Die Informatik kann auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte im Verlauf der letzten Jahrzehnte zurückblicken. Mittlerweile durchdringen Anwendungen der Informatik die Lebenswelt in zunehmend mehr Bereichen und verändern Alltagspraktiken in Beruf, Haushalt und Freizeit. Ihre Gestaltung strukturiert die tatsächlichen Arbeitsweisen und Entwicklungsmöglichkeiten von Organisationen, Gemeinschaften oder Familien. Der große Erfolg der Informatik hat zur Folge, dass sich deren Selbstverständnis über eine rein formale, technikimmanente Sichtweise hinaus weiterentwickeln muss. Die Qualität von IT-Design zeigt sich heute in der Weise, wie technische Artefakte für den alltäglichen Gebrauch genutzt und sich angeeignet werden können.

Das Forschungsfeld der Mensch-Computer-Interaktion beschäftigt sich genau mit diesen Fragestellungen.

Unter Mensch-Computer-Interaktion (MCI) versteht man den Bereich der angewandten Informatik, der sich mit Fragen rund um die benutzer- und kontextgerechte Gestaltung von IT-Systemen beschäftigt – sowohl in den frühen Phasen eines Projekts, also der Anforderungsanalyse, als auch bei konkreter Gestaltung und Einführung (siehe hierzu beispielsweise [10] oder [15]). Im Englischen spricht man analog von Human-Computer-Interaction (HCI).

Bedeutsam ist MCI vor allem aus folgenden Gründen:

  • Systeme, die nicht benutzbar (gebrauchstauglich) sind und aus Sicht der Nutzer nicht funktionieren, sind letztlich, unabhängig von ihrer potenziellen Funktionalität, wertlos [22, 23] – erst Nutzbarkeit schafft Nutzen!

  • Defizite in der Nutzbarkeit stellen die Effizienz der Nutzung infrage und sind damit unökonomisch [7, 8].

  • Nicht gebrauchstaugliche Systeme können für den Nutzer sogar gefährlich sein [9].

  • Solche nicht an die Menschen angepasste Systeme finden keine Akzeptanz und können damit vor allem in Consumermärkten nicht wirtschaftlich abgesetzt und verbreitet werden [27, 24].

In diesem Beitrag sammeln wir einige Beispiele dafür, wo und wie MCI in der Entwicklung zukünftiger Informatiksysteme relevant ist. Konkret sind das die Bereiche der Benutzerinteraktion mit intelligenten Algorithmen (nutzerzentrierte künstliche Intelligenz), der benutzbaren Sicherheit, die Einsatzszenarien der cyber-physischen Systeme sowie der digitalen Arbeit sowie der breite Bereich der Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR).

Nutzerzentrierte künstliche Intelligenz

Das Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) konnte in den letzten Jahren die Leistungsfähigkeit intelligenter Techniken durch neue technologische und methodische Entwicklungen in bemerkenswerter Weise steigern. Neben der Verfügbarkeit leistungsfähigerer Hardware sind vor allem neue Methoden des maschinellen Lernens, insbesondere auf neuronalen Techniken basierende Methoden des Deep Learning [6], sowie die zunehmende Verfügbarkeit von sehr großen Datensätzen (Big Data) wesentliche Faktoren, die zu teilweise erstaunlichen Durchbrüchen in verschiedensten Anwendungsfeldern führten, wie zum Beispiel Bild- und Sprachverstehen, Data Analytics, Empfehlungssystemen bis hin zur automatischen Generierung von künstlerischen Artefakten [18].

Angesichts der jüngsten Erfolge von KI-Methoden und dem zunehmenden Vordringen intelligenter Algorithmen in verschiedenste Anwendungsbereiche stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Rolle des Menschen im Zusammenwirken mit technischen Systemen in neuer und verschärfter Form. Während die Zielsetzung der KI bislang zumeist in der Automatisierung (und Substitution) menschlicher Leistungen lag (und oft weiterhin darin gesehen wird; vgl. Jones [14]), verfolgt die MCI seit ihren Anfängen den Ansatz der Unterstützung und Verstärkung menschlicher Fähigkeiten. Die neuen intelligenten Techniken bergen hingegen die Gefahr, die Kluft zwischen Nutzer und System drastisch zu vergrößern, da Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, insbesondere von solchen, die durch probabilistische Techniken generiert werden, kaum noch gegeben sind. Zudem ist Nutzern die Möglichkeit der interaktiven Steuerung weitgehend entzogen, die Systeme stellen aus Nutzersicht eine Black Box dar. Diese Restriktionen können zu vielfältigen Problemen beim Einsatz intelligenter Techniken führen, so unter anderem zu mangelndem Vertrauen der Nutzer in die Systeme, einer geringen Akzeptanz bis hin zu negativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen wie finanziellen Fehlentscheidungen oder der (absichtlichen oder unabsichtlichen) Diskriminierung bestimmter Personen oder Gruppen. Vor diesem Hintergrund müssen bewährte Gestaltungsziele einer nutzerzentrierten Systemgestaltung wie zum Beispiel Aufgabenangemessenheit, Selbsterklärungsfähigkeit oder Steuerbarkeit wieder hervorgehoben, gleichzeitig aber auch im Kontext von Systemen mit intelligenten Algorithmen neu interpretiert und umgesetzt werden. Usability und positive User Experience müssen auch bei KI-basierten Systemen prioritäre Anforderungen bleiben. Wenngleich es erste Ansätze dazu gibt, sind noch erhebliche Forschungsanstrengungen erforderlich, von denen einige im Folgenden beschrieben werden.

Präsentation und Interaktion

Für die Präsentation von und Interaktion mit KI-Komponenten stellen sich über die klassischen Aspekte des User Interface Design hinaus viele spezifische Fragen. Diese betreffen unter anderem die Wahl eines geeigneten Interaktionsstils, der von konventionellen Graphical-User-Interface-Lösungen über konversationale und sprachbasierte Interaktion bis hin zu anthropomorphen virtuellen Agenten [20] reicht. Zudem sind eingebettete Interaktionen, wie sie im Internet der Dinge, in der Robotik oder in automatisierten Fahrzeugen auftreten, zu berücksichtigen. Bei diesen Anwendungen sind unter anderem Fragen zur Multimodalität der Interaktion, der Aufmerksamkeitslenkung oder des Initiativenwechsels zwischen Nutzer und System zu beantworten.

Transparenz und Erklärbarkeit

Ein grundlegendes Problem besteht in der mangelnden Transparenz und Erklärung von automatisch getroffenen Entscheidungen oder Empfehlungen [28]. Während bei konventionellen KI-Techniken, wie regelbasierten Systemen oder Entscheidungsbäumen, die Schlussfolgerungen zumindest prinzipiell noch verständlich dargestellt werden können, ist dies bei neuronalen Techniken in der Regel nicht der Fall. Es ist deshalb (nicht zuletzt aus Gründen des Datenschutzes, s. DSGVO) wesentlich, Methoden zu entwickeln, die die Entscheidungsmechanismen und deren Datengrundlage in einer Form erklären können, die für die Nutzer relevant und verständlich ist [3]. In den letzten Jahren wurden zwar vermehrt Untersuchungen zu erklärbarer KI durchgeführt, so zum Beispiel zu interpretierbaren maschinellen Lernmodellen, viele Fragen bezüglich Art, Detailgrad oder Interaktivität von systemgenerierten Erklärungen sind aber noch weitgehend offen. Transparenz und Erklärbarkeit von KI-basierten Entscheidungen oder Empfehlungen sind jedoch aus nutzerorientierter Sicht als zentrale Aspekte für die Entwicklung von Vertrauen und Akzeptanz in das System einzuschätzen.

Steuerbarkeit und Explorierbarkeit von intelligenten Algorithmen

Neben der Erklärbarkeit stellt sich aus Nutzerperspektive die weitergehende Frage, ob und wie algorithmische Entscheidungsprozesse beeinflusst, gesteuert oder exploriert werden können. Nutzerkontrolle kann prinzipiell auf unterschiedlichen Stufen des Prozesses ansetzen. Dies reicht von der Auswahl der für Lernprozesse zu verwendenden Daten über die Auswahl und Parametrisierung der Algorithmen bis zum Feedback zu systemseitig getroffenen Vorschlägen und Entscheidungen. Ansätze für nutzersteuerbare KI finden sich unter anderem bei Methoden des Interactive Machine Learning [1, 12] oder in Recommender-Systemen [19].

Explorierbare Algorithmen erlauben es dem Nutzer, bestimmte Parameter zu verändern, um die Auswirkungen dieser Änderungen zu beobachten und damit Was-wäre-wenn-Fragen zu beantworten [17]. Zukünftige Forschungsaktivitäten sind erforderlich zur Gestaltung interaktiver Methoden für die Steuerung algorithmischer Prozesse wie auch zur Entwicklung neuer Algorithmen, die weitergehende Eingriffsmöglichkeiten und ein engeres Zusammenwirken zwischen Nutzer und Algorithmus erlauben.

Kooperation Mensch-System

Die alte Frage der Aufgabenteilung zwischen Mensch und technischem System stellt sich im Kontext von KI-Techniken auf neue Weise, da zunehmend komplexere, geistige Aufgaben automatisiert werden können. Ihr Einsatz wirft grundsätzliche Fragen bezüglich Agency und Autonomie der Nutzer auf und erfordert neue Lösungen bezüglich des Zusammenwirkens und der Kooperation zwischen Nutzer und System. Weitergehende Untersuchungen sind hier erforderlich, unter anderem in Bezug auf Mixed-Initiative-Interaktionen, Handover-Prozesse (zum Beispiel bei automatisiertem Fahren) bis hin zu wechselseitigem Lernen bei kooperativ durchgeführten Arbeiten, wie sie zum Beispiel in der Robotik auftreten (siehe zum Beispiel Johnson et al. [13]).

Ethische und rechtliche Aspekte

Wenn Maschinen kognitive Aufgaben übernehmen, ergeben sich vielfältige Fragen in Bezug auf Aspekte wie Nachvollziehbarkeit, Fairness, Verantwortlichkeit oder Haftung [2]. Diese Aspekte werden oft mit dem Begriff der „accountability“ umrissen. Ethische oder rechtliche Problemstellungen können sich zum Beispiel bei KI-basierter Kreditvergabe oder bei automatisierter Personenauswahl in Bewerbungsverfahren ergeben. Algorithmische Entscheidungen können (gewollt oder ungewollt) mit einem Bias behaftet oder diskriminierend für bestimmte Personengruppen sein, wobei die Ursachen sowohl in der Datengrundlage wie auch den eingesetzten Algorithmen liegen können. Die Forschung dazu, wie solche Tendenzen erkannt und vermieden werden können, steht noch weitgehend am Anfang. Vieldiskutiert, aber noch weithin offen, ist sowohl aus ethischer wie auch rechtlicher Sicht, welchen Akteuren die Verantwortung und die Haftung bei algorithmisch getroffenen Entscheidungen zugerechnet werden können. Zur Lösung dieser Probleme sind unterschiedliche Disziplinen gefordert, die MCI kann aber einen wichtigen Beitrag zur Klärung dieser Fragen und zu deren Umsetzung in interaktiven Systemen leisten.

Benutzbare Sicherheit

Wie können digitale Sicherheitstechnologien möglichst gebrauchsfreundlich, aber zugleich auch möglichst widerstandsfähig werden? Antworten auf diese Frage haben weitreichende Auswirkungen – in Katastrophenfällen ebenso wie bei Cyberattacken. Mit der zunehmenden Vernetzung wächst nämlich auch die Dringlichkeit, uns vor Angriffen zu schützen: Die Digitalisierung macht uns verwundbar. Dabei scheint es beinahe so, als schlössen Sicherheit und Benutzbarkeit einander aus: So gelten beispielsweise jene Passwörter als besonders sicher, die sich niemand merken kann. Doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Eine verständliche, intuitive Anwendbarkeit erhöht bisweilen sogar die Sicherheit [25]. Das gilt nicht nur für „security“, sondern auch für „safety“. Die beiden englischen Unterscheidungen des deutschen Begriffs Sicherheit bezeichnen einerseits die Sicherheit vor Angriffen und Missbrauch („security“), andererseits den Schutz vor Unfällen und Störfällen („safety“) [4]. Eine optimierte MCI sorgt sowohl für „usable security“ als auch für „usable safety“. Mit anderen Worten: Die digitalen Schutzsysteme beider Kategorien gewährleisten dank besserer Benutzbarkeit mehr Sicherheit.

Usable Security

„Usable Security“ (benutzbare Sicherheit; [5]) möchte die Nutzbarkeit der Sicherheitskonzepte verbessern (zum Beispiel einfache E‑Mail-Verschlüsselung) und das Bewusstsein der Nutzer erhöhen (zum Beispiel Wahrnehmung deren Notwendigkeit). Ein prominentes Beispiel ist die Verschlüsselung von E‑Mails. Gelingt es, Büroangestellten eine einfach verständliche, nicht abschreckende Kryptographieanwendung anzubieten, erhöhen sie damit zunächst einmal massiv deren Aufgeschlossenheit für die Problemstellung. Und wer sich zutraut, seine E‑Mails zu verschlüsseln, schiebt das Thema nicht mehr möglichst weit von sich weg. Für ein Unternehmen, dessen Belegschaft auf diese Weise ermutigt und befähigt wird, bedeutet das einen besseren Schutz vor Hackerangriffen.

Darüber hinaus bewirken gute MCI-Lösungen bei Verschlüsselungsverfahren ein erhöhtes Bewusstsein für Datenschutz in vielen weiteren Bereichen, in denen die IT sensible persönliche Daten verarbeitet: Smartphones, Smart Watches, Datenarmbänder, Patientenkarten, Bewegungsmustererfassung durch Navigationssysteme, um nur einige zu nennen. Eine zentrale Herausforderung ist hierbei der damit verbundene Aufwand, der immer noch viele Nutzer davon abhält, sichere Verfahren zu verwenden. Denn auch im Zuge steigender Automatisierung und Komplexität der Sicherheitskonzepte entscheiden die Nutzer oftmals selbst, wie und ob sie solche Konzepte anwenden [11].

Neben Endnutzern sind auch Administratoren, Systemintegratoren und Entwickler relevante Zielgruppen (zum Beispiel intuitive Kryptographie-Bibliotheken; [16]). Die Diversität der Nutzer (zum Beispiel in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bildung, Kultur, Technikaffinität) spielt bei der Anwendung der Konzepte eine Rolle und bedarf tiefergehender Untersuchung.

Usable Safety

Gleiches gilt für Anwendungen aus dem Bereich „usable safety“ (sichere Benutzbarkeit bzw. benutzbare funktionale Sicherheit; [26]). In Leitwarten komplexer Industrieanlagen, in Kliniken, im Katastrophenschutz oder in autonomen Fahrzeugen bedarf es resilienter, dezentralisierter Computersysteme mit intuitiver Anwendbarkeit. Denn die Sicherheit vor unbeabsichtigten Ereignissen spielt eine Rolle [25]. Viele Systeme sind auf kontinuierliche Stromversorgung, Datenaustausch und teilweise Internetverbindungen angewiesen. Auch in Branchen wie der Landwirtschaft sind heute viele Entscheidungen und Prozesse datengestützt, deren Wertschöpfung stark von einer MCI-optimierten „usable safety“ abhängt. Damit ein Ausfall keinen Schaden anrichtet, sollten Technologien besonders resilient und unabhängig von zentralen Infrastrukturen umgesetzt werden.

Forschungsaufgaben

Beide Sicherheitsbegriffe adressierend ist eine der wesentlichen Forschungsaufgaben zu prüfen, wie einerseits die dabei anfallenden Daten vor dem Zugriff durch Unbefugte zu schützen, andererseits aber mit denselben Daten diese Interaktion zu optimieren. Interaktionsdaten können zum einen aus Umgebungssensoren (zum Beispiel Eyetracker, Kinect etc.) sowie aus Sensoren in persönlichen Geräten (Smartphone, Uhren, Brillen, Kleidung) gewonnen werden und als Grundlage zur Bestimmung des Kontexts des Benutzers dienen (Aktivität, andere Personen in der Umgebung, Grad der Aufmerksamkeit eines Benutzers). So kann zum Beispiel eine Analyse der Berührungsdaten bei der Eingabe eines Passworts dabei helfen, die Handhaltung bzw. den Kontext (Stehen vs. Gehen vs. Fahren) zu bestimmen und die Benutzeroberfläche entsprechend zu adaptieren [29], was sowohl Benutzbarkeit als auch funktionale Sicherheit erhöht. Gleichzeitig kann eine Analyse der Interaktionsdaten die Informationssicherheit erhöhen. Wird beispielsweise ein Tablet von mehreren Familienmitgliedern genutzt, so kann anhand der Bedienung (Touch-Verhalten, Position, verwendete Anwendungen) der Benutzer identifiziert und der Zugriff auf bestimmte Inhalte eingeschränkt werden. Zeitgleich kann auch die Benutzeroberfläche angepasst werden und beispielsweise Hinweise geben, wenn weniger geübte Nutzer (Kinder, ältere Personen) eine komplexe Aufgabe ausführen. Es ist entscheidend für die Informatik, von Grund auf zu erforschen, wie ein Gerät oder eine Software in der Praxis genutzt wird und wie Mensch und Computer interagieren. Denn es geht dabei immer wieder um das gleiche Spannungsfeld von Sicherheit und Benutzbarkeit: Wie können digitale Sicherheitstechnologien möglichst gebrauchsfreundlich, aber zugleich auch möglichst widerstandsfähig sein?

Interaktion mit allgegenwärtigen und cyber-physischen Systemen

Schon heute interagieren wir im Alltag mit einer Vielzahl an Systemen, die uns zunehmend ubiquitär umgeben und immer mehr auch mit der physischen Welt als cyber-Physische Systeme (CPS) verwoben sind. In den nächsten 30 Jahren wird sich diese Anreicherung der realen Welt mit digitalen Systemen noch deutlich verstärken. Nur die MCI ermöglicht hier die Beherrschung, Akzeptanz und Sicherheit der Systeme, die eben meist nicht ohne Interaktion mit und Eingreifen durch den Menschen auskommen – und häufig auch nicht auskommen sollen.

Die Beispiele reichen von autonomen Fahrzeugen und intermodalen Companions in der Mobilität über Smart Homes bis zur Industrie 4.0, wo überall die Automatisierung, die Komplexität und gleichzeitig auch die direkte Abhängigkeit des Menschen und seine Wechselwirkung mit den Systemen sichtbar werden.

CPS können als Systeme beschrieben werden, in denen IT-basierte Komponenten physische Entitäten in der realen Welt kontrollieren und mit diesen und den Menschen wechselwirken. In den komplexen Systemen der Zukunft wird die Interaktion von Menschen mit den Systemen nicht mehr nur noch über einfache Klicks oder Berührungen eines Bildschirms ablaufen. Menschen werden über mehrere oder überhaupt keine Bildschirme, mobile Geräte und eingebettete Interfaces mit Räumen, Fahrzeugen, Maschinen und Gebäuden interagieren, die in größere räumliche Systeme wie zum Beispiel die Brücke eines Schiffs, eine Fabrikhalle oder ein Fahrzeug integriert sind. Im Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) wechselwirken physische Elemente dynamisch miteinander und interagieren auch mit unterschiedlichen Nutzern. Gleichzeitig werden physische Elemente interaktiv und zum Bestandteil komplexer CPS.

Zur Kommunikation mit und Überwachung von solchen Systemen durch den Menschen kommt auch das Übernehmen der Kontrolle und das Treffen von Entscheidungen, wenn es notwendig wird. Interaktion ändert sich dadurch massiv:

  1. 1.

    Menschen werden häufiger und vielfältiger mit CPS interagieren.

  2. 2.

    Sie werden mit viel stärker automatisierten Systemen als bislang interagieren. Die Interaktion erfolgt verstärkt oder nur noch in Situationen, in denen die Automatisierung an ihre Grenzen stößt und die Maschine den Menschen als Rückfallebene benötigt.

  3. 3.

    Menschen werden Systeme eher situativ und ad hoc bedienen.

  4. 4.

    Wechselnde Aufmerksamkeit teilt die kognitiven Ressourcen zwischen verschiedenen Aufgaben und Systemen (auch temporal) auf.

  5. 5.

    Systeme werden zunehmend adaptiv und zur Laufzeit dynamisch zusammengesetzt funktionieren, sodass Benutzungsschnittstellen nicht mehr vorab final gestaltet werden können.

  6. 6.

    Endnutzer werden dabei zunehmend Aufgaben und Kompetenzen von Experten übernehmen.

  7. 7.

    Trotz physischer Elemente ist die Interaktion artifiziell – eben nicht natürlich – und benötigt aufgrund der Komplexität neue Metaphern und Modelle für den Nutzer.

  8. 8.

    CPS wechselwirken direkt mit der physischen Realität der Nutzer – die reale Welt wird zur Benutzungsschnittstelle.

Eine Kernherausforderung ist dabei das situative Übernehmen („take over“) der Kontrolle, der Prozess, in dem ein Mensch alarmiert und vorbereitet werden muss, um eine Aufgabe zu übernehmen oder eine Entscheidung zu treffen. Der Mensch muss dabei so angeleitet werden, dass die Interaktion mit dem System auf die Aufgabe fokussiert ist und nicht erst eine Suche nach dem Grund für den Alarm und Bedienungsdetails darstellt.

Digital Work Design

Menschliche Arbeit ist zunehmend von Informationssystemen und ihren Rahmenbedingungen beeinflusst. In diesem Zusammenhang werden Szenarien skizziert, in denen die „Maschinen“ zunehmend traditionelle menschliche Arbeitsbereiche übernehmen und damit über Schicksale von Unternehmen entscheiden. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die aktuelle technologische Entwicklung die Möglichkeit bietet, den Menschen wieder ins Zentrum der Gestaltung zu rücken. Hierfür ist ein tiefgehendes Verständnis bestehender menschlicher Arbeitspraktiken notwendig, um die Arbeitssituationen ganzheitlich zu verbessern. Im Sinn eines nachhaltigen Digital Work Design (DWD) ist es notwendig, integrierte, interdisziplinäre und agile Methoden zur Verfügung zu stellen, die die Identifikation, Analyse und Unterstützung des Arbeitskontexts ermöglichen.

In diesem Zusammenhang stellen sich zwei zentrale Forschungsfragen:

  • Wie können wir gegenwärtige Arbeitspraktiken verstehen und zukünftige Arbeitspraktiken gestalten?

  • Wie können wir Artefakte gestalten, die zukünftige Arbeitspraktiken bestmöglich unterstützen?

Ein prominentes Beispiel ist das aktuelle Schlagwort Industrie 4.0. Hier zeigt sich, dass sich die täglichen Arbeitsroutinen der Arbeiter graduell im Kontext sich kontinuierlich verändernder Produktionsumgebungen (zum Beispiel kleinere Losgrößen, „mass customization“, „open innovation“, Prozessorientierung) entwickelt haben. Diese individuellen Arbeitspraktiken stehen oftmals im starken Kontrast zu vom Management spezifizierten Produktionsprozessen.

Mixed und Augmented Reality, Virtual Reality

Augmented (AR) und Virtual Reality (VR) stellen Benutzern virtuelle Informationen in der realen Umgebung (AR) oder in virtuellen Welten (VR) dar. Sie erzeugen eine sogenannte Mixed Reality, in der reale und virtuelle Welten sich vermischen [21]. Heute stehen verschiedene leistungsfähige AR- und VR-Geräte und -Frameworks zur Verfügung, mit denen Mixed Reality immer mehr Einzug in Arbeiten, Lernen und Freizeit findet. Mixed Reality gilt als eine der Zukunftstechnologien (auch) für die Digitalisierung. Der Markt wird für 2021 auf 48,7 Mrd. US$ für AR und 18,6 Mrd. US$ für VR geschätztFootnote 1.

Anwendungsbereiche, in denen die Wirksamkeit von AR und VR erprobt und bereits nachgewiesen werden konnte, sind interaktive Lernumgebungen, Fernunterstützung beispielsweise bei Wartung und Reparatur, Unterstützung bei der Bewältigung von Arbeitsaufgaben, Rehabilitation und Therapie, Verkehr oder Telepräsenz. Vorteile von VR sind hierbei die (gefahrlose) Simulation und Interaktion mit komplexen Objekten, die nicht physisch zur Verfügung stehen. AR macht Benutzern Informationen verfügbar und die Interaktion in und mit VR und AR weicht deutlich von anderen Technologien ab. So steht die Mixed Reality nur dem Nutzer eines Geräts zur Verfügung. Andere haben ohne entsprechendes Gerät keinen Zugriff auf die virtuellen Inhalte und es entsteht ein Ungleichgewicht. Untersuchungen zeigen, dass dies sowohl für Träger einer AR- oder VR-Brille als auch für andere, die keine Brille tragen, Akzeptanzprobleme erzeugt.

Auch lassen sich Gestaltungsmerkmale von Benutzerschnittstellen für Desktop oder mobile Anwendungen nicht ohne Weiteres auf AR und VR übertragen, da verfügbare Geräte zur Interaktion andere Modalitäten anbieten (beispielsweise Gesten, Sprache, Kopf- oder Augenbewegung). Für Benutzerschnittstellen in AR und VR sind derzeit kaum Standards oder Prinzipien bekannt und es existiert eine Vielzahl an Interaktionsmechanismen.

Auch hinsichtlich der Unterstützung kooperativen Arbeitens und Lernens mithilfe von AR und VR sind viele Fragen offen. Eine weitere Frage besteht in der Integration von AR und VR in vorhandene Prozesse. Es sind zwar erste Umsetzungen in den oben genannten Bereichen bekannt, der systematische Einsatz, beispielsweise in Lernanwendungen oder in betrieblichen Abläufen, benötigt jedoch weitere Erkenntnisse zur Gestaltung. Um die Potenziale dieser Technologien nutzen zu können, wird es für Forschung und Entwicklung zur MCI darauf ankommen, AR und VR so zu gestalten, dass sie für alle potenziellen Nutzer nutzbar sind und in Arbeitsabläufe integriert werden können.

Zusammenfassung

Wir haben in diesem Beitrag den Bereich MCI näher vorgestellt, insbesondere anhand der aktuellen Themen Nutzerinteraktion mit intelligenten Systemen, benutzbare Sicherheit, Interaktion mit allgegenwärtigen Systemen und CPS, Digital Work Design sowie Mixed Reality und AR und VR.

In diesen und vielen anderen Bereichen – aus Platzgründen können wir hier nur einen Teilbereich der MCI abbilden – tragen Erkenntnisse und Entwicklungen des Bereichs MCI dazu bei, dass die Aktivitäten der komplexen Systeme für die Anwendenden verständlich und beeinflussbar bleiben – und die Systeme somit benutzbar. Ohne MCI ist die vielbeschworene digitale Transformation nicht möglich.

Weitere Information über den Bereich MCI finden Sie auf der Webseite des Fachbereichs MCI (fb-mci.gi.de). Auch die vom Fachbereich organisierte Tagungsreihe Mensch und Computer (www.mensch-und-computer.de) sowie die Digitale Bibliothek des Fachbereichs (dl.gi.de/mci) können der Vertiefung des Themas dienen.

Aktuelle Broschüre des Fachbereichs

Die Broschüre „Erst Nutzbarkeit schafft Nutzen“ führt kurz in die Forschungs- und Arbeitsfelder des Fachbereichs MCI ein. Sie finden die Broschüre zum kostenlosen Download unter https://fb-mci.gi.de/fileadmin/FB/MCI/dokumente/MCI_Broschuere_2019-11.pdf.

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