diesem Grund installieren sich Menschen CO2-Ampeln für ihre Innenräume als Schutz gegen Infektionen. Bei einem Wert von über 1000 ppm verbreiten sich die Viren besonders erfolgreich. Wären wir empfindlicher als Kanarienvögel, könnten wir den Anstieg von CO2 in der Erdatmosphäre auf inzwischen 400 ppm wahrnehmen. Es gibt die These, dass manche Länder sich viel mehr für die Reduktion von Emissionen einsetzen würden, wenn Treibhausgase und Feinstaub sichtbar wären und die Atmosphäre braun und grau färben würden wie die qualmenden Schlote der frühen Industrialisierung.

Die Idee, das durchsichtige Medium Luft sichtbar zu machen, ist zunächst eine poetische Idee. Wie ein atmosphärischer Geist materialisiert sich aus dem Nichts eine Gestalt. Kleinste Partikel werden sichtbar, die menschliche Augen sonst nicht sehen können.

An der Sichtbarmachung von Emissionen wie Dampf und Rauch arbeitet das Künstlerduo HeHe seit vielen Jahren. In ihrem Werk Champs d’ozone von 2007 präparierten sie ein Fenster im Centre Pompidou, hinter dem sich eine gute Aussicht auf Paris auftut. Mit der Scheibe konnten sie im Sinne einer Augmented Reality die Farbe des Himmels in Echtzeit über dem Häusermeer einfärben und visuell Wolken erzeugen. Die Daten zur Steuerung der Farbwechsel bezogen sie von der offiziellen Website von Airparif, die die aktuellen Luftmessungen ihres Messnetzes tagesaktuell zur Verfügung stellt. In Abhängigkeit zur Veränderung der Luftqualität lief das Fenster im Bereich des Himmels neblig und farbig an. HeHe gaben absichtlich keinen Hinweis, was die Färbungen jeweils für die Qualität der Luft signalisierten. Indem die Erwartungen hier ins Leere liefen, konnte der Eindruck Raum gewinnen, dass die Atmosphäre mehr ist, als wir sehen. Auf diese Weise ermöglichten sie einen Perspektivwechsel auf das Medium Luft. Das Milieu, in dem wir leben und atmen, verändert sich in unheimlicher Weise von etwas natürlich Vorhandenem und Klarem in eine von Menschen eingetrübte Sphäre.

Die US-Künstlerin Andrea Polli wiederum visualisierte mit ihrer Installation Particle Falls 2013 die meist unsichtbare Luftverschmutzung in Städten auf eine ganz andere Weise. Während des Klimagipfels in Paris 2015 war die Arbeit in New York am American Center for Art and Culture an einer zentralen Verkehrsstraße zu sehen. Auch Pollis Arbeit macht die Luft als politische Ökologie sichtbar. Der virtuelle Wasserfall ist eine reaktive Lichtprojektion, die sie an hohe Häuserfassaden in Städten werfen kann. Während die Arbeit von HeHe öffentliche Luftdaten der Umweltbehörde von Paris nutzt, basiert Pollis Arbeit auf eigenen Luftmessungen vor Ort. Mit diesen steuert sie die Lichtgestalt des Datenstroms in Echtzeit. Der leuchtendblaue, glitzernde Datenwasserfall verändert seine Intensität, je nachdem, wie die Luft vor Ort aufgrund des Verkehrs gerade ist. Die ZuschauerInnen können also direkte Rückschlüsse über die Verursacher und ihre Auswirkungen ziehen. Wobei Polli die schmutzigen und schädlichen Emissionen ästhetisch bricht. Je größer die Triebkraft der laufenden Motoren, desto schöner glitzert der Wasserfall.

Eine dritte Arbeit, die Luft sichtbar macht, ist ein Werk des Künstlers Robin Price mit dem Titel Air of the Anthropocene. Er arbeitete mit dem Ökologen Francis Pope zusammen. Auch bei diesem Werk wird die Verschmutzung mit Feinstaub in Echtzeit vor Ort gleichzeitig gemessen. Anders als Polli und HeHe, die Medien wie Fassaden und Fensterscheiben für ihre Visualisierungen nutzen, arbeitet Price mit dem Medium Fotografie, um Partikel direkt in der Luft sichtbar zu machen. Seine Technik steht der frühen Geisterfotografie am nächsten, bei der Gestalten, die man zuvor nicht gesehen hatte, erst in der Entwicklung der Fotografie auftauchen. Um Feinstaub fotografisch festzuhalten, haben Price und Pope ein Setup mit Sensorik entwickelt, das die Luftverschmutzung, die aktuell an einem Ort herrscht, durch die Vergrößerung mikroskopisch kleiner Partikel fotografisch direkt erfassen kann. Das Monitoring funktioniert für ein rechteckiges Feld im Bild. Der ästhetische Effekt sind Fotografien, bei denen die Partikel wie fliegende Glühwürmchen oder eine Erscheinung aus silbernem Konfetti aufleuchten. Auch in diesem Werk lassen sich Rückschlüsse auf die Luftverschmutzung vor Ort ziehen, wobei die magisch wirkenden Fotografien die Momentaufnahmen vergangener Emissionen zeigen.

Klimadaten hören und fühlen

Weil digitale Codes universell sind, sind sie auch indifferent gegenüber dem Medium, mit dem sie ausgegeben werden. Ein digitaler Code lässt sich genauso als Bild, als Schrift oder als Klang auslesen – die Entscheidung, Klimadaten vor allem als Kurven und Karten darzustellen, ist nicht zwingend. Die Transformation von Daten in Klänge ist bereits länger ein Mittel der Kunst, das auch generativ genutzt wird. Wenn Daten öffentlich zugänglich sind, liegt hier eine Quelle für Ästhetisierungen bereit, die verspricht, den Daten durch alternative Formen der Versinnlichung ein neues Potenzial abzuringen. Es sind abermals Luftdaten und Meeresspiegelanstieg, die uns hier begegnen, aber auch andere Klima- und Wetterdaten, etwa wenn Nelson Guda mit seiner Werkgruppe Threshold von 2015 die Langzeitentwicklung von Temperaturen oder CO2, wie jene aus den aufwändigen Analysen von Eisbohrkernen, musikalisch interpretiert.Footnote 5

Auf der Idee eines Klangraums aus Daten sattelt auch die Klanginstallation Mutual Air des Künstlers US-amerikanischen Rosten Woo aus dem Jahr 2018 auf (Abb. 3).Footnote 6 Anders als Andrea Polli oder Robin Price nutzt er den Klang von 30 Glocken für das Wahrnehmbarmachen des aktuellen CO2-Gehalts der Luft. Dabei verwendet er CO2-Daten auf zwei sehr unterschiedlichen Skalen: die gemessenen Daten von CO2 vor Ort sowie den tagesaktuellen globalen CO2-Wert, um die Bewegungen der vernetzten Glocken als Klanglandschaft zu steuern. Der atmosphärische Raum wird hörbar gemacht. Glocken waren historisch wichtige Signale, um Katastrophen wie Brände aber auch wichtige gesellschaftliche Ereignisse zu kommunizieren. Die musikalische Interpretation von CO2 als Glockenklang ist also eine Warnung. Die Künstlerin Amy Howden-Chapman hat 2008 in der Küstenstadt Wellington, Neuseeland ebenfalls mit Glocken gearbeitet. Für die Installation You Can’t Unring a Bell/The Flood My Chanting brachte sie Feuerglocken entlang der Topografie jener Orte in der Stadt an, die in Zukunft von Fluten heimgesucht werden könnten.

Abb. 3
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Robin Price: Air of the Anthropocene, Prince Street, Port Talbot, Wales, 2018/19. © Robin Price

Auch die Künstlerin Nathalie Miebach nimmt bereits seit über zehn Jahren Wetterdaten als Ausgangspunkt für ihre Kunst. Anders als die bislang betrachteten Kunstwerke, die visualisieren bzw. sonifizieren, arbeitet Miebach mit dem Prinzip einer haptischen Verdinglichung von Daten. Dies gelingt ihr, indem sie Messreihen von konkreten Wetterereignissen wie unterschiedlichen Stürmen oder Fluten im Sinne der eingangs erwähnten doppelten Bildlichkeit bearbeitet: Zunächst erstellt sie „skulpturale musikalische Partituren“ (Daten, Abb. 4a), die sie dann in äußerst filigrane und komplexe Skulpturen verwandelt (Abb. 4b). Technisch nutzt sie dazu die Kunst des Flechtens. Die Ergebnisse sind dreidimensional und entweder tischgroß oder wandfüllend. Die Materialien sind Peddigrohr, bunte Holzperlen und Plastik, wobei sie auch „Daten“ unter der Kategorie Material auflistet. Manchmal erhebt sie die Wetterdaten selbst wie für das Werk Hurricane Noel von 2010. Während dieses kalten Sturms hat sie an der Ostküste der USA Temperaturen, Windstärke und Luftdruck über einen Zeitraum von mehreren Stunden gemessen. Es sind diese Daten, die sie dann zunächst in eine Notation und dann als Flechtobjekte mit unterschiedlichen Materialien räumlich interpretiert. Doch sind ihre Partituren aus Messdaten nicht nur der Startpunkt für ihre Skulpturen, sondern auch für höchst atmosphärische Musik, wenn sie die Kurven von Luftdruck, Windstärke und Temperatur von KammermusikerInnen mit klassischen Instrumenten interpretieren lässt.Footnote 7 Auch dem Hurrikane Sandy von 2012 hat sie auf diese Weise in verschiedenen Skulpturen ein Denkmal gesetzt.

Abb. 4
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a und b Nathalie Miebach: Hurricane Noel. Oben die Notation der Messdaten, unten die daraus gebildete Skulptur aus Rattan, Holz, Plastik, Daten, 80 cm × 80 cm × 90 cm, 2010. © Nathalie Miebach

I didn’t want to be right – die seismische Form der Katastrophe

Die Qualitätskriterien für Datenvisualisierungen sind Expressivität und Effektivität. Die Expressivität, also Ausdruckskraft und Bestimmtheit, hängt vom Grad ab, mit dem eine Visualisierung alle gegebenen Relationen zeigt, die sich in den Daten finden und auch nur diese zeigt [7]. Effektivität wiederum – die Wirksamkeit hinsichtlich von Mittel und dem zu erreichenden Ergebnis – ist ein Kriterium zur Bewertung der Verständlichkeit einer Grafik. Hier geht es um das bestmögliche Verhältnis von grafischer Darstellungsweise und Wahrnehmung, die je nach Thema und Daten unterschiedlich sein kann. Die Bedeutung eines Datensatzes kann z. B. besser als Kurve denn als Balkendiagramm verständlich werden [8].

Ausdruckskraft und die reflektierte Wahl der Medien sind auch für die Kunst wichtig. Doch führt die Expressivität hier über die Grenzen des streng wissenschaftlichen Bedeutungsrahmens der Klimaforschung in den Raum des Sozialen, Psychischen und Moralischen. Auch die Effektivität bedeutet in der Kunst etwas anderes: Die angeführten Kunstwerke forcieren alternative Darstellungen vom wissenschaftlichen Expertenwissen in Richtung weit ästhetischerer Artefakte. Sie sind nun kulturelle Artefakte, die die abstrakten Kurven der Wissenschaft konkreter machen und so die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein steigern.

In seinem Essay zur „seismischen Form“ als „kongeniale Katastrophenform im Zeitalter der Simulation“ befragte der Philosoph Jean Baudrillard die Frühwarnsysteme der Geologen, die anhand zittriger Linien Erdbeben voraussehen, auf die Veränderung der Wahrnehmung von Realität hin [9]. Dieser Gedanke lässt sich auf die Linien der Klimaforschung übertragen. Denn die Arbeiten, wie die hier skizzierten, schließen an die seismische Form der Katastrophe an. „Ich wollte nie, dass dies Wirklichkeit wird“, schrieb Eve Mosher auf ihrer Website, als der Hurrikan Sandy 2012 Teile von New York und New Jersey durch seine Fluten verwüstete. „Vor fünf Jahren hätte ich mir das nicht einmal vorstellen können.“ Das ist der „tragische Triumph“ (Hans-Joachim Schellnhuber, [10]) der auch angesichts noch so gelungener Ästhetisierungen und Übertragungen des anthropogenen Klimawandel bleibt. Wir wissen so viel, doch wir können es uns trotzdem nicht vorstellen. Wenn die seismischen Linien jenseits der Gegenwart mit Vorstellungen gefüllt werden, steht man vor einem Problem, das der Philosoph Günther Anders in Anbetracht der Möglichkeit eines Atomschlags fasste. Auch die globale Erwärmung ist ein Produkt von Menschen. Es ginge darum, so Anders, „die Kapazität und Elastizität unseres Vorstellens und Fühlens den Größenmaßen unserer eigenen Produkte und dem unabsehbaren Ausmaß dessen, was wir anrichten können, anzumessen“, „uns also das Vorstellende und Fühlende mit uns als Machenden gleichzuschalten“ [11]. Dies ist es, was Günther Anders als „Apokalypseblindheit“ ausmachte. „Dass es weitergeht wie bisher, ist die Katastrophe“ [12].

Denn Kunst kann die krassen Dissonanzen, den tragischen Triumph und die unaushaltbaren Paradoxien der globalen Erwärmung, wie sie in der fehlenden Überbrückung von Wissen und Handeln liegen, durch die ihr eigenen Methoden erlebbar machen. Dies vermag die Sprache der Wissenschaft alleine nicht. Gleichzeitig ist die Kunst in unserer Gesellschaft nicht mit derselben Autorität wie die Wissenschaft ausgestattet, um ihre Wahrnehmungen vom Rand in die Mitte zu bringen, selbst wenn sie das Museum verlässt. Und trotzdem teilen beide Bereiche einen Umstand: Sie befinden sich in der traurigen Rolle von ChronistInnen, die wie die Kassandra aufzeigen, wie Wissen und Handeln weiterhin auseinanderklaffen und dafür prägnante Gestaltungen schaffen.