1 Einleitung

Unter dem Begriff NGS werden sehr leistungsfähige sequenzbasierte Verfahren zusammengefasst, mit denen sich analytische Problemstellungen im öffentlichen Gesundheitswesen und der Lebensmittelüberwachung zeit- und ressourcenschonend bearbeiten lassen (Jagadeesan et al. 2019). Ein wichtiger Faktor bei der Aufrechterhaltung der mikrobiologischen Lebensmittelsicherheit ist die schnelle und genaue Erkennung von Ausbrüchen und die Zuordnung von Quellen. Die erfolgreiche Abgrenzung eines Ausbruchs beruht in erster Linie auf einem hochauflösenden Vergleich der Verwandtschaft von Isolaten aus Human-, Lebensmittel- und Umweltproben. Traditionelle molekulare Techniken wie die Multilocus variable-number tandem-repeat analysis (MLVA) und die Pulsfeldgelelektrophorese (PFGE) beruhen ebenfalls auf der Erkennung subtiler genomischer Unterschiede zwischen Isolaten, aber keine der Techniken kann das gesamte Genom erfassen. Die Sequenzierung des gesamten Genoms mit anschließender Detektion einzelner Nukleotidunterschiede zwischen den zu vergleichenden Genomsequenzen bietet derzeit die höchstmögliche Genauigkeit und Auflösung für die Untersuchung der genetischen Verwandtschaft von Isolaten, die im Rahmen von Ausbruchsuntersuchungen gewonnen wurden. Die dabei erzeugten Genomdaten können auch auf das Vorhandensein von Virulenzfaktoren, Antibiotikaresistenzgenen oder anderen relevanten genetischen Markern untersucht werden (Ronholm 2018; Ronholm et al. 2016).

Heute gilt das Verfahren des Whole-Genome Sequencing (WGS, Gesamtgenomsequenzierung), bei dem das gesamte Genom sequenziert wird, als Methode der Wahl für die Bestimmung der genetischen Verwandtschaft von verdächtigen Isolaten im Rahmen einer Ausbruchuntersuchung und Überwachung von lebensmittelbedingten Krankheitserregern. Es ersetzt damit zunehmend die klassischen Typisierungsmethoden.

Food Fraud („Lebensmittelbetrug“) rückt immer häufiger in das öffentliche Interesse von Verbrauchern und Lebensmittelherstellern und entwickelt sich zunehmend zu einem Schwerpunktthema der Überwachungsbehörden. Die Verfälschung von Lebensmitteln beinhaltet beispielsweise die Falschdeklaration der Tierart bei Fleisch, den Verkauf von preiswertem Fisch als hochwertigen Edelfisch, den Austausch wertvoller Inhaltsstoffe durch billigere Ersatzstoffe sowie unzutreffende Gewichtsangaben.

Die sichere Identifizierung der in den Lebensmitteln enthaltenen Tierarten ist von entscheidender Bedeutung, um den Verbraucher vor möglichen Lebensmittelverfälschungen, falschen Etikettierungen von Inhaltsstoffen und Lebensmittelallergien zu schützen. Daher sind geeignete Analysemethoden für die Überprüfung von Lebensmitteln auf bekannte Verfälschungen erforderlich (Ballin 2010; Abbas et al. 2018; Sentandreu and Sentandreu 2014). Für die Speziesdifferenzierung im Bereich der pflanzlichen und tierischen Lebensmittel stellt die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) schon seit längerer Zeit ein sensitives Verfahren dar. Multiplex-PCR-Verfahren werden zur simultanen spezies-spezifischen Bestimmung verschiedener Tier- und Pflanzenarten eingesetzt. Eine umfassende Spezies-Differenzierung ermöglicht auch das sogenannte DNA-Barcoding, bei dem mittels klassischer Sequenzierung mitochondrialer Markergene die Identifizierung der Tierart über einen Datenbankabgleich ermöglicht wird. Für Tierarten ist die am häufigsten verwendete Sequenz eine Region des mitochondrialen Cytochrom-C-Oxidase-Untereinheit-I-Gens (COI, COX1, CO1). Das DNA-Barcoding beruht ausschließlich auf dem Vorhandensein hochwertiger Referenzsequenzen in einer Datenbank mit gesicherter Taxonomie und umfassender Barcode-Abdeckung (Staats et al. 2016).

Als Metabarcoding bezeichnet man eine Kombination aus herkömmlichem DNA-Barcoding unter Anwendung des NGS. Vorliegende Tierarten in einer zu untersuchenden Probe werden hier in einem universellen Ansatz gleichzeitig unter Zuhilfenahme einer Referenzdatenbank bestimmt. Diese Methode wird zunehmend zur Authentizitätskontrolle bei z. B. Fleisch- und Fischproben von einigen Firmen und vereinzelt auch schon von Behörden der amtlichen Überwachung angewendet.

Trotz der Verfügbarkeit von NGS-Techniken und des großen Potentials, das Sequenzierungsdaten für das Management der Lebensmittelsicherheit haben, gibt es immer noch Hürden, die überwunden werden müssen, bevor diese Technologien vollständig in die Routinediagnostik der Lebensmittelüberwachung implementiert werden können. Voraussetzung für die Anwendung dieser Verfahren in der Routine sind standardisierte und validierte Analyseverfahren, die die Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit der Methoden garantieren.

Auf internationaler Ebene werden allgemeine Anforderungen und Richtlinien zur genomischen Sequenzierung von Mikroorganismen in Lebensmitteln sowie die Verwendung von DNA-Sequenzierungsmethoden zum Nachweis und der Identifizierung von Tierarten in Lebensmitteln und Futtermitteln in den entsprechenden Technischen Komitees der Internationalen Organisation für Normung (ISO) erarbeitet (ISO/CD 23418, ISO/AWI 22949/1-3). Zudem werden allgemeine Anforderungen für die massive parallele Sequenzierung entwickelt (ISO/CD 20397/1-2).

Aufgrund der großen Bedeutung von NGS verfügen bereits einige Untersuchungsämter über die entsprechende Technologie mit teilweise eigenen Sequenziergeräten. Weitere Behörden planen zukünftig die Einführung von NGS-Methoden sowie die Anschaffung entsprechender Geräte. Die Berücksichtigung von validierten NGS-Verfahren in der ASU ist wichtig, um den Untersuchungsbehörden der Länder für ihre Überwachungsaufgaben moderne, leistungsfähige und standardisierte Methoden zur Verfügung zu stellen, um in Zukunft vergleichbare Untersuchungsergebnisse bundesländer- und länderübergreifend zu erhalten.

Bereits im November 2016 fand auf Einladung des BVL ein § 64 LFGB Kick-off Meeting zum „Anwendungspotenzial moderner Analysetechniken im Bereich Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit und deren Authentizität“ statt. Dort berichteten Experten aus den Bereichen der Überwachung, der Wissenschaft, und der beteiligten Wirtschaft über existierende Anwendungsgebiete moderner Analyseverfahren wie z. B. der NGS-Technologie und ihren bisherigen Erfahrungen hinsichtlich ihrer Anwendung. Nach einem intensiven wissenschaftlichen Informations- und Erfahrungsaustausch befürworteten die Teilnehmer die Neugründung von spezialisierten § 64 Arbeitsgruppen zur Berücksichtigung von NGS-Verfahren (Szabo et al. 2017). Durch diese Aktivitäten konnte eine aktive Mitgestaltung des BVL hinsichtlich der Standardisierung von NGS-Methoden im Bereich der Lebensmittelsicherheit und Authentizität bereits von Beginn an erreicht werden.

2 Ziele der Arbeitsgruppen

Die Organisation der Arbeitsgruppen erfolgt durch das BVL. Die Arbeitsgruppen setzen sich aus Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft und der amtlichen Lebensmittelüberwachung zusammen. Um den vielfältigen Anwendungsbereich der NGS-Methoden abzudecken, wurden zwei Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten gegründet:

Die Arbeitsgruppe „NGS – Bakteriencharakterisierung“ hat das Ziel, NGS-Methoden für die Sequenzierung bakterieller Erreger einschließlich ihrer bioinformatischen Auswertung im Rahmen von Ausbruchsuntersuchungen zu validieren und zu standardisieren.

Ziel der § 64 Arbeitsgruppe „NGS – Speziesidentifizierung“ ist die Validierung und Standardisierung von NGS-Methoden einschließlich der bioinformatischen Auswertung zur Differenzierung von Tierarten in Lebensmitteln.

Erfolgreich validierte Methoden sollen in die ASU [Band I (L)] aufgenommen, der amtlichen Überwachung zur Verfügung gestellt und für eine Normung auf europäischer Ebene (CEN) vorgeschlagen werden.

3 Inhalte der Veranstaltungen

Ziel der ersten Sitzungen war es, einen Überblick über bereits bestehende NGS-Methoden zu gewinnen. Die Teilnehmer stellten in zahlreichen Präsentationen ihre Erfahrungen mit der jeweiligen Untersuchungsmethode hinsichtlich der Anwendung in der Lebensmittelüberwachung sowie mögliche Validierungs- und Standardisierungsansätze vor.

Anschließend diskutierten die Teilnehmer die ersten thematischen Schwerpunkte der Methodenentwicklung, mögliche Validierungsparameter, Qualitätskontrollmaßnahmen und die Anwendung der Methoden in der amtlichen Lebensmittelüberwachung.

Darüber hinaus wurden in beiden Arbeitsgruppen erste praktische Vorringversuche (Pilotstudien) besprochen und organisiert. Ihre Durchführung wird im Herbst 2019 erfolgen.

3.1 § 64 Arbeitsgruppe „NGS – Bakteriencharakterisierung“

Das erst kürzlich gegründete Studienzentrum für Genomsequenzierung und -analyse am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stellt den dort angesiedelten Nationalen Referenz- und Konsiliarlaboren modernste NGS-Methoden sowie bioinformatische Datenauswertung zur Verfügung und dient darüber hinaus den Überwachungsbehörden der Länder als Ansprechpartner für diesen Bereich. Das LGL (Bayern), LAVES (Niedersachsen) und das LAV Sachsen-Anhalt (in Verbund mit Thüringen und Sachsen) verfügen bereits über entsprechende Sequenziergeräte und stellten ihre Methoden vor bzw. berichteten über ihre Erfahrungen mit der Technologie zur WGS von Bakterienisolaten zur Ausbruchsaufklärung.

Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wendet NGS-Methoden ebenfalls zur Identifizierung und Typisierung von Bakterienisolaten im Rahmen von Ausbruchsuntersuchungen an und berichtete ausführlich über den aktuellen Stand der Methodik sowie den Anwendungsbereich.

Die Teilnehmer der Arbeitsgruppen waren sich einig, dass die Generierung belastbarer NGS-Daten für die Erstellung von Standardarbeitsanweisungen und bioinformatischen Auswertungsmöglichkeiten eine wichtige Voraussetzung für die weitere Vorgehensweise darstellt. Mittels Vorringversuchen unter Beteiligung mehrerer Labore sollen die notwendigen Daten ermittelt werden. Eine wesentliche Frage, die hierbei Beantwortung finden muss, ist: Liefern unterschiedliche NGS-Technologieplattformen in Verbindung mit der hausintern etablierten Herstellung der DNA-Bibliotheken vergleichbare Daten? Hierfür ist es wichtig, durch die Labore in den Bundesländern eigene Datensätze erstellen zu lassen, um die aktuelle Leistung verschiedener Plattformen vergleichen zu können.

3.1.1 Planung Vorringversuch „NGS – Bakteriencharakterisierung“

Es wurde beschlossen, im Rahmen eines Vorringversuchs zunächst die Vergleichbarkeit der verschiedenen Sequenzierungstechnologien (Illumina, Ion Torrent und PacBio) in Bezug auf die Sequenzierung von Bakterienisolaten in Anwendung für die Ausbruchsuntersuchungen zu ermitteln.

Hierbei wird der Fokus der zu untersuchenden Bakterienspezies vorerst auf Salmonella enterica, Campylobacter jejuni und Listeria monocytogenes gesetzt. Es werden von jeder Spezies jeweils zwei in ihrer genetischen Ähnlichkeit unterschiedliche DNA-Proben im Doppelansatz von jedem Labor sequenziert.

Die so gewonnenen Rohdaten werden im Studienzentrum für Genomsequenzierung und -analyse am BfR einer zentralen Auswertung und Bewertung unterzogen. Weiterhin ist für die Harmonisierung und Standardisierung die Entwicklung von definierten Referenzgenomsätzen vorgesehen. Mit diesen Sätzen lassen sich Benchmarkingaktivitäten zwischen verschiedenen bioinformatischen Analysetools z. B. Core Genome (Kerngenom)-Multi Locus Sequence Typing (MLST) (cgMLST) und Single-Nucleotide Polymorphism (SNP), die in den Laboren angewendet werden, analysieren. Darüber hinaus ist eine Validierung bei Einführung neuer Analysetools in einem Labor mittels Referenzgenomsätzen möglich.

Parallel zum Vorringversuch werden von allen teilnehmenden Laboren die erregerspezifischen Qualitätskontrollparameter und angewendete Verfahren zur Bibliothekenerstellung in einer Übersichtsliste zusammengestellt. Sie werden hinsichtlich gemeinsamer Indikatoren, die für die verschiedenen NGS-Plattformen gelten, ausgewertet.

3.2 § 64 Arbeitsgruppe „NGS – Speziesidentifizierung“

In einleitenden Vorträgen wurden erste methodische Ansätze von den Teilnehmern vorgestellt. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe verfügt über ein Sequenziergerät und berichtete über erste Erfahrungswerte zum Tierartennachweis in zusammengesetzten Lebensmitteln. Das CVUA in Freiburg setzt, auch ohne eigenes Sequenziergerät das Metabarcoding zur Identifizierung und Differenzierung von Tierarten in Lebensmitteln ein. Die Sequenzierung der vorbereiteten Proben wird von einer externen Firma übernommen.

An der AGES wird das Metabarcoding erfolgreich zum Nachweis von Säugetieren und Vögeln nach einer eigenen, validierten und zur Akkreditierung eingereichten Methode eingesetzt (Dobrovolny et al. 2018). Des Weiteren finden die Mikrobiomanalyse von Lebensmitteln sowie das Metabarcoding zum Nachweis von Insekten und Pflanzen mittels NGS an der AGES Anwendung.

In der anschließenden Diskussion wurden wichtige Voraussetzungen für eine eindeutige Bestimmung der Tierart im Lebensmittel mittels NGS-Metabarcoding besprochen. Hierbei wurde die Bedeutung entsprechender Referenzsequenzen in der jeweiligen Datenbank hervorgehoben. Derzeit werden verschiedene Datenbanken zur Auswertung verwendet. Genannt wurden u. a. NCBI, BOLD (BARCODE OF LIFE DATA SYSTEM), MetaCache, eigene Datenbanken sowie weitere kommerzielle Datenbanken. Um ein gesichertes Ergebnis zu erhalten, sollten für die Auswertung nur überprüfte Referenzsequenzen verwendet werden.

Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt stellt die Amplikonlänge ausgewählter Markergene dar. Für eine hohe Auflösung werden größere Amplikons benötigt, jedoch um für hochprozessierte Lebensmittel ein Ergebnis zu erhalten, bedarf es einer möglichst kurzen Amplikonlänge (maximal ca. 150 bp). Wichtig sind zudem die Definition gemeinsamer Targets bzw. das Festlegen einer Targetregion auf die jeweilige Matrix bezogen (Fleisch oder Fisch) sowie die Vorgabe von bioinformatischen Kriterien z. B. die Anzahl der Reads. Bezüglich der Sensitivität waren sich die Experten einig, dass das Verfahren geeignet sein sollte, die entsprechende Tierart bis zu einem Anteil von 0.1% im Lebensmittel zu identifizieren und zu differenzieren.

3.2.1 Planung Vorringversuch „NGS – DNA-Metabarcoding von Säugetieren und Vögeln in Lebensmitteln“

Auf der ersten Sitzung wurde beschlossen, in einem Vorringversuch DNA-Mischungen bestehend aus bis zu 10 Tierarten (Säuger/Vögel) in unterschiedlichen Konzentrationen unter Verwendung der Targets cytB, cytB-tRNA(Glu), cox1 (CO1) und/oder 16SrRNA von verschiedenen Laboren untersuchen zu lassen. Zur Identifizierung der Tierart werden die Sequenzierdaten nach vordefinierter bioinformatischer Analyse mit spezies-spezifischen Referenzsequenzen verglichen. Jeder Teilnehmer bestimmt die Spezieszusammensetzung mit Hilfe der in seinem Labor angewendeten NGS-Methode mit den entsprechenden Qualitätsparametern. Dies ermöglicht anschließend einen unmittelbaren Vergleich der eingesetzten Sequenzierungstechnologien (Illumina, Ion Torrent und PacBio) in Bezug auf die Sequenzierung ausgewählter mitochondrialer Markergene für die Tierartenidentifizierung.

Die so gewonnenen Daten werden anschließend dem Institut für Lebensmittelsicherheit Wien (AGES) zur Auswertung und Bewertung übermittelt. Basierend auf den Ergebnissen des Vorringversuchs sollen dann gemeinsame Qualitätskriterien und Validierungsparameter erarbeitet werden.

Mit der Gründung der neuen § 64 Arbeitsgruppen zu NGS-Verfahren im Bereich der Lebensmittelsicherheit wurde der erste Schritt in Richtung einer Standardisierung und Validierung dieser Methoden getan. Die Teilnehmer der ersten Sitzungen tragen mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrungen dazu bei, dass NGS-Methoden durch die Aufnahme in die ASU und die anschließende Überführung in das Europäische Komitee für Normung (CEN) qualitätsgesichert im Rahmen der Lebensmittelüberwachung eingesetzt werden können.

Seitens der Geschäftsstelle soll hier allen Teilnehmern nochmal ein recht herzlicher Dank für die aktive Mitarbeit ausgesprochen und der Wunsch nach einer weiterhin konstruktiven Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht werden.