Psychologische Verfahren haben in der Kopfschmerzbehandlung vor allem in der interdisziplinären multimodalen Therapie einen hohen Stellenwert [11, 31]. Sie bieten inzwischen bewährte Ansätze und eine Methodenvielfalt, die sich im Sinne einer Erweiterung und zunehmenden Spezifizierung weiterentwickelt [8, 16]. Im Folgenden werden aktuelle Behandlungsansätze, deren Schwerpunkte und Evidenzen vorgestellt. Zudem werden aktuell während der Coronavirus-Krankheit-2019(COVID-19)-Pandemie aufkommende Probleme und Lösungsansätze diskutiert.

Seit Beginn dieses Jahres sieht sich die Weltbevölkerung mit einer pandemischen Virusinfektion konfrontiert. Die von den Regierungen ergriffenen Maßnahmen, wie Grenzschließungen, Kontaktbegrenzung, Schul- und Kindergartenschließungen, Schließung von Freizeit- und Sporteinrichtungen, Homeoffice und Kurzarbeit, haben das alltägliche Leben stark verändert und erfordern vielfältige Anpassungen [10]. In der überwiegenden Mehrzahl von Studien werden negative psychische Folgen von Quarantäne beschrieben [4]. Auch direkte Einflüsse auf die Lebensqualität sind zu beobachten. So ließ sich kürzlich zeigen, dass Menschen in den deutschsprachigen Ländern nach Einführung des Lockdowns zwar länger schliefen, allerdings eine geringere Schlafqualität berichteten [3].

Herausforderungen für Patienten mit Kopfschmerz

Die COVID-19-Pandemie hat auch Einfluss auf die Kopfschmerzbehandlung. Es gibt insbesondere bei sehr einschränkenden Maßnahmen (z. B. Lockdown) einen schlechteren Zugang zu Behandlern, sodass über alternative Behandlungsansätze nachgedacht werden muss ([27], vgl. auch Beitrag von Neeb et al. [21] zur Digitalisierung in dieser Ausgabe von Der Schmerz). Ein unklarer Zugang zu Behandlungsoptionen und Rezepten, das Verschieben nicht lebensnotwendiger Arztbesuche – all das führt zu Verunsicherung und Sorgen bei den Patienten und zum Teil auch auf Therapeutenseite. Die Beschränkungen greifen in das Alltagsleben ein und bergen zusätzliches Belastungspotenzial. Sie können aber je nach individueller Bewertung auch als Herausforderung oder Chance wahrgenommen werden. In Tab. 1 sind mögliche Auswirkungen der behördlich angeordneten Pandemiemaßnahmen zusammengefasst.

Tab. 1 Mögliche Auswirkungen der Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie. (Vgl. auch [4, 10])

Negative Auswirkungen der aktuellen Lage liegen für Patienten mit Kopfschmerz etwa in der Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus [3] und in der erhöhten Stressbelastung, auch da diese zu den wichtigsten Migräneauslösern gehören [8]. Vermehrter Stress kann durch

  • finanzielle Sorgen,

  • Krankheitsängste,

  • zusätzliche Aufgaben,

  • Verstärkerwegfall wie Verlust von Hobbies, Interessen oder Selbstbestätigung,

  • soziale Isolation und

  • ggf. reduzierte Tagesstruktur

entstehen. Verstärkt wird diese Belastung zusätzlich durch die gleichzeitige Reduktion der Möglichkeiten zur Stressregulation und Ablenkung (Schließung von Fitnessstudios, Gastronomie und Kinos, Wegfall von Vereinssport etc.). Im Zuge des erhöhten Anspannungsniveaus, des veränderten Rhythmus und des Verstärkerverlusts sind eine Zunahme der Kopfschmerzfrequenz und eine Beeinträchtigung der Stimmungslage bei Betroffenen zu erwarten [8], wobei sich die Faktoren Stimmung, Stress und Kopfschmerz gegenseitig verstärken. Bei Erhöhung der Kopfschmerztage kommen zum Teil zusätzlich verstärkte Ängste vor Kopfschmerz hinzu („Was, wenn es immer so bleibt?“); hier sind Patienten mit katastrophisierendem Denkstil besonders gefährdet. Dies gilt im Besonderen für Patienten, die eine erhöhte Kontrollambition mitbringen. Für sie ist der Umgang mit der COVID-19-Pandemie ohnehin stark fordernd, da sie permanent mit Kontrollgrenzen und erlebter Hilflosigkeit konfrontiert sind, die das Stresserleben beeinflussen. Eine Verstärkung der Kopfschmerzsymptomatik kann dann als weiterer Kontrollverlust erlebt werden, was wiederum Angst und die Aufmerksamkeitsfokussierung verstärken kann.

Auch andere Bewertungen und Reaktionen waren im Zusammenhang mit COVID-19 festzustellen. So wurden nach Heimarbeit und Lockdown zum Teil positive Effekte dieser Zeit berichtet. Eine italienische Studie beschreibt eine Abnahme von Migräneattacken während des Pandemie-Lockdowns bei moderater selbstbeurteilter Depressivität, was auf die Abwesenheit von Triggern am Arbeitsplatz zurückgeführt werden könnte [24]. In Deutschland wurde einer großen Onlineumfrage nach die Zeit ab dem 18.03.2020 (Fernsehansprache der Bundeskanzlerin) als wieder merkbar stressärmer beschrieben (in Bezug auf Depressivität und Ängstlichkeit; [28]). Patienten mit Kopfschmerz berichten beispielsweise auch, dass sie sich zwingen mussten, weniger zu tun, und dadurch weniger Belastung empfanden. Einige Patienten beschreiben eine reduzierte Stressbelastung, z. B. weil im Homeoffice das Pendeln zur Arbeit wegfällt oder Pausen flexibler eingelegt werden können (vgl. die Fallbeispiele in Tab. 2).

Tab. 2 Belastung durch die Pandemie bei Patienten mit Migräne: Beispiele aus der Praxis

Nach Heimarbeit und Lockdown wurden zum Teil positive Effekte dieser Zeit berichtet

Das Erleben einer existenziellen Bedrohung durch COVID-19 dürfte aufgrund der damit verbundenen Ängste auch bei Patienten mit Migräne vorhanden sein, jedoch ist nicht auszuschließen, dass die Abkehr von einer Arbeitsroutine zu einer temporären Reduktion der Anzahl an Migränetagen führt [24]. Inwieweit hier die existenzielle Bedrohung der Pandemie die Migräne insgesamt in den Hintergrund zurückzudrängen vermag oder verstärkt, muss jedoch noch intensiver untersucht werden.

Psychologische Kopfschmerztherapie

Bei einem zugrunde liegenden biopsychosozialen Schmerzverständnis kommt den psychologischen Verfahren eine entscheidende Rolle zu. Dies gilt nach der Einführung neuer medikamentöser Prophylaxemöglichkeiten weiterhin. Unterschieden werden hierbei Psychoedukation, Entspannungsverfahren, Biofeedback und kognitive Verhaltenstherapie (KVT; [16]), wobei weitere Unterteilungen möglich sind [8]. Bei der Anwendung werden mit Selbstwirksamkeit, Anspannungsregulation und Akzeptanz drei für Schmerzverarbeitung und -therapie entscheidende Punkte adressiert.

Psychologische Verfahren gelten bei Migräne auch als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe

Zur Evidenz psychologischer Kopfschmerztherapie kann in vielen Studien gezeigt werden, dass die Wirksamkeit nichtmedikamentöser, psychologischer Verfahren gegenüber einer Placebo- oder einer Wartelistengruppe deutlich besser ist und sich in ihrer Effektstärke nicht von einer medikamentösen Strategie unterscheidet. Folgerichtig werden bei der Migräne diese Verfahren auch als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe bewertet [16]. Im Folgenden werden psychologische Ansätze und mögliche Implikationen durch die COVID-19-Pandemie detaillierter dargestellt.

Psychoedukation

Diese beinhaltet die ausführliche und patientengerechte Aufklärung über das Erkrankungsbild, inklusive seiner vielfältigen Ursachen und aufrechterhaltenden Faktoren sowie akuttherapeutischer und prophylaktischer Optionen. Die Information kann in Form von Printmaterial oder auch persönlich in Form von therapeutischen Gesprächen oder Informationsveranstaltungen erfolgen. Psychoedukation muss initialer Bestandteil jeder Kopfschmerztherapie sein, unabhängig davon, ob diese medikamentös und/oder psychologisch ist. Dabei kann schon die alleinige Verwendung psychoedukativer Strategien zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik führen [16].

Bedeutung während der COVID-19-Pandemie

In Zeiten, die von Unsicherheit, Fake News und mehr oder weniger qualifizierten Meinungsäußerungen geprägt sind, kommt Psychoedukation eine besondere Rolle zu. Auch die Tatsache, dass Kopfschmerz bei einer COVID-19-Infektion als Symptom auftreten kann, trägt zur weiteren Unsicherheit bei („Bin ich infiziert?“, „Bin ich eine Gefahr für andere?“). Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (z. B. Internetauftritte, Podcasts, Videotelefonie) sollten daher genutzt und entsprechend hochwertiges Material bereitgestellt werden, wie etwa auf https://www.attacke-kopfschmerzen.de (Abb. 1). Wichtig bei Videotelefonie ist insbesondere die Einhaltung des Datenschutzes – dies gilt auch für die nachfolgenden Abschnitte. Es gibt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Empfehlungen für zertifizierte Videodienstanbieter (https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php), im universitären Behandlungssetting werden entsprechende Maßnahmen angeboten. Die Patienten müssen eine Einverständniserklärung unterschreiben. In Anbetracht der Unpersönlichkeit dieser Informationskanäle sollten auch Video- bzw. Präsenzveranstaltungen, letztere unter Einhaltung entsprechender Hygienemaßnahmen, bedacht werden.

Abb. 1
figure 1

Screenshot aus einem Informationsvideo der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) zur COVID-19-Situation. (Quelle: [32], mit freundlicher Genehmigung der DMKG)

Allgemeine Entspannungsverfahren

Entspannungsverfahren werden seit Jahrzehnten erfolgreich in der Kopfschmerzbehandlung etabliert [7, 16]. Im Sinne der Vorsorge und des regenerativen Stressmanagements dienen sie der Senkung des allgemeinen Grundanspannungsniveaus und können so und über eine Verlagerung des Aufmerksamkeitsfokus zu einer erhöhten Schmerztoleranz beitragen [29]. Am häufigsten eingesetzt werden die progressive Muskelrelaxation (PMR) und die Grundstufe des autogenen Trainings – meist nicht allein, sondern in einem umfassenden, individuellen Behandlungsplan. Die Effektstärken liegen für den Prä-post-Vergleich in einem mittleren Bereich [18], für einzelne Beschwerdebelastungen sogar im hohen Bereich [14]. Aber auch bestimmte Biofeedbackverfahren eignen sich zur allgemeinen Entspannung (vgl. nächster Abschnitt). Ebenso ist die Wirksamkeit einer Kombination von Entspannungs- und Biofeedbackverfahren in der Behandlung von Migräne belegt und wird empfohlen [16].

Entspannungsverfahren müssen erlernt und im Alltag etabliert werden

Entspannungsverfahren sind übende Verfahren. Das heißt, der Erfolg nimmt mit Anwendungsdauer und -häufigkeit der Übungen zu. Hierin liegt die Chance, dass der Patient durch selbstbestimmtes Üben Selbstwirksamkeit erfährt („Ich kann selbst etwas gegen meine Kopfschmerzen tun.“) und die durch den chronischen Verlauf der Erkrankung resultierenden Insuffizienzgefühle reduziert werden. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Entspannungsübungen nicht ausreichend im Alltag verankert oder Übungen nicht korrekt bzw. nur unregelmäßig durchgeführt werden. Langfristige, stabile positive Effekte auf die Symptomatik bleiben so aus. Deshalb ist das Erlernen von Entspannungsverfahren und deren Etablierung in den Alltag im therapeutischen Kontext essenziell.

Bedeutung während der COVID-19-Pandemie

Allgemeine Anspannungsreduktion ist für die meisten Patienten mit Kopfschmerz hilfreich und sollte besonders in Krisenzeiten eingesetzt werden. Da das Grundanspannungsniveau durch die COVID-19-Pandemie bei einigen Menschen angestiegen ist, werden Entspannungsverfahren umso notwendiger. Insbesondere Patienten, die noch kein Entspannungsverfahren erlernt haben, sollten hier aktiv werden. Wichtig ist das korrekte Erlernen und Üben. Das Kontaktverbot „zwingt“ uns, bestehende digitale Entspannungsangebote gezielter zu nutzen und zu erweitern. Dieser „Zwang“ kann jedoch auch als der notwendige Impuls verstanden werden, diese bislang unzureichend genutzten Ressourcen zu aktivieren. Spezifische Kopfschmerz-Apps, die beispielsweise gut angeleitete PMR beinhalten, können hier eingesetzt werden, so etwa die Migräne-App der Schmerzklinik Kiel oder M‑sense (vgl. auch Beitrag zur Digitalisierung in dieser Ausgabe). Der Therapeut sollte (z. B. auch telefonisch oder in der Videosprechstunde) geeignete Apps empfehlen. Der Vorteil von Apps besteht neben ihrer zeitlichen und örtlichen Flexibilität darin, dass sie über Protokolle und Erinnerungseinstellungen den Nutzern die Möglichkeit geben, ihre Übungspraxis selbst zu überwachen [6]. Metaanalysen zu internetbasierten Entspannungstherapien zeigen positive Effekte auf die allgemeine Gesundheit und das psychische Wohlbefinden der Nutzer [26]. Die Wirkung von Entspannungs-Apps für Tablets oder Smartphones ist jedoch noch nicht ausreichend untersucht [19].

Es muss aber nicht alles digital sein. Auch sich neu ergebende „analoge“ Wege für Entspannung und Achtsamkeit, z. B. ein entspannender und achtsamer Spaziergang, können für sich entdeckt und in den Alltag eingebaut werden. Um eine „Kultur der Entspannung“ zu fördern, müssen Informationen über Entspannungsverfahren und Anwendungsmöglichkeiten zugänglich gemacht werden (im Sinne von Psychoedukation).

Spezifisches Biofeedback

Biofeedback stellt einen Sammelbegriff für therapeutische Methoden dar, bei denen sogenannte Biosignale über spezielle Apparaturen gemessen und beispielsweise visuell bzw. akustisch kontinuierlich zurückgemeldet werden, um gezielt und willentlich verändert werden zu können. Der Patient lernt durch das Training, dass er selbst seine eigenen körperlichen Prozesse beeinflussen kann. Unterschieden wird unter anderem zwischen Elektroenzephalographie‑, Elektromyographie(EMG)- oder Blutvolumenpuls(BVP)-Biofeedback. Während einige Biofeedbackverfahren zur allgemeinen Entspannung genutzt werden können, gibt es auch Verfahren, mit denen sich spezielle kopfschmerzassoziierte Prozesse gezielt beeinflussen lassen. Bei der Migräne kann das BVP-Biofeedback (auch Vasokonstriktionstraining genannt) eingesetzt werden, um dem Patienten beizubringen, die Weite der während der Attacke dilatierten Gefäße zu reduzieren. Das EMG-Biofeedback findet beispielsweise bei Spannungskopfschmerzen seinen Einsatz, wobei die Effektstärke im mittleren Bereich liegt. In der Behandlung von Spannungskopfschmerz stellte sich eine Kombination von Entspannungsverfahren und EMG-Biofeedback als am wirksamsten heraus [23].

Insbesondere bei chronischen Schmerzsyndromen zeigt sich ein besserer Behandlungserfolg im Vergleich zu anderen Behandlungsverfahren, wie dem bloßen Führen eines Kopfschmerztagebuchs oder einer Entspannungstherapie. Effekte konnten auch nach 15 Monaten noch gezeigt werden [23]. Das BVP-Biofeedback wird effizient bei Migräne eingesetzt [16]; Metaanalysen bestätigen für bis zu 17 Monate stabile mittlere Effektstärken [22]. Neurofeedback kann eingesetzt werden, um Signale des Gehirns zu beeinflussen, z. B. das ereigniskorrelierte Potenzial der „contingent negative variation“ (CNV); dabei wird über die Förderung kortikaler Habituation bei der Reizverarbeitungsstörung, die mit Kopfschmerzen assoziiert ist, angesetzt [25].

Bedeutung während der COVID-19-Pandemie

Da Biofeedbackverfahren meist spezielle Apparaturen erforderlich machen, kann der Patient sie aktuell kaum zu Hause anwenden. Es können allerdings alternativ auch Apps für Biofeedback genutzt werden [5]. Über Smartphones, Tablets und Wearables, d. h. Fitnessbänder, Uhren, Gürtel etc., besteht die Möglichkeit, Biofeedback in den Alltag zu integrieren und hier eine Übungspraxis zu etablieren [2]. Unabdingbar ist bei den Biofeedbackverfahren jedoch die vorherige Einübung mit dem Therapeuten. Patienten, die bereits Erfahrung haben, sollten die während des Biofeedbacks eingesetzten Strategien auch im Alltag anwenden.

Kognitive Verhaltenstherapie

In der KVT spielen neben basalen Lernmechanismen und -prinzipien insbesondere kognitive Faktoren wie Erwartungen und Denkmuster eine wesentliche Rolle. Der Patient soll in der Therapie lernen, seine für die Kopfschmerzerkrankung dysfunktionalen Verhaltensweisen (z. B. Auslassen von Mahlzeiten) und Denkmuster (z. B. „Am Wochenende habe ich bestimmt wieder Kopfschmerzen.“) abzulegen und in einem Prozess des Umlernens durch funktionale Verhaltens- bzw. Denkmuster zu ersetzen. Hierbei wird in Abhängigkeit von der ausführlichen Anamnese und von den mit dem Patienten festgelegten Zielen unter Nutzung seiner individuellen Ressourcen über die Auswahl entsprechender Maßnahmen entschieden.

Basis ist jeweils die Psychoedukation im Sinne des biopsychosozialen Schmerzmodells. Die syndromspezifischen KVT-Techniken bauen hierauf gegebenenfalls mit spezifischen Lebensstilempfehlungen auf. Dazu gehören auch Techniken zum Umgang mit Erwartungs- und Attackenängsten. Bei diesen werden ausgehend von klassischen Modellen zur Gefühlsentstehung angstauslösende Bewertungen und Einstellungen identifiziert und durch funktionale Gedanken ersetzt oder es wird durch metakognitive Techniken ein anderer Umgang mit angstauslösenden Gedanken angestrebt. Attackenmanagement umfasst Strategien bei beginnendem Schmerz und während akuter Kopfschmerzattacken. Der Ansatz des Triggermanagements [13] zielt bei Migräne auf die Verbesserung der Lebensqualität und Angstreduktion sowie auf die Verhinderung einer progendienten Senkung der Reizschwelle ab. Hierzu finden Gewöhnungstrainings zur Veränderung der Reizempfindlichkeit, Verhaltensexperimente und das Einüben von Bewältigungsstrategien wie Reizabschirmung oder Entspannung Anwendung. Der Effekt dieses Ansatzes ist durch eine Reihe von Studien belegt [17, 20, 30].

Der Patient soll seine dysfunktionalen Verhaltensweisen und Denkmuster durch funktionale ersetzen

Für den Bereich Krankheitsakzeptanz und in der Defokussierung von Schmerz hin zu Lebenszielen und Werten sind Strategien aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) hilfreich. Stressbewältigungstrainings dienen der Förderung der instrumentalen, mentalen und regenerativen Stresskompetenz. Dies beinhaltet eine Förderung der Stresswahrnehmung, beispielsweise individueller Stressanzeichen, worauf auch achtsamkeitsbasierte Stressbewältigungsansätze eingehen. Zum Stressbewältigungsansatz gehört auch ein direktes Angehen von Problemen über die Förderung der Problemlösekompetenz oder die Einplanung von Genuss und Erholung. Fast immer werden hierfür auch ungünstige und stressfördernde Einstellungen bearbeitet, hinterfragt und Selbstfürsorge gefördert.

Viele der Ansätze aus KVT und Entspannungsverfahren greift das aktuelle Behandlungsmanual Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Migränemanagement (MIMA, [12]) auf, das über sieben modulartig aufgebaute Einzel- oder Gruppentherapiesitzungen Anleitung gibt, Wissen, Fertigkeiten und funktionale Einstellungen in Bezug auf Migräne zu fördern und aufzubauen [13].

Bedeutung während der COVID-19-Pandemie

Die COVID-19-Pandemie führt zu einem Anstieg psychischer Belastung [4, 10], etwa zu Ängsten und starkem Hilflosigkeitserleben. Hier können KVT und akzeptanzbasierte Verfahren ansetzen, um Akzeptanz zu fördern, aktive Bewältigungsstrategien zu erarbeiten, deren Umsetzung konkret zu planen sowie Befürchtungen und katastrophisierende Bewertungen zu hinterfragen und alternativen Sichtweisen gegenüberzustellen. Die von der KBV für das zweite Quartal beschlossenen Änderungen und Abrechnungsmöglichkeiten und die Verordnungen im Zuge der COVID-19-Pandemie für Telefon- oder Videosprechstunden haben eine Sicherstellung der psychotherapeutischen Versorgung erleichtert [1]. Eine Vielzahl entsprechender Fortbildungen und Programmweiterentwicklungen für Psychotherapeuten und Ärzte kam hinzu [9]. Es ist möglich, dass hier für den Patienten langfristig günstige Bedingungen entstehen im Sinne einer Flexibilisierung und Verbesserung der Versorgung, z. B. auch durch bessere Erreichbarkeit.

Dass ein Teil der Patienten durch Alltagsveränderungen sogar profitieren kann (z. B. durch Spaziergänge, Fahrradfahren, Joggen, Wegfall von Fahrtwegen), sollte nicht außer Acht gelassen werden. Apps könnten hierbei zu sportlichen Aktivitäten aufrufen und durch individuelle Leistungsberichte motivierende Rückmeldungen geben. Besonders wichtig erscheint die Berücksichtigung positiver Aspekte, wenn Entlastung empfunden wird, weil Erwartungsängste vor schmerzbedingtem Ausfall und ein schlechtes Gewissen bei Absagen (z. B. privater Treffen) weniger eine Rolle spielen. Bei vorliegender emotionaler Problematik und Selbstabwertung für Leistungsminderung relativiert sich das Erleben zu versagen, wenn alle anderen auch zu Hause sind. Diese Veränderungen können und sollten therapeutisch herausgearbeitet und zur Motivation für allgemeine Lebensstiländerungen genutzt werden. Zu beachten ist außerdem, dass auch diese Patienten mit der Zeit in den normalen Alltag zurückkommen und dann in ihrer Krankheitsakzeptanz wieder deutlich herausgefordert werden können.

Pausen sind gerade bei erhöhter Stressbelastung eine sinnvolle Möglichkeit zur Anspannungsregulation

Mit den angesprochenen Lebensstiländerungen ist beispielsweise auch ein geändertes Pausenmanagement gemeint. Dieses kann als aktive Bewältigungsstrategie helfen, den Stress zu reduzieren und den Alltag zu strukturieren, was allgemein und besonders im Homeoffice von Bedeutung ist. Es beinhaltet, dass nicht erst dann Pausen eingelegt werden, wenn der Bedarf in Form von Erschöpfung besteht, sondern nach einem zuvor festgelegten Zeitplan. So sollten Patienten mit Migräne ähnlich oft Pausen einlegen wie beispielsweise Zigarettenraucher, also etwa alle zwei Stunden tagsüber. Diese rein klinische Beobachtung ist bislang nur wenig untersucht worden. Das Einlegen von Pausen ist jedoch sinnvoll, weil es die aktuelle Aktivität unterbricht. Über den positiven Effekt von Pausen auf die Lernleistung wurde in anderen Zusammenhängen schon berichtet [15]. Die Implementierung von Pausen in das tägliche Leben, vor allem in den Arbeitsprozess ist eine Herausforderung in der multimodalen Kopfschmerztherapie, weil sie dem Ansinnen des Patienten und seinem Leistungswillen widerstrebt. Als basale Selbstfürsorgestrategie sind Pausen jedoch gerade bei erhöhter Stressbelastung eine sinnvolle Möglichkeit zur Anspannungsregulation.

In Tab. 3 haben wir exemplarisch Möglichkeiten aufgelistet, die in der psychologischen Behandlung der beiden obigen Fallbeispiele angewendet werden können.

Tab. 3 Möglichkeiten psychologischer Kopfschmerzbehandlung anhand unserer zwei Fallbeispiele

Abschließende Bemerkungen

In der interdisziplinären multimodalen Kopfschmerztherapie haben sich die beschriebenen Ansätze etabliert und sind dort zum festen und durchaus abrechnungsrelevanten Bestandteil der Therapie geworden [11, 31].

Wie anhand der beiden Fallbeispiele deutlich wird, kann sich die veränderte Situation durch die COVID-19-Pandemie ganz unterschiedlich auf den Verlauf einer Kopfschmerzerkrankung auswirken. Mithilfe der dargestellten Verfahren kann individuell auf die Belastung und die neuen Erfahrungen des Patienten eingegangen werden, um Krankheits- und Stressbewältigungsstrategien zu fördern.

In der Therapie während der COVID-19-Pandemie erscheint es besonders wichtig, die emotionale Reaktion des Patienten zu validieren und vor allem zu entpathologisieren. Hiermit einher sollte das Werben um Problemakzeptanz gehen. Die Migräne beispielsweise ist eine Erkrankung, bei der mit einer Verstärkung der Symptomatik bei Stress zu rechnen ist, wobei nicht jedem Stress aus dem Weg gegangen werden kann. Dieses Problem, genauso wie das Problem COVID-19, kann nicht aufgelöst werden. Die Akzeptanz dieser Tatsachen sowie der Fokus auf aktive eigene Umgangsmöglichkeiten, wie die Nutzung von Entspannungsverfahren, und auf die Stärkung der Selbstwirksamkeit stellen daher sinnvolle und entlastende Ziele dar und können sogar eine Trainingsmöglichkeit sein für den Umgang mit etwaigen späteren psychosozialen Belastungen. Das Herausarbeiten früherer überstandener Krisen und positiver Veränderungen der Kopfschmerzhäufigkeit kann zu einer neuen Perspektive und Hoffnung beitragen und so entlasten.

Fazit für die Praxis

  • Die COVID-19-Pandemie mit den behördlich angeordneten Maßnahmen wirkt sich auf Patienten mit Kopfschmerz individuell sehr unterschiedlich aus.

  • Psychologische Behandlungen können weiterhin angewendet werden, wobei digitale oder telefonische Möglichkeiten der Behandlung eingesetzt werden sollten, wenn direkte Face-to-face-Behandlungen nicht möglich sind.

  • In der Behandlung müssen die durch die COVID-19-Pandemie bedingten Auswirkungen herausgearbeitet und berücksichtigt werden. Auch aus positiven Auswirkungen können für Therapie und Krankheitsbewältigung wertvolle Erkenntnisse und Impulse gewonnen werden.

  • Einschränkungen ergeben sich bei der Anwendung von Biofeedback, da die Anwendung ohne Behandler zum Teil nicht gewährleistet ist und die technischen Angebote für die Heimnutzung durch Patienten über portable Geräte ausgebaut werden sollten.

  • In Bezug auf die Stressbewältigung ergibt sich insbesondere beim Pausenmanagement von Patienten mit Migräne weiterer Forschungsbedarf.